Raumfahrt | 16. Mai 2011 | von Jan Wörner

Gedanken zum Abschied

Am heutigen Montag startete das Space Shuttle Endeavour zur Internationalen Raumstation ISS. An Bord befindet sich das wissenschaftliche Großgerät AMS, das Hinweise auf Dunkle Materie und Antimaterie entdecken soll. Der Flug ist der Letzte der Endeavour, zugleich läutet er das Ende der Shuttle-Ära ein. Parallel zu diesem eher technischen Abschied mussten wir auch Thomas Reiter verabschieden, der seit Mitte April als Direktor für "Human Spaceflight and Operations" der Europäischen Weltraumorganisation ESA tätig ist. Zwei Abschiede im Raumfahrtbereich – Grund genug für mich, über grundsätzliche Fragen der Raumfahrt nachzudenken.

Zuvor jedoch ein kurzer Blick auf das gesamte DLR, das neben der Raumfahrt auch für Luftfahrt, Energie und Verkehr steht, im Auftrag der Bundesregierung für das Raumfahrtmanagement verantwortlich ist und als Projektträger für mehrere Ministerien die Durchführung von Forschungsprojekten organisiert. Alle Themen sind für mich immer hochspannend: In der Luftfahrtforschung wird auf europäischer Ebene an strategischen Ausrichtungen gearbeitet: "Flightpath 2050", der der „Vision 2020“ folgt, ist eines der Ergebnisse. Im Bereich Energie ist seit der politisch verkündeten "Energiewende" nach der Katastrophe von Fukushima forschungspolitisch eine neue Lage eingetreten. In Verkehr und Energie spielen die Überlegungen zur zukünftigen Mobilität mit anderen Energieträgern, insbesondere auf elektrischer Grundlage, eine zentrale Rolle. Und auch das im DLR interdisziplinär angelegte Thema Sicherheitsforschung gewinnt stetig an Bedeutung.

Jan Wörner während seines Vortrages zum Abschied von Thomas Reiter im Rahmen des DLR-Raumfahrtsymposiums am 13. Mai 2011 in der Kölner Vulkanhalle. Quelle: DLR.Die in der Einleitung genannten Abschiede im Bereich der Raumfahrt sind für mich also Anlass für prinzipielle Überlegungen. In Ergänzung zu meinem persönlich ausgedrückten Dank an Thomas Reiter während des DLR-Raumfahrtsymposiums am vergangenen Freitag, 13.Mai 2011, in der Kölner Vulkanhalle soll an dieser Stelle aber auch noch eine ausdrückliche Würdigung seiner Aktivität als Vorstandsmitglied folgen: General Dr.-Ing. e.h. Thomas Reiter war für das DLR ein Glücksfall. Mit Charisma und  Kompetenz leitete er den Bereich Raumfahrtforschung und -technologie und wirkte gleichzeitig in der Öffentlichkeit als Botschafter des DLR und der Raumfahrt. Ich gehe davon aus, dass wir auch weiterhin viele Gelegenheiten der Zusammenarbeit und des Austauschs haben werden. Demgegenüber ist der  "technische Abschied" von der Shuttle-Flotte ein endgültiger Abschied mit weitreichenden Folgen. Zwar gab es auch früher schon mehrjährige Pausen im US-amerikanischen Raumtransport, beispielsweise zwischen der letzen Apollo-Mission im Jahr 1975 und dem ersten Flug eines Space Shuttles im Jahr 1981. Diesmal aber hat die Zwangspause eine sehr relevante Konsequenz, da die ISS auf Jahre hin nicht von den USA angeflogen werden kann. Diese Abhängigkeit von Russland und die Gelassenheit, mit der sie ertragen wird, ist ein Merkmal des viele Facetten der Gesellschaft umfassenden Paradigmenwechsels, der gerade in der Raumfahrt beispielhaft sichtbar wird: Auf dem Weg vom Kalten Krieg der 50er- und 60er-Jahre des letzten Jahrhunderts in die Zukunft zu "einer Welt":

  • von nationalen Eitelkeiten zu globaler Kooperation
  • von Spezialistentum zu allgemeiner Bedeutung
  • von Prestigeprojekten zu Wissenschaft und täglicher Anwendung
  • von staatlicher Aktivität zu Diversität, öffentlich wie privat
  • von Detailsteuerung zu politisch-strategischer Zielsetzung
    und Umsetzung durch kompetente Einrichtungen.

Space Shuttle Endeavour vor ihrem letzten Flug. Credit: NASA.Gleichzeitig fordert die Gesellschaft Transparenz und Teilnahme. Dies alles im Kontext zu sehen und die richtigen politischen Schlüsse zu ziehen ist nicht einfach, wie gerade auch die Diskussion über die zukünftige Energieversorgung zeigt. Es wird in Zukunft noch stärker als in der Vergangenheit darauf ankommen, dass die Entscheidungsträger, unabhängig vom jeweiligen Entscheidungsthema und -umfang ihr tägliches Tun auf Integrität basieren, insbesondere auf die Verknüpfung von Entscheidung, Verantwortung, Legitimation, Partizipation und Kontrolle. Dies gilt insbesondere für demokratische Systeme und wird die Grundlage für die erfolgreiche Weiterentwicklung von Staaten und Einrichtungen sein - auch wenn einige vielleicht von einer wettbewerbsfreien Weltgesellschaft in allgemeinem Wohlstand träumen.

Bild oben: Jan Wörner und Thomas Reiter. Quelle: DLR.

Bild Mitte: Jan Wörner während seines Vortrages zum Abschied von Thomas Reiter im Rahmen des DLR-Raumfahrtsymposiums am 13. Mai 2011 in der Kölner Vulkanhalle. Quelle: DLR.

Bild unten: Space Shuttle Endeavour vor ihrem letzten Flug. Credit: NASA.

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Über den Autor

Im Jan-Wörner-Blog bloggte der ehemalige Vorstandsvorsitzende des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), Prof. Dr.-Ing. Johann-Dietrich "Jan" Wörner, selbst. Seit dem 1. Juli 2015 ist er Generaldirektor der Europäischen Weltraumorganisation ESA. zur Autorenseite