Artikel aus dem DLRmagazin 174: Auf der Suche nach dem Mythos im Mercedes-Benz Museum

Im Sternenhimmel

Im Sternenhimmel
Das Mercedes-Benz Museum in Stuttgart
Credit:

Mercedes-Benz AG

Im Südwesten ist – oder vielleicht war – „d'r Daimler“ das Maß aller Dinge, auf der Straße und in den Köpfen. Es hieße sicherlich, Eulen nach Athen oder Mercedessterne nach Untertürkheim zu tragen, das Mercedes-Benz Museum als den Autotempel schlechthin zu bezeichnen. Hunderttausende pilgern jedes Jahr zum Geburtsort des Automobils nach Stuttgart. 160 Fahrzeuge aus mehr als 130 Jahren Automobilhistorie, von Legenden wie dem Flügeltürer über nie in Serie gebaute Prototypen und Silberpfeile, die Renngeschichte schrieben, bis zum millionenfach gebauten Alltags-Daimler – das Museum ist mehr als eine Ausstellung, es ist eine Inszenierung des Mythos Mercedes.

In weiten, scheinbar endlosen Schleifen windet sich die metallene Fassade um die Ausstellungsebenen des Museumsgebäudes – architektonisch eine Doppelhelix, für die unsere DNA Pate stand. In der riesigen Eingangshalle mit viel Sichtbeton herrscht ein Sprachengewirr wie in einer Abflughalle. Hier wird Stuttgart international. Zu den ewigen Stellplätzen für betagte Mercedes, in den „Sternenhimmel“, geht es mit dem Aufzug nach oben. Willkommen im Jahr 1886: Hier stehen sie, der dreirädrige Benz-Patentmotorwagen und Daimlers Motorkutsche. Die ersten Automobile – wie ungelenke Vehikel ohne Pferde sind sie Zeugen einer Technikepoche, die uns heute fremd ist.

In weiten Kurven führen Rundgänge durch die Sammlung mit einer Ausstellungsfläche von insgesamt mehr als zwei Fußballfeldern. „Mythosräume“ erzählen chronologisch die Geschichte der Marke Mercedes-Benz. Omnibusse, Taxis, Feuerwehr- undRettungswagen sowie Fahrzeuge mit prominenten Vorbesitzern bilden in den „Collectionsräumen“ epochenübergreifende Themeninseln.

Beginn der Ära „Mercedes“

Die Möwenschwinge
Der 300 SL Flügeltürer – wegen seiner sich konstruktionsbedingt nach oben öffnenden Türen heißt die zweisitzige Sportwagen-Ikone im Englischen „Gullwing“ (Möwenschwinge).

Es waren Impulse des späteren österreichisch-ungarischen Generalkonsuls Emil Jellinek aus dem Motorsport, die mit zum Erfolg der Daimler-Motorwagen führten. Jellinek fuhr mit Daimlers Motorwagen ab 1899 Rennen unter dem Pseudonym seiner Tochter Mercédès – und gewann. Die Sammlung dokumentiert den damals rasanten Fortschritt. Daimler durfte seine Autos unter dem Namen „Mercedes“ verkaufen, Jellinek fuhr der Konkurrenz davon, der Mythos Mercedes war geboren.

Es folgt die Ära der Fahrzeuge aus der Kaiserzeit, mit Holzspeichen und viel Plüsch, die in den großen Kompressor-Mercedes der 1930er Jahre gipfelt. Das Museum spiegelt die Sonnenseite der damaligen Zeit für die Großen und Reichen wider. Keine profanen Fahrzeuge, sondern Solitäre für die oberen Zehntausend. Alles perfekt konserviert, wie aus einer anderen Welt – die Distanz bleibt gewahrt.

Der rote 500 K
Der rote 500 K, für dessen Gegenwert eine Luxusvilla mit Park in bester Berliner Wohngehend zu bekommen war, ist mit seinen geschwungenen Kotflügeln, Perlmutt und Chrom in der Instrumentenauflage ein Höhe- und Wendepunkt im Automobilbau.

Auf der nächsten Ebene beginnt die Nachkriegszeit. Hier steht der 300 SL, der berühmteste Sportwagen des 20. Jahrhunderts. Als zunächst reinrassiger Rennwagen fuhr der „Flügeltürer“ weltweit Rennsiege ein. Fahrzeuge und Ausstellungraum spiegeln den Zeitgeist des Wirtschaftswunders wider. Der Rundgang ist ein wenig wie Geschenkeauspacken an Weihnachten. Oh und ah, ach, wie schön – aber so ganz insgeheim ist es ein Warten auf das besondere Geschenk, das das ganze Jahr über auf dem Wunschzettel stand: Wo sind die Autos aus der Kindheit?

