Energie | 19. Dezember 2013 | von Marc Deissenroth

Optionale oder verpflichtende Direktvermarktung für Erneuerbare Energien – wer profitiert wie?

Wenn die Politik in den Energiemarkt eingreift, kann dies Auswirkungen haben, die im Vorfeld keiner bedacht hat. Mit dem Simulationsmodell AMIRIS verfügen wir am DLR-Institut für Technische Thermodynamik über ein Werkzeug, das solche Auswirkungen im Vorfeld aufzeigen kann. Mit diesem Werkzeug haben wir unter anderem untersucht, wie der Strommarkt reagiert, wenn die Direktvermarktung von Erneuerbaren Energien verpflichtend eingeführt würde. Die Ergebnisse zeigen, dass AMIRIS aktuelle Entscheidungsprozesse gut unterstützen kann.

DLR-Software analysiert Auswirkungen von politischen Maßnahmen

Das weltweit beachtete Erneuerbare Energien Gesetz (EEG) hat bisher sehr erfolgreich zu einem Anteil der erneuerbaren Energien (EE) an der Stromerzeugung von rund 23 Prozent (2012) beigetragen. Im Jahr 2012 hat die Novellierung des EEG neue Optionen zur Vermarktung des Stroms aus regenerativen Quellen eingeführt, um die Marktintegration der EE anzureizen. Langfristig, so die Idee, sollen die Förderkosten für die Erneuerbaren Energien sinken und die Einspeisung soll sich stärker am Bedarf orientieren. Unter anderem. können die Anlagenbetreiber nach dieser Novellierung eine optionale Marktprämie in Anspruch nehmen, wenn sie den erzeugten Strom (z.B. an der Strombörse) vermarkten (§33b, g EEG). Die Höhe der Marktprämie wird dabei monatlich aus der Differenz zwischen dem Erlös, der durchschnittlich an der Börse erzielt werden kann, und dem Anspruch der Anlagenbetreiber nach der EEG-Einspeisevergütung abdeckt. Bei der Direktvermarktung kommen für die Anlagenbetreiber Prozesse hinzu, die zu deutlichen Zusatzkosten führen (zum Beispiel Entgelte für die Handelsanbindung an der Börse sowie Profilservicekosten für Prognosen und Ausgleichsenergie). Um trotz dieser Kosten die Direktvermarktung attraktiv zu gestalten, wurde in der Novellierung zusätzlich die Auszahlung einer Managementprämie für die Teilnehmer an der Vermarktung eingeführt.

In Expertenkreisen wird kontrovers darüber diskutiert, ob das Instrument der direkten Vermarktung überhaupt den gewünschten Effekt einer stärkeren Marktorientierung der EE-Anlagenbetreiber bewirkt beziehungsweise ob dessen Ausgestaltung verändert werden muss. Die Diskussion scheint Erfahrungen aus der Vergangenheit zu bestätigen, die zeigen, dass die Einführung politischer Instrumente nicht immer die gewünschten Effekte hervorbringt. Politische Maßnahmen sollten deshalb vor ihrer Einführung auf ihre Wirkung auf die betroffenen Akteure detailliert und mit großer Sorgfalt analysiert werden.

Simulationsmodel berechnet Auswirkungen in stündlicher Auflösung

Das Team der Abteilung Systemanalyse und Technikbewertung setzt genau bei dieser Notwendigkeit der Analyse der Auswirkungen von energiepolitischen Rahmenbedingungen an und hat mit dem Simulationsmodell AMIRIS (Agentenbasiertes Modell zur Integration Regenerativer in die Strommärkte) ein Werkzeug für die Politikberatung entwickelt. Das Modell beinhaltet neben dem Strommarkt auch seine Akteure. Um deren Vielfalt zu berücksichtigen, haben wir auf Basis einer detaillierten soziologischen Akteursanalyse unter anderem zehn verschiedene Typen von Direktvermarktern (sog. Zwischenhändler) im Modell implementiert. Diese unterscheiden sich unter anderem hinsichtlich ihrer Erfahrung im Handel, dem zur Verfügung stehenden Kapital, der Prognosegüte sowie der Portfoliogrößen und zusammensetzungen. Damit wir den Einfluss von Änderungen der energiepolitischen Rahmenbedingungen auf die Akteure analysieren können, haben wir das jeweilig sich ergebende "Marktgeschehen" in stündlicher Auflösung über mehrere Jahre simuliert. Auf diese Weise haben wir auch untersucht, wie sich das Verhalten der Akteure verändert, wenn, wie derzeit diskutiert, die aktuelle optionale  zu einer verpflichtenden Direktvermarktung (DV) verändert wird. Eine Verpflichtung zur DV sieht vor, dass die zusätzlich zur Marktprämie ausgezahlte Managementprämie nicht mehr vergeben wird. Dadurch reduzieren sich die Erlöse der Zwischenhändler bei gleichzeitig weiterbestehenden Kosten für Personal, Handel etc. Eine entsprechende Simulation des Marktes führt für die Zwischenhändler zu dem in Abb. 1 dargestellten Ergebnis. Die entstehenden spezifischen Kosten nehmen je nach Typ des Händlers für die Jahre 2012-2019 Werte zwischen 1€/MWh und 3,5€/MWh an (diese Werte entsprechen recht genau den Abschätzungen von Direktvermarktern aus der Praxis, was als Hinweis auf die Verlässlichkeit des Modells gewertet wird). Die Kosten hängen von der Portfoliozusammensetzung der Händler ab - hohe Anteile fluktuierender EE (Wind und Photovoltaik) bewirken im Gegensatz zu regelbaren EE (Biomasse) aufgrund der notwendigen Erzeugungsprognosen tendenziell höhere Kosten zum Ausgleich von Erzeugung und Nachfrage. Aus dem Ergebnis der Simulation zur verpflichtenden DV können sich daher folgende mögliche Risiken ableiten lassen:

