Raumfahrt | 16. August 2017 | von DLR_next

Projekt_4D: Hilfreiche Probleme

Die Zeitkapsel
Quelle: DLR (CC-BY 3.0)

Bei einer Zeitkapsel muss man auch unter technischen Gesichtspunkten vieles bedenken. Und dabei zeigt sich ganz im Kleinen, was auch bei großen Projekten gilt: Hast Du ein Problem gelöst, klopft mit großer Wahrscheinlichkeit gleich ein anderes an Deiner Tür an. Nur hereinspaziert! Probleme sind schließlich dazu da, um gelöst zu werden ;-)

Eine Zeitkapsel ist eine Zeitkapsel ist eine Zeitkapsel. Unsere ist obendrein aber auch noch eine kleine Raumkapsel. Schließlich muss sie - bevor sie auf die lange Zeitreise durch ein halbes Jahrhundert geht - erst einmal ins All und auch wieder zurück zur Erde. Sie wird Alexander Gerst auf der Internationalen Raumstation begleiten, später im Haus der Geschichte in Bonn ausgestellt und 50 Jahre lang verwahrt - und erst dann geöffnet. Damit ergeben sich Anforderungen, die sowohl die Langzeitbeständigkeit als auch die Weltraumtauglichkeit betreffen - mal das eine, mal das andere, oft beides zugleich.##markend##

Zunächst einmal ist da das Gewicht: Objekte, die zur ISS transportiert werden, sollten möglichst leicht sein. Die Zeitkapsel besteht aus einer Aluminiumkugel - grundsätzlich also eine gute Voraussetzung. Der erste Prototyp hatte eine Wandstärke von 4 Millimetern, bei 15 Zentimetern Durchmesser. Macht 700 Gramm - ohne Inhalt. Zu schwer. Also wurde die Hülle auf 3 Millimeter Dicke bei 13,3 Zentimetern Außendurchmesser reduziert - das ergab gerade mal 400 Gramm. Gut. Sehr gut! Die Fertigung durch Auszubildende im DLR-Standort Braunschweig verdient Hochachtung: Denn aus einem Aluminium-Block zwei derart dünnwandige Halbschalen inklusive eines mehrgängigen Gewindes zu fräsen - das ist schon "großes Kino"!

Quelle: DLR (CC-BY 3.0)
Die Grafik zeigt das Innere der Zeitkapsel. 

Auch Kölner DLR-Azubis haben einen wichtigen Beitrag geleistet. Sie fertigten die kleinen Metallzylinder, die in die Kapsel kommen und verschiedene Objekte beinhalten: einen speziellen Datenträger, auf dem unter anderem die Wünsche von etwa 8.000 Kindern und Jugendlichen für die Zukunft und über 2.000 Alltagsfotos gespeichert sind, außerdem kleine symbolische Dinge wie etwa seltene Meteoritenstücke oder ein Miniatur-Papierflugzeug. Die kleinen Metallbehälter kann man aber nicht einfach so in die Alu-Kugel packen. Das alles muss schließlich auch noch gegen die Vibrationen beim Start und gegen Erschütterungen bei Wiedereintritt und Landung geschützt werden. Also muss eine Polsterung her. Normaler Schaumstoff würde das vielleicht leisten - aber hier kommt die Zeitachse und damit ein anderes Problem ins Spiel: Das Material muss 50 Jahre halten. Viele Schaumstoffe würden über diese Dauer spröde oder sie würden sich im schlimmsten Fall in einen "Brei" verwandeln. Die Lösung kam aus dem DLR-Institut für Werkstoff-Forschung. Es stellt ein besonderes Aerogel bereit, das alle Kriterien erfüllt: Es ist bestens als Shock-Protection geeignet und hat sich zudem als besonders langlebig erwiesen. Wie man das bei einem High-Tech-Werkstoff, den es erst seit ein paar Jahren gibt, wissen will? Dazu wird in Klimakammern durch wechselnde Temperaturen und extreme Luftfeuchtigkeit ein künstlicher Alterungsprozess herbeigeführt - gewissermaßen Zeit im Zeitraffer. Das Aerogel wird übrigens auf Silikat-Basis hergestellt - vereinfacht gesagt handelt es sich um Silizium und Sauerstoff, wobei die Molekularstruktur so verändert wurde, dass es besonders große "Poren" hat und damit zu 90 Prozent aus Luft besteht: unglaublich leicht und gleichzeitig ein weiches "Polster", das alle Zwischenräume im Kapsel-Inneren ausfüllt und dadurch verhindert, dass die Dinge im Inneren "herumpurzeln" und sich gegenseitig beschädigen.