Alltagsklassiker

Da ist er endlich, der Strichachter – so heißt er im Volksmund nach seinem Erscheinungsjahr 1968. Als Taxi, ein 240 Diesel – die Tugendhaftigkeit in Blech. Mercedesfahrzeuge, die noch heute jeden Tag in Kairo und Marokko unterwegs sind, von denen Taxler schwärmen, die den damaligen Ingenieuren einen Platz im Paradies wünschen. Wenn der Wagen doch von seinen vielen Fahrten erzählen könnte – über die rote Ampel zur Geburt ins Krankenhaus, die verspäteten Trauzeugen, auf dem Weg zur Beerdigung des Vaters.

Der Strichachter
Einst Opa-Auto, später Studenten-Daimler, heute ein begehrter Kult-Oldie: Der Strichachter war der erste Volks-Daimler. Fast zwei Millionen liefen zwischen 1968 und 1976 vom Band.

„Alltagsklassiker“ heißen die millionenfach gebauten Butter-und-Brot Daimler. Dazwischen Spezialkarossen, wie das „Papamobil“ für Papst Johannes Paul II., der metallicrote 500 SL von Lady Diana oder der unrestaurierte graue 190 SL von NASA-Astronaut David Scott. Hier werden Erinnerungen wach – das Museum gibt sich sachlich. Aus den Achtzigern und Neunzigern sind jedoch nur wenige Fahrzeuge ausgestellt. Wo ist der Mythos Mercedes geblieben?

Durch die Steilkurve in die Zukunft

Silberpfeile und Rekordfahrzeuge – in einer Steilkurve in Szene gesetzte Rennwagen erinnern an die Erfolge von Mercedes im Motorsport, dazu originale Erinnerungsstücke berühmter Rennfahrer. Am Ende des Rundgangs lässt Mercedes die Muskeln spielen. Der Gang führt schließlich zum Ausstellungsbereich „Faszination Technik“, der dem Designprozess gewidmet ist. Hier stehen Zukunftsvisionen für Autos von morgen mit neuen Antrieben und Formen – entsteht hier ein neuer Mythos?

Dynamisch und postmodern, mit viel Licht und Schatten, gibt sich das Museum – zeitlos, distinguiert. Aber doch auch ein bisschen wie ein alter Mercedes – solide, robust, ein wenig nüchterne Perfektion. Am Ausgang stehen die Neuwagen der gegenüberliegenden Mercedes-Niederlassung. Beim Vorbeigehen denke ich an den Strichachter aus der zweiten Etage. Ob die Neuen es irgendwann auch in den Sternenhimmel schaffen?

Die Sonderausstellung „Der mobile Mensch“

Jede Menge Action und spannende Infos über nachhaltige Mobilität garantiert die interaktive Sonderausstellung „Der mobile Mensch − Deine Wege. Deine Entscheidungen. Deine Zukunft“. Geschicklichkeit, Wissen und Neugier sind an acht Erlebnis- und fünf Themenstationen gefragt. Große Touchscreens laden ein zu einer spielerisch-interaktiven Reise in die virtuelle Stadt „Mobitopia“, in unsere zukünftige Mobilität. Was ist das passende Verkehrsmittel für mich und andere? Wie lassen sich Fahrzeuge, Infrastruktur sowie Nutzerinnen und Nutzer miteinander vernetzen? Wie helfen neue Mobilitätskonzepte, Städte lebenswerter zu gestalten? Ein elektronischer Spielball speichert die persönlichen Ergebnisse an den einzelnen Stationen. Am Ende bekommen die Besucherinnen und Besucher eine individuelle Auswertung. Bei dem Parcours geht es um mehr als Punktesammeln – die Ausstellung zeigt Trends sowie Innovationen und regt mit Praxisbeispielen dazu an, über das eigene Alltagsverhalten nachzudenken.

Sechs Beteiligte, darunter das DLR, haben ihr Wissen, ihre Expertisen und zahllose Beispiele aus der Praxis in die Ausstellung eingebracht. Im Begleitprogramm gibt es Thementage, Führungen, Vorträge und Diskussionsrunden – direkt im Museum oder bei den Ausstellungsbeteiligten. Bis Mitte November 2024 kann die Ausstellung kostenfrei auf Ebene 0 im Mercedes-Benz Museum besucht werden.

Ein Beitrag von Dr. Jens Mende aus dem DLRmagazin 174

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