Artikel aus dem DLRmagazin 174: Klinische Studien schlagen die Brücke zwischen medizinischer Grundlagenforschung und Praxis

Was wirkt wirklich?

Klinische Studien sind wichtig für die medizinische Forschung.
Der DLR Projektträger begleitet im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) die Förderinitiativen für klinische Studien.
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In der medizinischen Forschung sind klinische Studien der entscheidende Baustein, wenn es darum geht, festzustellen, welche Therapien wirklich wirken. Seit 20 Jahren begleitet der DLR Projektträger im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) die Förderinitiativen für klinische Studien. Dr. Jens-Jörg Schnorr, Bereichsleiter Gesundheit, und Dr. Eva Müller-Fries, Leiterin der Koordinationsgruppe „Klinische Studien“, zeigen, welchen Nutzen klinische Studien haben und welche aktuellen Entwicklungen es gibt.

Warum sind klinische Studien so wichtig?

Dr. Jens-Jörg Schnorr
Dr. Jens-Jörg Schnorr unterstützt die Forschungsförderung klinischer Studien seit 20 Jahren – erst als wissenschaftlicher Referent, dann als Abteilungsleiter und jetzt als Leiter des Bereichs Gesundheit im DLR Projektträger. Der erfolgreiche Transfer von der Theorie in die Praxis begeistert ihn immer wieder aufs Neue.

Dr. Jens-Jörg Schnorr: Bevor neue Therapien tatsächlich bei Patientinnen und Patienten eingesetzt werden dürfen, muss ihre Wirksamkeit wissenschaftlich nachgewiesen werden. Klinische Studien erbringen den entscheidenden Praxistest: Was wirkt wirklich? Und haben die Patientinnen und Patienten einen Nutzen davon? Diese Forschungsarbeiten leisten einen entscheidenden Beitrag zur Überführung von Ergebnissen der Grundlagenforschung in die praktische Anwendung. Hier wird direkt mit Patientinnen und Patienten geforscht. Deshalb unterliegen diese Studien strengsten wissenschaftlichen und ethischen Standards. Diese im Blick zu behalten, gehört zu unseren Aufgaben.

Das BMBF fördert sogenannte Investigator Initiated Trials – also Studien, die von forschenden Ärztinnen und Ärzten selbst initiiert werden. Was ist das Besondere daran?

Dr. Eva Müller-Fries: Sie haben einen direkten Bezug zur Praxis, ohne dass wirtschaftliche Interessen dahinterstehen. Häufig sind die Ergebnisse relevant, um die Versorgung zu verbessern, aber es lassen sich keine direkten wirtschaftlichen Gewinne damit erzielen. Die Bandbreite der Themen ist groß, weshalb unser Team viel eigene wissenschaftliche und methodische Expertise einbringt, um die Projekte angemessen zu begleiten.

Die Bandbreite der Themen ist groß, weshalb unser Team viel eigene wissenschaftliche und methodische Expertise einbringt, um die Projekte angemessen zu begleiten.

Dr. Eva Müller-Fries, Leiterin Koordinationsgruppe „Klinische Studien“

Außer um Studien zu neuen Therapien von sogenannten Volkskrankheiten wie Krebs oder Diabetes geht es hier auch um Forschungsprojekte, die Seltene Erkrankungen mit nur wenigen Betroffenen in den Blick nehmen. Auch „Drug Repurposing“ steht oft im Fokus – also die Suche nach neuen Anwendungsgebieten für bereits zugelassene Arzneimittel. Und häufig geht es auch darum, ob Therapien reduziert werden können oder sogar verzichtbar sind.

Über welche Erfolge freuen Sie sich?

Schnorr: Mittlerweile blicken wir auf 137 klinische Studien und 164 systematische Reviews, die im Rahmen der Förderrichtlinien „Klinische Studien“ beziehungsweise „Klinische Studien mit hoher Relevanz für die Patientenversorgung“ mit über 250 Millionen Euro vom BMBF gefördert wurden.

Bereits drei Jahre nach Abschluss dieser Studien wurde ein nennenswerter Anteil der Forschungsergebnisse in die Regelversorgung übernommen beziehungsweise in medizinischen Leitlinien aufgegriffen.

Dr. Jens-Jörg Schnorr, Bereichsleiter Gesundheit

Eine von uns initiierte Umfrage unter den Projektleitungen zeigte: Bereits drei Jahre nach Abschluss dieser Studien wurde ein nennenswerter Anteil der Forschungsergebnisse in die Regelversorgung übernommen beziehungsweise in medizinischen Leitlinien aufgegriffen. Damit haben die vom BMBF geförderten klinischen Studien die Versorgungslandschaft in Deutschland in den vergangenen Jahren nachhaltig verändert.

Dr. Eva Müller-Fries
Dr. Eva Müller-Fries ist wissenschaftliche Referentin im DLR Projektträger und leitet die Koordinationsgruppe „Klinische Studien“. Seit 15 Jahren setzt sie verschiedene Fördermaßnahmen im Bereich der klinischen Forschung um. Die Patientenbeteiligung liegt ihr besonders am Herzen.

Müller-Fries: Ich gebe hierzu mal ein Beispiel: Manche der erfolgreich abgeschlossenen Projekte zeigen, dass auch der Ansatz „Weniger ist mehr“ einen Platz in der modernen Medizin verdient. Eine Studie untersuchte Therapien für Frauen mit leichten Harnwegsinfektionen. Die Forschenden konnten nachweisen, dass die Mehrheit der betroffenen Frauen auch mithilfe eines pflanzlichen Arzneimittels wieder gesund wird. Das spart Antibiotikaverordnungen und hilft, Resistenzen zu vermeiden. Ich möchte ein weiteres erfolgreiches Ergebnis aus dem Bereich der Seltenen Erkrankungen nennen: Hier zeigten Forschende, dass das eigentlich als Blutdrucksenker eingesetzte Medikament Ramipril das Fortschreiten des sogenannten Alport-Syndroms um viele Jahre verzögern kann. Kinder, die von dieser Erkrankung betroffen sind, leiden unter einer Vernarbung des Bindegewebes der Niere. Wenn Ramipril rechtzeitig eingesetzt wird, haben diese Kinder die Chance auf ein Leben ohne Dialyse.

Nichts bleibt, wie es ist – welche Perspektiven und Entwicklungen stehen an?

Müller-Fries: Es gibt in diesem Feld viele Herausforderungen, aber auch spannende Perspektiven. Die aktive Einbindung von Patientinnen und Patienten, ihren Angehörigen sowie weiteren relevanten Zielgruppen zählt dazu: Wenn nicht mehr „über“, sondern „mit“ den Betroffenen geforscht wird, kann dies entscheidend dazu beitragen, die Qualität klinischer Studien zu erhöhen, und ihre Ergebnisse relevanter machen. Wir haben diese Entwicklung früh aufgenommen und beispielsweise eine entsprechende Schulung für Forschende konzipiert sowie eine frei zugängliche Handreichung zum Thema veröffentlicht.

Mehr zum Thema?

In einem Videointerview blick Dr. Jens-Jörg Schnorr, Leiter des Bereichs Gesundheit im DLR Projektträger, auf 20 Jahre klinische Studien.

Die Fragen stellte Dr. Claudia von See, Fachkommunikation Bereich Gesundheit, DLR Projektträger. Ein Beitrag aus dem DLRmagazin 174.

Kontakt

Julia Heil

Redaktion DLRmagazin
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
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