Sicherheit und Potentiale

Welches Energiepotenzial hat die Zeitkapsel? Hmm … Diese Frage tauchte im Zuge der Safety-Prüfung für Gegenstände, die ins Weltall fliegen, auf. Denn was auf die ISS kommt, muss auch unter Sicherheitsaspekten harte Anforderungen erfüllen. Die Kapsel wird ja auf der Erde unter normalem Luftdruck gefüllt und verschlossen. Sollte sie in irgendeiner Flugphase einer Vakuum-Umgebung ausgesetzt sein, könnte im Inneren ein gefährlicher Überdruck entstehen - auch ein Aspekt, an den man zu Beginn eines solchen Projekts nicht gleich denkt. Doch anhand einer Formel - dankenswerterweise von zwei DLR_School_Lab-Leitern unabhängig ausgerechnet und von einer Kollegin im DLR-Raumfahrtmanagement zusätzlich gegengecheckt - stellte sich heraus: Die Kapsel ist in ihrer Kleinheit völlig harmlos. Der zwischenzeitlich erwogene Plan B, kleine Löcher in die Kapsel zu bohren, damit sich automatisch ein Druckausgleich ergibt, konnte wieder in die Schublade wandern.

Quelle: DLR (CC-BY 3.0)
Nach dieser Formel wurde das Energiepotenzial der Kapsel berechnet.

Wiederum mit Blick auf die Langzeitbeständigkeit war auch der oben erwähnte Datenträger anfangs mit vielen Fragezeichen versehen. Handelsübliche DVDs oder CDs haben die unangenehme Eigenschaft, dass die digital gespeicherten Daten nach einigen Jahren oder Jahrzehnten "verblassen" können. Museen gehen daher in Abwandlung des berühmten Filmtitels nicht "Zurück in die Zukunft", sondern gewissermaßen "Vorwärts in die Vergangenheit": Sie greifen auf die alte Mikrofilm-Technik zurück und re-analogisieren die heutigen Datensätze. Doch ein Mikrofilm wäre zu groß für die Kapsel und hätte auch nur Schwarz-weiß-Bilder erlaubt (wollte man die Farben nicht über RGB-Graustufen wiedergegeben, was die dreifache Filmmenge und damit noch mehr Platz erfordert hätte). Was also tun? Auch die Information, dass sich Steintafeln seit Jahrtausenden als zuverlässiger Datenträger bewährt hätten, half bei der Suche nach einem geeigneten Medium nicht wirklich weiter. Aufatmen konnten wir, als eine spezielle Glas-Disc - besonders langlebig, zugleich handlich und leicht - ausfindig gemacht wurde. Doch dann kam die E-Mail, die das Aufatmen nahtlos in Schnappatmung übergehen ließ: Der Hersteller hat die Produktion eingestellt. Also wieder mal tief durchatmen und eine andere Lösung suchen und vor allem finden: Nun ist eine M-Disc im Blu-Ray-Format erste Wahl - laut Hersteller 1000 Jahre lang immun gegen digitales Verblassen. Das sollte genügen, denn unsere Zeitkapsel muss ja "nur" 50 Jahre lang halten.

Ob damit alle Probleme gelöst sind? Das weiß man in der Raumfahrt immer erst nach der Landung. Erst vor einigen Tagen kam spät abends der Anruf: Die Sonnenblumenkerne aus verschiedenen Erdteilen - sie sollten als symbolisches Mini-Objekt für das Thema Solarenergie und damit für die Energieforschung im DLR stehen - könnten ein "Show-Stopper" werden. Denn die US-Einfuhrgenehmigungen behandeln Blumensamen ziemlich restriktiv. Daher haben wir kurzerhand eine ganz andere Idee entwickelt: Wir nehmen nun eine Mini-Sonnenuhr mit, die Schülerinnen und Schüler im Unterricht fertigen, unterstützt von Kolleginnen und Kollegen aus Bremen und Lampoldshausen. Eine von Kindern gebaute Mini-Sonnenuhr in einer Zeitkapsel: geradezu poetisch! Eigentlich noch viel schöner als die Sache mit den Sonnenblumen. Was mal wieder zeigt: Manchmal sind Probleme richtig hilfreich, weil sie zum Nachdenken und Hinterfragen und Optimieren zwingen und so zu noch besseren Ergebnissen führen. Moment, wir müssen für heute Schluss machen! Da klopft es gerade an der Tür. "Ja, hereinspaziert!"

 

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