Energie | 04. Oktober 2010 | von Jan Oliver Löfken

Energie-Frage der Woche: Ist eine komplette Selbstversorgung mit dezentralen Kraftwerken möglich?

Gut 80 Prozent des genutzten Stroms in Europa fließt von zentralen Kraftwerken über das Stromnetz zum Verbraucher. Mit wachsendem Anteil der regenerativen Quellen steigt aber die Bedeutung der dezentralen Stromerzeugung möglichst nahe am Verbraucher. Mit Projekten für vernetzte Blockheizkraftwerke wird der Trend zur dezentralen und intelligent gesteuerten Stromgewinnung zusätzlich unterstützt. Hat diese Technologie das Potenzial für eine flächendeckende Stromversorgung?

Auf dem ersten Blick scheinen sich mehr dezentrale Kraftwerke und der Ausbau des Stromnetzes zu widersprechen. Doch beide Strategien zusammen führen in die Zukunft einer nachhaltigen Stromversorgung. Denn der Strombedarf in den EU-Staaten mit rund 3000 Terawattstunden jährlich lässt sich auf absehbare Zeit nicht allein mit dezentralen Kraftwerken decken. Großkraftwerke - sei es ein Kohlekraftwerk oder ein ausgedehnter Windpark in der Nordsee - werden auch in Zukunft die Basis für eine hohe Versorgungssicherheit bilden. "Dezentrale Kraftwerke und ein gut ausgebautes Stromnetz ergänzen sich ideal", sagt Franz Trieb vom DLR-Institut für Technische Themodynamik in Stuttgart.

In der Praxis werden Großstädte und energieintensive Industriebranchen weiterhin auf Strom aus Großkraftwerken angewiesen sein. Dagegen hat die dezentrale Erzeugung in ländlichen Regionen oder für intelligent geplante Wohnsiedlungen gute Chancen, eine zunehmend wichtigere Rolle zu spielen. In Deutschland wird dieser Trend durch die Initiative "100% Erneuerbare-Energie-Regionen" gestützt. Immer mehr Kommunen planen, verschiedene Kraftwerkstypen - vom Windrad, über eine Solaranlage bis zum Biogas-Generator - zu so genannten "Virtuellen Kraftwerken" zusammenzuschalten. Mit einem solchen Verbund können schwankende Stromausbeuten ausgeglichen werden und eine zuverlässige dezentrale Versorgung mit Strom und auch Wärme gewährleisten. "Dezentrale Kraftwerke könnten in den kommenden zehn Jahren durchaus einen Anteil von 20 bis 30 Prozent an der Stromversorgung in Deutschland erreichen", sagt Manfred Aigner, Direktor des DLR-Instituts für Verbrennungstechnik in Stuttgart.

Die Mikrogasturbine auf dem Prüfstand im DLR-Institut für Verbrennungstechnik in Stuttgart, Bild: DLR.

Die Mikrogasturbine auf dem Prüfstand im DLR-Institut für Verbrennungstechnik in Stuttgart, Bild: DLR.

Flexibel und wartungsarm: die Mikrogasturbine

So entwickelt das Team um DLR-Forscher Axel Ernst Widenhorn derzeit ein Kleinkraftwerk, das sowohl Strom als auch Wärme für Eigenheime, Krankenhäuser oder ganze Wohnblöcke liefern kann. Herzstück ist eine Mikrogasturbine, die mit Erdgas befeuert eine möglichst hohe Effizienz erreichen soll. In diesen kleinen Gasturbinen im Leistungsbereich von wenigen bis maximal 500 Kilowatt setzt ein verdichteter, heißer Gasstrahl eine Generator-Turbine in Drehung. Im Vergleich zu konventionellen Gasmotoren haben diese Minikraftwerke mehrere Vorteile: Sie können mit verschiedenen Brennstoffen betrieben werden, stoßen weniger Schadstoffe aus und sind bedingt durch ihre einfache Bauweise wartungsarm.

In naher Zukunft sollen diese Gasturbinen auch Biogas effizient nutzen können. So startete kürzlich ein Projekt, in dem das DLR mit Partnern aus der Industrie diese Minikraftwerke binnen weniger Jahre zur Serientauglichkeit treiben will. In einem weiteren Schritt entwickeln die Forscher ein Hybridkraftwerk, in dem sie die Mikrogasturbine mit einer Brennstoffzelle koppeln und so den Wirkungsgrad noch weiter steigern. Neben der Selbstversorgung mit Strom und Wärme bieten all diese Minikraftwerke die Möglichkeit, selbst Strom in ein Netz einzuspeisen. Mit einer intelligenten Steuerung könnten in Zukunft Eigenheim-Besitzer zu kleinen Stromhändlern werden.  Sowohl Kommunen mit "Virtuellen Kraftwerken" als auch einzelne Haushalte könnten in Zukunft am heute von den großen Erzeugern dominierten Strommarkt mitmischen und mehr Wettbewerb ermöglichen.

Mehr zum Thema:

Brücken bauen in der Kraftwerkswelt – Interview mit Prof. Manfred Aigner, Sprecher der Forschungsinitiative KW21

Helmholtz-Podcast mit dem Schwerpunkt-Thema Mikrogasturbinen (September 2010)

Die DLR-Energiefrage der Woche im Wissenschaftsjahr "Die Zukunft der Energie"

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hat das Wissenschaftsjahr 2010 unter das Motto "Die Zukunft der Energie" gestellt. Aus diesem Anlass beantwortet der Wissenschaftsjournalist Jan Oliver Löfken in diesem Jahr jede Woche eine Frage zum Thema Energie in diesem Blog. Haben Sie Fragen, wie unsere Energieversorgung in Zukunft aussehen könnte? Oder wollen Sie wissen, wie beispielsweise ein Wellenkraftwerk funktioniert und wie effizient damit Strom erzeugt werden kann? Dann schicken Sie uns Ihre Fragen. Wissenschaftsjournalist Jan Oliver Löfken recherchiert die Antworten und veröffentlicht sie jede Woche in diesem Blog.

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Über den Autor

Der Energiejournalist Jan Oliver Löfken schreibt unter anderem für Technologie Review, Wissenschaft aktuell, Tagesspiegel, Berliner Zeitung und das P.M. Magazin. Derzeit diskutiert er im DLR-Energieblog aktuelle Themen rund um die Energiewende. zur Autorenseite