Raumfahrt | 06. Juni 2011 | von Dietmar Lilienthal

Flugzeug-Astronomie live erlebt - Bericht vom zweiten SOFIA-Wissenschaftsflug mit GREAT

SOFIA: Teleskop
SOFIA: Teleskop

Als 1998 ein Konsortium deutscher Forschungsinstitute (Max-Planck Institut für Radioastronomie in Bonn, Universität zu Köln, Max-Planck Institut für Sonnensystemforschung und DLR-Institut für Planetenforschung) beschloss, den German Receiver for Astronomy at Terahertz Frequencies (GREAT) als Principal Investigator Instrument der ersten Generation für das SOFIA-Observatorium zu entwickeln, war ich bereits einige Jahre im SOFIA-Projekt tätig. Zu diesem Zeitpunkt wurde angestrebt, das Observatorium Ende 2001 in Betrieb zu nehmen. Nicht nur Optimisten rechneten damit, dass dann auch sehr bald das Heterodyn-Spektrometer GREAT zum Einsatz kommen würde.

Wer hätte seinerzeit gedacht, dass es noch volle 13 Jahre bis zum Erstflug von GREAT auf SOFIA dauern würde? Doch nun endlich, im April 2011, ist es so weit! SOFIA und GREAT stehen einsatzbereit im NASA-Betriebszentrum in Palmdale (Kalifornien, USA). Der Planungsablauf sieht insgesamt vier Flüge mit GREAT an Bord von SOFIA vor: einen Observatory Characterization Flight (OCF), der zugleich als Commissioning Flight für GREAT dient und drei Wissenschaftsflüge im Rahmen der so genannten "Short Science"-Phase.

Nach dem erfolgreichen Abschluss der beiden ersten Flüge mit GREAT, die am 31. März / 1. April (OCF) und 5./6. April 2011 stattfanden, sehe ich mit gespannter Erwartung nun dem dritten Wissenschaftsflug entgegen. Als Begleiter unserer SOFIA-Gäste, dem Wissenschaftsjournalisten Thomas Bührke und Henning Krause (Escort, DLR-Kommunikation), werde ich Gelegenheit erhalten, "SOFIA’s Geheimnisse", das Instrument GREAT und die wissenschaftlichen Zielsetzungen der astronomischen Beobachtungen live an Bord zu erläutern.

Doch noch gilt es einige Hürden zu nehmen. Schon zu Beginn der Kampagne deutete sich an, dass es im US-Kongress womöglich keine Einigung über das Budget der Regierung geben wird und somit ein möglicher Government Shutdown droht. In diesem Falle stünde eine längere Unterbrechung der SOFIA-Wissenschaftsflüge bevor. Da sich zudem das Wetter als zunehmend ungünstig erweist, beschließt die NASA am 8. April 2011, den zweiten Wissenschaftsflug um einige Tage zu verschieben.

Bild: Selbst das Wetter in Palmdale, im Antilope Valley gelegen, scheint sich nicht entscheiden zu können: Kündet die Bewölkung vom drohenden Government-Shutdown oder ist sie ein Vorbote der strahlenden Urania. Bild: Dietmar Lilienthal.

Zum Glück bleibt der Government Shutdown aus und die Flüge mit GREAT können in der nachfolgenden Woche wieder aufgenommen werden. Allerdings sind einige Umplanungen erforderlich: die Teilnahme unserer Gäste an Bord von SOFIA wird vom dritten auf den zweiten Flug vorverlegt. Dieser findet nun am 12./13. April 2011 statt, und wie der Zufall so spielt, ist der Takeoff des 53. SOFIA-Fluges exakt am 50. Jahrestag der ersten Erdumrundung durch Juri Gagarin in seinem Raumschiff Wostok 1 im Jahre 1961. Da sich auch das Wetter inzwischen zum Besseren gewendet hat, steht einer aussichtsreichen Astronomie-Tour im SOFIA-Kabrio nun nichts mehr im Wege.

