MMX

Das me­cha­tro­ni­sche Fahr­werk für die ers­te Fahrt in Mil­li­gra­vi­ta­ti­on

Das mechatronische Fahrwerk – auch Lokomotionsystem genannt – für den vierrädrigen MMX-Rover wird von den beiden DLR-Instituten für Robotik und Mechatronik sowie für Systemdynamik und Regelungstechnik entwickelt, gebaut und getestet. Der MMX-Rover wird der erste Roboter sein, der sich in einer so niedrigen Gravitation bewegt. Bisher sind Rover nur auf dem Mars und dem Mond gefahren und haben dort ein Sechstel bzw. ein Drittel der Erdgravitation „erlebt“. Die Anziehungskraft auf Phobos beträgt dagegen nur rund ein Tausendstel der Erdgravitation, man spricht von Milligravitation.

Niedrige Gravitation und unbekannter Boden

Der ungefähr 25 Kilogramm schwere MMX-Rover erfährt also nur Anziehungskräfte, die dem einer großen Weinbeere auf der Erde entsprechen. Während ein Sturz aus einem Meter Höhe auf der Erde nur etwa 0,5 Sekunden dauert, wird auf Phobos erst nach 25 Sekunden der Untergrund berührt. Neben der Anziehungskraft hat der Rover aber auch noch mit der Bodenwiderstandskraft zu kämpfen. Diese Kraft kann zwischen nahe null und mehreren Newton variieren, wobei die dafür verantwortlichen Bodeneigenschaften bisher größtenteils unbekannt sind. Die Antriebe der Räder und Schultern haben daher eine sehr hohe Untersetzung von über 1:2200, um ein hohes Drehmoment zur Verfügung zu stellen.

Für das Fahren auf Phobos heißt das, dass der Rover sich sehr langsam bewegen muss, damit er nicht in Kurven oder bei Unebenheiten umfällt. Seine normale Geschwindigkeit wird deshalb ein Millimeter pro Sekunde sein. Um auf einem Fußballfeld vom einen ins andere Tor zu fahren, bräuchte er also etwa 29 Stunden. Bei der Maximalgeschwindigkeit von etwa 0,5 Zentimeter pro Sekunde kann es bereits zu Driften und Abheben der Räder bei unebenem Untergrund kommen, wie man es sonst eher von Rallyefahrzeugen kennt.

Die Effekte der niedrigen Gravitation führen dazu, dass realistische Tests auf der Erde nicht möglich sind. Deshalb war für die Entwicklung, eine ausgereifte Computersimulation der Dynamik und Bodenkontaktmechanik des Rovers von zentraler Bedeutung.

Funktionen des Fahrwerks

Das Lokomotionsystem muss neben einfachem Geradeausfahren weitere Funktionen beherrschen. Direkt nach der Landung muss der Rover zunächst „aufstehen“: Um vor der Freisetzung durch das Explorationsmodul möglichst kompakt zu sein, und um die bei der Landung auftretenden Belastungen zu überstehen, sind die Beine und Räder auf den beiden Seiten des Rovers eingeklappt. Sobald der Rover auf der Oberfläche von Phobos zum Liegen gekommen ist, werden die Beine mit einer bestimmten Sequenz ausgeklappt, sodass der Rover am Ende mit den Rädern auf dem Boden steht und die Solarpaneele nach oben zeigen.

Die Sonne scheint auf Phobos nur relativ schwach. Um mit der begrenzten Fläche der Solarpaneele zurecht zu kommen, kann das Fahrwerk den ganzen Rover verkippen. Zusammen mit einem Sonnensensor ist es damit möglich, den Rover optimal zur Sonne auszurichten.

Darüber hinaus kann das Fahrwerk den Abstand des Rovers zum Boden auch vergrößern oder verkleinern, was zum Beispiel für die Experimente mit dem Raman-Spektrometer notwendig ist. Schließlich soll der Rover vorwärts und rückwärts fahren können, Kurven bewältigen und sich auf der Stelle drehen können. Aus Platzgründen sind die Räder nicht lenkbar, die Regelung des Fahrwerks für Kurven und Wenden funktioniert – wie bei einem Kettenfahrzeug – durch Anpassung der Differenzgeschwindigkeiten zwischen den linken und rechten Rädern.

Lan­de- und Auf­richt­pro­zess des MMX-Ro­vers
Nachdem der Rover nach dem Aufprall zur Ruhe gekommen ist, fährt er seine „Beine“ aus und kommt dadurch in die richtige Position, um seine Solarpaneele auf die Sonne auszurichten.

Das Fahrwerk selbst besteht aus vier "Loco-Modulen", die jeweils ein drehbares Bein, ein Rad sowie ein hochintegriertes Schultermodul mit Motoren, Getrieben, Sensoren, Elektronik und Heizern umfassen. Sogenannte „Hold-Down-and-Release-Mechanisms“ (HDRM) halten die Beine und Räder in der eingeklappten Position im Raumschiff und für die Landung auf Phobos fest, bevor ein kurzer Strompuls das Fahrwerk freigibt.

