Raumfahrt | 26. Oktober 2011 | von Jan Wörner

Lehren aus dem Ende der ROSAT-Mission

Der deutsche Forschungssatellit ROSAT wurde am 1. Juni 1990 mit einer Delta II-Trägerrakete gestartet und hat neun Jahre lang erfolgreich das Weltall nach Röntgenquellen durchmustert. Die Erfolgsbilanz reicht von der Entdeckung zigtausender Röntgenquellen und der Analyse von Galaxienhaufen, Röntgendoppelsternen und Schwarzen Löchern bis hin zur Entdeckung der Reflexion von Röntgenstrahlung der Sonne durch den Mond. Die Erkenntnisse der an der Mission beteiligten Wissenschaftler erschienen in mehr als 7000 Publikationen. Nach nun insgesamt 21 Jahren im Erdorbit ist ROSAT über dem Golf von Bengalen in die Erdatmosphäre wiedereingetreten. Ob Teile die Erdoberfläche erreicht haben, ist nicht bekannt.

In den ersten Monaten meiner Tätigkeit als Vorstandsvorsitzender des DLR im Jahr 2007 wurde ich über die Situation von ROSAT informiert. Es war damals schon klar, dass ROSAT durch die auch in großen Höhen noch vorhandenen Moleküle der Erdatmosphäre langsam aber stetig abgebremst und schließlich wieder eintreten würde. Die Tatsache, dass ROSAT ein Röntgenteleskop mit hitzebeständigem Zerodur an Bord hatte, bestärkte die Auffassung, dass größere Teile den Wiedereintritt überstehen könnten und damit potenziell eine Gefahr für Personen und Sachen auf der Erde bestünde.

Aufgrund dieser Sorge und ob der Frage nach möglichen Gegenmaßnahmen entwickelte sich in den Folgejahren zunächst zäh und dann immer heftiger eine Diskussion über den Umgang mit ROSAT. Berechnungen der Wahrscheinlichkeit eines Schadens auf der Erde, Notfallüberlegungen und Anfragen an die internationale Raumfahrtgemeinschaft folgten. Es zeigte sich schnell, dass insbesondere die großen Raumfahrtnationen wie USA und Russland aufgrund langjähriger Erfahrungen relativ gelassen mit dem Thema umgingen. Auf der anderen Seite standen die Erkenntnisse über die hitzebeständige, kompakte Struktur von ROSAT und die Wahrscheinlichkeit verschiedener Schadensszenarien.

Rosat-Aufnahme eines Galaxienhaufens vom Mai 1995. Bild: MPE.
Rosat-Aufnahme eines Galaxienhaufens vom Mai 1995. Bild: MPE.

DLR-Raumfahrtmanagement in Bonn-OberkasselIn den letzten Tagen und Wochen vor dem Wiedereintritt wurde die Flugbahn des Satelliten an vielen Stellen sehr aufmerksam verfolgt. Im DLR hatten wir unser Koordinierungszentrum im Raumfahrtmanagement in Bonn-Oberkassel eingerichtet. In engem Kontakt insbesondere mit den Space Debris Offices von ESA/ESOC und NASA wurden dort alle Informationen und Daten analysiert und ausgewertet, die letzten Erdumrundungen gespannt verfolgt. Wie in den Tagen zuvor mussten viele Anfragen von Medien und und der Öffentlichkeit beantwortet werden. Dabei war die Balance zwischen Sorge und Beruhigung zu finden. In enger Kooperation mit den für Krisen zuständigen Stellen der Bundesrepublik Deutschland konnte man letztlich nur beobachten und abwarten. Der Einsatz der verschiedenen Akteure im DLR und bei unseren Partnern war mustergültig. Dafür gebührt allen mein ausdrücklicher Dank. Nachdem ROSAT am frühen Morgen des 23. Oktober 2011 über dem Indischen Ozean niederging, atmeten wir alle zusammen  auf.

Ich selbst ziehe mehrere, allgemeine Lehren aus dem endgültigen Ende der ROSAT-Mission:

  1. Die Verantwortung für ein Projekt muss die gesamte Lebensdauer umfassen und möglichst alle Eventualitäten berücksichtigen.
  2. Die nationale und internationale Zusammenarbeit, egal ob persönlich oder institutionell, hat mittlerweile eine Qualität erreicht, die durch eine sehr verbindliche, positive Stimmung und gegenseitiges Vertrauen gekennzeichnet ist, das entsprechend genutzt werden muss.
  3. Die Kommunikation über Projekte sollte möglichst transparent, immer aber zuverlässig sowie umfassend und korrekt sein. Dabei müssen Erfolge und eventuelle Risiken gleichermaßen kommuniziert werden.

In einer meiner Präsentationen hatte ich ein Bild mit "From Space into your Face" betitelt. Es war nicht zynisch hinsichtlich der Gefahren des Wiedereintritts gemeint, es sollte vielmehr einen weiteren Aspekt von ROSAT illustrieren: Die für die Herstellung des ROSAT-Teleskops entwickelten Schleifverfahren haben den Erfolg der Gleitsichtbrillen ermöglicht. Damit ist ROSAT auch ein Beleg für den vielfach geforderten "Teflonpfanneneffekt", das heißt die Verwendung der Raumfahrt-Entwicklungen in ganz anderen Bereichen. Diese erwünschten "Nebenwirkungen" kann das DLR nicht allein voranbringen, vielmehr sollte es in institutioneller Kooperation mit entsprechenden Partnern eine entsprechende Systematik entwickeln: Auf der einen Seite die Forschung und Entwicklung in unseren Themenbereichen mit den begrenzten Mittel optimal gewährleisteten - und zum anderen den Transfer in andere Bereiche nicht nur absichern, sondern auch vorantreiben. 

Bilder:

Oben: Der Röntgensatellit ROSAT neun Tage vor seinem Wiedereintritt in die Erdatmosphäre am 14. Oktober 2011, zirka einen Kilometer westlich von Aachen an der deutsch-niederländischen Grenze. Gut erkennbar sind das ROSAT-Teleskop (Hauptkörper) sowie die Solarpanele. Quelle: R. Vandebergh / http://ralphvandebergh.startje.be/.

Mitte: Rosat-Aufnahme eines Galaxienhaufens vom Mai 1995. Quelle: MPE.

Unten: DLR-Raumfahrtmanagement in Bonn-Oberkassel. Hier befand sich am Wochenende des 22./23. Oktober 2011 das Koordinierungszentrum des DLR. Quelle: CC-BY-DLR.
 

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Über den Autor

Im Jan-Wörner-Blog bloggte der ehemalige Vorstandsvorsitzende des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), Prof. Dr.-Ing. Johann-Dietrich "Jan" Wörner, selbst. Seit dem 1. Juli 2015 ist er Generaldirektor der Europäischen Weltraumorganisation ESA. zur Autorenseite