Energie | 15. Februar 2010 | von Jan Oliver Löfken

Energie-Frage der Woche: Sind große Wasserkraftwerke eigentlich umweltfreundlich?

Nach Jahrzehnten der Planung soll im Amazonas-Gebiet im Norden Brasiliens nun das drittgrößte Wasserkraftwerk der Welt, Belo Monte, gebaut werden. Die Genehmigung Anfang Februar von der brasilianischen Umweltbehörde IBAMA stieß auf heftige Kritik von Umweltschützern und Sprechern von indigenen Völkern. Wie umweltfreundlich sind die gigantischen Wasserkraftwerke eigentlich?

Die Antwort auf diese Frage ist ausgesprochen schwierig. Im eng besiedelten Europa wird ein Stausee von der Größe einer Großstadt wie Hamburg schnell mit einer Katastrophe für die Umwelt gleichgesetzt. Tausende Menschen müssen umgesiedelt werden, riesige Waldflächen werden zerstört, zahlreichen Pflanzen- und Tierarten droht die Ausrottung, sehr viel klimaschädliches Methan entsteht und lokal kann das Klima dauerhaft verändert werden. Keines dieser Argumente ist falsch. Auch Staaten mit immensen verfügbaren Flächen wie Brasilien sind sich dessen bewusst. "Die Folgen für die Umwelt existieren, aber sie sind ausgewogen, genau analysiert und reduziert", sagte nun der brasilianische Umweltminister Carlos Minc.

Überlauframpe des weltweit zweitgrößten Kraftwerks Itaipu im brasilianisch-paraguayanischen Grenzgebiet mit einer Kapazität von 14.000 Megawatt aus 20 Turbinen. Bild: Jan Oliver Löfken.

Sehr viel "sauberer" Strom

Belo Monte hat eine geplante Kapazität von 11.200 Megawatt, gewatliger wären demnach nur noch der Drei-Schluchten-Staudamm in China und das Kraftwerk Itaipu im brasilianisch-paraguayanischen Grenzgebiet. Diese Kapazität zur Stromerzeugung ist vergleichbar mit bis zu acht großen Kernkraftwerken oder 16 mittleren Kohlekraftwerken und relativiert die Gegenargumente. Das gilt besonders für Zeiten des Klimawandels, in denen alle ihren Strom am liebsten CO2-frei erzeugen wollen. Denn  einmal gebaut, erzeugen die großen Wasserkraftwerke auf Jahrzehnte klimafreundlichen Strom. Und das ausgesprochen günstig, wie das Beispiel Itaipu im brasilianisch-paraguanischen Grenzgebiet mit Kosten von etwa vier Eurocent pro Kilowattstunde zeigt. "Große Wasserkraftwerke sind immer noch sehr klima- und umweltfreundlich im Vergleich zu Kohle- oder Kernkraftwerken", ist Cicero Bley, Koordinator des Brasilianischen Observatoriums für Erneuerbare Energien, überzeugt. Da sich etwa zwölf Prozent der weltweiten Süßwasserreserven in Brasiliens Flüssen sammele, müsse diese Ressource auch entsprechend genutzt werden, so der Energieexperte. Diese Denke ist in Brasilien oft anzutreffen und wird nur von einer Minderheit in Frage gestellt.

So gilt es bei wachsendem Stromhunger von Staaten wie Brasilien oder China, die Folgen eines großen Wasserkraftwerks einzudämmen. Auch das Unternehmen, das die nun folgende Ausschreibung des Belo-Monte-Projekts gewinnt und den Staudamm baut, wird verpflichtet, 1.500 Millionen Real – etwa 500 Millionen Euro – in Umweltprojekte rund um das Kraftwerk am Rio Xingu zu investieren.

Fallrohre des Kraftwerks Itaipu im brasilianisch-paraguayanischen Grenzgebiet. Bild:  Jan Oliver Löfken

Viel Kritik von Umweltschützern und indigenen Völkern

Darauf folgt die berechtige Kritik von direkt Betroffenen. "Wir sind gegen Staudämme am Xingu und werden kämpfen, um unseren Fluss zu schützen", kündigte Megaron Tuxucumarrae, ein Häuptling des im Xingu-Gebiet ansässigen Kayapo-Stammes laut der Nichtregierungsorganisation Amazon Watch an. Belo Monte dürfe nicht das Ökosystem und die Artenvielfalt zerstören. Außerdem sei mit Umsiedlungen von bis zu 40.000 Menschen aus dem Überflutungsgebiet zu rechnen. Zudem könne dieses Kraftwerk, so einer der stärksten Einwände der Umweltschützer, in bis zu vier Monaten pro Jahr wegen zu geringer Wassermengen überhaupt kein Strom produzieren. Das rechtfertige nicht die enormen Investitionen von geschätzten 12,3 bis 17,5 Milliarden Dollar.


Umweltschutz vor Ort oder Mengen an CO2-freiem und klimafreundlichen Strom? Beide Ziele können mit großen Wasserkraftwerken nicht gleichzeitig erreicht werden. Sollten sie dennoch gebaut werden, müssen die Umweltfolgen nach bestem Wissen eingeschränkt werden. Bei den zu erwartenden Profiten wäre dazu auch genug Geld vorhanden. Ob es auch entsprechend investiert wird, kann wiederum angezweifelt werden. Hin- und hergerissen zwischen den Argumenten muss leider auch ich Ihnen eine eindeutige Antwort auf diese Frage schuldig bleiben. Aber gespannt bin ich auf Ihre Einschätzungen und Meinungen zu diesem Thema.

Die DLR-Energiefrage der Woche im Wissenschaftsjahr "Die Zukunft der Energie"

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hat das Wissenschaftsjahr 2010 unter das Motto "Die Zukunft der Energie" gestellt. Aus diesem Anlass beantwortet der Wissenschaftsjournalist Jan Oliver Löfken in diesem Jahr jede Woche eine Frage zum Thema Energie in diesem Blog. Haben Sie Fragen, wie unsere Energieversorgung in Zukunft aussehen könnte? Oder wollen Sie wissen, wie beispielsweise ein Wellenkraftwerk funktioniert und wie effizient damit Strom erzeugt werden kann? Dann schicken Sie uns Ihre Fragen per E-Mail. Wissenschaftsjournalist Jan Oliver Löfken recherchiert die Antworten und veröffentlicht sie jede Woche in diesem Blog. 

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Über den Autor

Der Energiejournalist Jan Oliver Löfken schreibt unter anderem für Technologie Review, Wissenschaft aktuell, Tagesspiegel, Berliner Zeitung und das P.M. Magazin. Derzeit diskutiert er im DLR-Energieblog aktuelle Themen rund um die Energiewende. zur Autorenseite