Im Inneren des Rovers findet sich eine Elektronikbox, die sämtliche Analog- und Digitalelektronik beherbergt inklusive der Motortreiber, Analog-Digital-Wandler und einem „Field Programmable Gate Array“ (FPGA), auf dem die eigens entwickelte Firmware läuft. Der FPGA erlaubt eine schnelle Taktrate für die Motorregelung, das Auslesen der Sensorik und stellt außerdem die Kommunikation zum Hauptrechner her.

Komplexere Funktionen, wie zum Beispiel die Kinematikregelung des Fahrwerks, werden in einer vom DLR eigens entwickelten Softwarepartition direkt auf dem Hauptrechner des Rovers, der vom französischen Partner CNES (Centre National d´Etudes Spatiales) bereitgestellt wird, ausgeführt.

Entwicklung und Test des Fahrwerks

Das Lokomotionsystem für den MMX-Rover ist eine komplette Neuentwicklung, wobei bei manchen Komponenten auf Erfahrung aus vorherigen Missionen, wie zum Beispiel dem MASCOT-Lander der Hayabusa2-Mission, zurückgegriffen werden konnte. Aufgrund der vielen Neuentwicklungen war es nötig, drei Prototypen des Fahrwerks aufzubauen und ausgiebig zu testen. Nach etwa drei Jahren Entwicklungszeit war das finale Design fertig, und die Modelle für Qualifikation und Flug konnten aufgebaut werden. Für die tatsächliche Qualifikation des Lokomotionsystems wurden dann Tests in der erwarteten mechanischen, elektrischen und thermalen Umgebung unternommen. Die nötige Leistungsfähigkeit und Standhaftigkeit wurde schließlich in Performance- und Lifetests nachgewiesen, sodass nach etwa 150 Labortagen und über einem Kilometer absolvierter Strecke das Fahrwerk nun bereit für seinen Einsatz auf Phobos ist.

MMX – Martian Moons eXploration

MMX ist eine Mission der japanischen Weltraumorganisation JAXA mit Beiträgen von NASAESA, der französischen Raumfahrtagentur CNES und dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). CNES und DLR steuern zusammen einen 25 Kilogramm schweren Rover bei. Der deutsch-französische MMX-Rover wird unter gemeinsamer Leitung der beiden Partner entworfen und gebaut. Das DLR übernimmt dabei insbesondere die Entwicklung des Rover-Fahrwerks samt Carbonstruktur sowie des gesamten Aufricht- und Fortbewegungssystems. Zudem steuert das DLR das Verbindungs- und Separationssysten zur Muttersonde bei und stellt ein Raman-Spektrometer sowie ein Radiometer als wissenschaftliche Experimente. Diese werden die Oberflächenzusammensetzung und -beschaffenheit auf Phobos messen. Die CNES leistet wesentliche Beiträge mit Kamerasystemen zur räumlichen Orientierung und Erkundung auf der Oberfläche sowie zur Untersuchung der mechanischen Bodeneigenschaften. Darüber hinaus entwickelt die CNES das zentrale Service-Modul des Rovers inklusive des Onboard-Computers sowie des Energie- und Kommunikationssystems. Nach dem Start der MMX-Mission wird der Rover von Kontrollzentren der CNES in Toulouse (Frankreich) und des DLR in Köln betrieben.

Seitens des DLR sind unter der Leitung des Instituts für Robotik und Mechatronik zudem die Institute für Systemdynamik und Regelungstechnik, für Faserverbundleichtbau und Adaptronik, für Raumfahrtsysteme, für Optische Sensorsysteme, für Planetenforschung, für Softwaretechnologie sowie das Nutzerzentrum für Weltraumexperimente (MUSC) beteiligt.

Die Mission MMX steht in der Tradition einer bereits langjährigen erfolgreichen Kooperation der Partner JAXA, CNES und DLR. Sie knüpft an die Vorgängermission Hayabusa2 an, bei der die JAXA eine Raumsonde zum Asteroiden Ryugu schickte mit dem deutsch-französischen Lander MASCOT an Bord. Am 3. Oktober 2018 landete MASCOT auf Ryugu und sendete spektakuläre Bilder einer faszinierenden zerklüfteten Landschaft aus Geröll und Steinen. Hayabusa2 nahm Proben von Ryugu und brachte diese am 6. Dezember 2020 zurück zur Erde.

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Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
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Dr. Stefan Barthelmes

Deut­sches Zen­trum für Luft- und Raum­fahrt (DLR)
In­sti­tut für Sys­tem­dy­na­mik und Re­ge­lungs­tech­nik
Münchener Straße 20, 82234 Weßling

Dr. Maxime Chalon

Deut­sches Zen­trum für Luft- und Raum­fahrt (DLR)
In­sti­tut für Ro­bo­tik und Me­cha­tro­nik
Münchener Straße 20, 82234 Weßling