Der Missionsablauf ist genau vorgeplant, aber von den meisten Flugvorbereitungen bekommen wir heute nichts mit. Die 24-köpfige Flugbesatzung hat einen 15-stündigen Einsatz vor sich und wird sich erst im Laufe des Nachmittags einfinden. Um 14:00 Uhr lokaler Zeit wird SOFIA aus dem Hangar auf das Vorfeld, die so genannte "Ramp", geschleppt. Gegen 15:30 Uhr erfolgt die Kühlung des Instrumentes GREAT mit flüssigem Stickstoff und Helium und die Steuersoftware des MCCS (Mission Command and Control System) wird getestet. Um 18:00 Uhr ist Crew Brief.

Bild: Beim Crew Brief wird die gesamte Besatzung über alle wichtigen Aspekte der Mission informiert, einschließlich der Wetteraussichten für den 53. SOFIA-Flug. Bild: DLR.

Der Flugplan orientiert sich - wie immer - an den wissenschaftlichen Anforderungen. Der PI des GREAT-Teams, Rolf Güsten, hat die astronomischen Zielsetzungen im GREAT Short Science Plan Flight #2 beschrieben und stellt das ambitionierte Programm auf dem Crew Brief vor. Die einzelnen Flugetappen werden uns von California (CA) aus über Nevada (NV), Idaho (ID), California (CA), Oregon (OR), Washington (WA), Idaho (ID), Montana (MT), North Dakota (ND), South Dakota (SD), Nebraska (NE), Kansas (KS), Oklahoma (OK), Texas (TX), New Mexico (NM), Arizona (AZ), Nevada (NV) und wieder zurück nach California (CA) führen.

Bild: Flugplan für den 2. Short Science Flight mit GREAT. Bild: NASA.

Die Auswahl der astronomischen Objekte für die einzelnen Flight Legs (die einzelnen Flugabschnitte) sieht vielversprechend aus: Nach einer Kalibrierungsmessung an Saturn zu Beginn der Mission stehen eine Reihe galaktischer und extragalaktischer Objekte auf dem Programm.

Gegen 18:15 Uhr ist Flight Crew Entry und um 19:00 Uhr wird die Tür des Fliegers zur Startvorbereitung geschlossen. Die Zeit bis zum Takeoff vergeht im Eiltempo. Der Start verläuft erstaunlich unspektakulär, ruhiger als in einem Linien-Jet, allerdings mit kraftvollem Schub der J-Triebwerke. Als nach etwa 15 min Flugzeit die Tür der Teleskop-Luke im Heck von SOFIA geöffnet wird, hat es kaum jemand wahrgenommen.

Video: Der SOFIA-Wissenschaftsflug am 12./13. April 2011

 

 

Video: NASA.

Das Instrument GREAT ist messbereit. Es wird in zwei Infrarot-Kanälen bei "niederen Frequenzen" in der Konfiguration L1a: 1,25 – 1,39 Terahertz (THz, etwa 230 Mikrometer) und L2: 1,82 – 1,92 THz (etwa 160 Mikrometer) simultan betrieben. Somit lassen sich die Emissionslinien verschiedener Moleküle beziehungsweise Übergänge in beiden Spektralbändern in derselben Raumrichtung gleichzeitig nachweisen. Nach dem Steigflug bis in eine Höhe von circa 37.000 Fuß richten die Piloten den Flieger mit seiner Luke auf Saturn aus und erste Kalibrierungsmessungen werden vorgenommen.

Nach den Kalibrierungsmessungen beginnt der astronomisch interessante Teil des Beobachtungsfluges, die Suche nach interstellaren Molekülen in galaktischen und extragalaktischen Objekten. Die Piloten ändern das "heading" des Fliegers um circa 135 Grad, so dass nun IC443 ins Blickfeld des Teleskops kommt (IC steht für Index Catalogue). Es handelt sich um den so genannten Quallennebel (Jellyfish Nebula), ein Supernova-Überrest im Sternbild Gemini (Zwillinge), circa 1,5 Kiloparsec (etwa 5000 Lichtjahre) entfernt. Supernovae stellen das finale, explosionsartige Verglühen massiver Sterne dar. Doch die Schockwellen der Explosion verdichten das umgebende interstellare Medium als Neuanfang der nächsten Generation der Sternentstehung. Und sogleich schlägt das Herz des Spektroskopikers höher: die ersten Spektren des interstellaren Kohlenmonoxids CO (12-11) erscheinen auf den Datenmonitoren, und möglicherweise auch OH-Linien. GREAT und das SOFIA-Teleskop erfüllen auch auf diesem Flug die Erwartungen der Beobachter!