 

  1. Marktkonzentration: Direktvermarkter mit großen Portfolien werden vergleichsweise geringere Vermarktungskosten haben, da sich Skaleneffekte beim Stromhandel sowie eine breite räumliche Verteilung der EE-Einspeiseanlagen positiv auf die Kosten auswirken. Dies kann zu Konzentrationseffekten führen und marktbeherrschende Händler hervorbringen, die mit ihrer Marktmacht die Bedingungen für weitere EE-Investitionen stark erschweren und im Extremfall den Ausbau regenerativer Energien zum Erliegen bringen könnten.
  2. Steigende Kosten: Verfolgt die Politik das Ziel, die heutige Diversität bei den Direktvermarktern zu erhalten und auch Akteuren mit kleineren Portfolien die Chance zu geben, sich am Markt zu behaupten, muss sie es ermöglichen, dass die höheren spezifischen Vermarktungskosten durch eine Prämie kompensiert werden. Die für einen heterogenen Markt notwendigen Kompensationsprämien können dann zu steigenden Förderkosten für Strom aus Erneuerbaren Energien führen.
  3. Geringere Einspeisevergütung: Für die Anlagenbetreiber bedeutet die verpflichtende Vermarktung ohne Kompensationsleistungen über die Managementprämie eine indirekte Kürzung der Einspeisevergütung in Höhe der spezifischen Vermarktungskosten sowie einer angemessenen Gewinnmarge der Zwischenhändler.


 

Simulationsergebnis mit verpflichtender Direktvermarktung als Rahmenbedingung. PG: Portfoliogröße, WA/BA: Windenergieanteil/Biomasseanteil am Portfolio, LP: Leistungsprognose. Zwischenhändler mit vergleichsweisem hohem Anteil an Biomasse und einem großem Portfolio haben geringere spezifische Kosten, bei hohem Windanteil hilft ein großes Portfolio mit entsprechend guter Leistungsprognose.

Im Gegensatz zu den Auswirkungen auf die fluktuierenden erneuerbaren Energien stellt die Einführung der verpflichtenden Direktvermarktung für die regelbaren erneuerbaren Energien (rEE), wie die Biomasseanlagen, ein im Vergleich geringeres Risiko dar, vgl. Abb. 1. Zudem würde die Heranführung der rEE an den Markt zur Hebung ihres Flexibilisierungspotentials beitragen, solange die Finanzierung einer entsprechenden technologischen Auslegung gesichert ist.

An diesem Beispiel zur Direktvermarktung wird deutlich, wie schon vermeintlich geringe Anpassungen von politischen Maßnahmen große Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung von Akteuren und die Marktstruktur haben können. Die vorgestellten Ergebnisse zeigen, dass AMIRIS zur Unterstützung von aktuellen Entscheidungsprozessen gut geeignet ist, objektive und transparente Beiträge für zukünftige Diskussionen beizusteuern und politischen Steuerungsmaßnahmen eine valide Basis geben kann.

 

Foto: Wartungsarbeiten an Strommast, Quelle: Clipdealer

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Über den Autor

Marc Deissenroth arbeitet in der Abteilung Systemanalyse und Technikbewertung des Institutes für Technische Thermodynamik in Stuttgart. Er untersucht die Strategien einer nachhaltigen Entwicklung im Energiebereich und analysiert die politischen Förderinstrumenten mit Multi-Agent-Systemen. zur Autorenseite