Bild: Principal Investigator Rolf Güsten (links) dirigiert sein Team. Mitte rechts: Wissenchaftsjournalist Thomas Bührke. Bild: DLR.

Auf Cep B (Entfernung: circa 2400 Lichtjahre), eine galaktische Molekülwolke im Sternbild Cepheus, zeigt sich neben CO in dem höherfrequenten Kanal auch eine deutliche CII-Emissionslinie, die einfach ionisierte Kohlenstofflinie, eine wichtige Kühlungslinie im interstellaren Gas.

Diese Linie ist deshalb so wichtig, weil Sterne nur entstehen können, wenn sich verdichtete Wolken bilden und kühle interstellare Materie kondensiert. Allerdings wird das interstellare Gas einer Molekülwolke durch die harte UV-Strahlung der umgebenden heißen (jungen!) Sterne der ersten Generation (Spektraltyp O und B) ionisiert, so dass die freigesetzten Elektronen durch ihre kinetische Energie das umgebende Gas kontinuierlich aufheizen. Damit es überhaupt zu einer Kühlung kommen kann, muss es also auch Verlustprozesse geben. Durch Stoßanregung der Kohlenstoffatome kann die hohe kinetische Energie der Elektronen teilweise in Strahlungsenergie umgewandelt werden. Dabei werden gebundene Elektronen durch die Stöße an- und abgeregt, wobei niederenergetische Photonen abgestrahlt werden, die die Molekülwolke nicht weiter aufheizen. Die CII-Linien sind also ein möglicher Indikator für Sternenstehungsgebiete. Eine weitere Kühlungslinie ist die OI-Linie des atomaren, neutralen Sauerstoffs. Sie liegt bei einer Frequenz von 4,7 THz (63,18 Mikrometer) und wird zukünftig mit dem 3. Kanal von GREAT, beigestellt durch DLR-PF, zu beobachten sein.

Bild: CII-Kühlungslinie in der Molekülwolke Cep B bei einer Wellenlänge von 158 Mikrometer. Die Beobachter an Bord von SOFIA können die Ergebnisse der Messungen auf den Datenmonitoren live verfolgen. Bild: DLR.

Nun wird das Teleskop auf M82 ausgerichtet, die berühmte irreguläre Galaxie im Sternbild Ursa Major, ca. 14 Millionen Lichtjahre entfernt. Sie zeigt in ihrem Zentrum einen heftigen "Starburst". Auch auf M82 zeigen sich CO-Linien.

Um entscheiden zu können, ob zum Beispiel zwei Molekül-Linien verschiedener Wellenlänge ihren Ursprung in der gleichen Wolke beziehungsweise im gleichen Objekt haben, müssen sie die gleiche Geschwindigkeit und gleiche Bewegungsrichtung aufweisen. Mit Hilfe der Dopplerformel und den bekannten Ruhwellenlängen der Linien lassen sich die Linien beobachteter Wellenlänge beziehungsweise Frequenz auf einer Geschwindigkeitsskala darstellen. Alle zusammengehörigen Linien einer Molekülwolke müssen dann dieselbe Geschwindigkeitsposition aufweisen. Nach einer Normierung der Geschwindigkeitsangaben (so genannte LSR-Korrektur, "Local Standard of Rest") lassen sich die Bestandteile verschiedener Wolken meist gut unterscheiden. Bei Galaxien führen die hohen individuellen Systemgeschwindigkeiten sowie die kosmische Rotverschiebung meist zu einer sehr großen Verschiebung der beobachteten Linien. Bei M82 sieht man die Linien bei +210 Kilometer pro Sekunde. Da man zudem bei M82 auf die Kante blickt (edge on), führt die Rotation der Galaxie dazu, dass sich die Materie auf der einen Seite von uns entfernt und auf der anderen annähert. Da mit dem Beam des Instrumentes GREAT die Galaxie nicht in ausreichendem Maße räumlich aufgelöst werden kann, sind die beobachteten Linien sehr verbreitert.

Bild: Flugroute des SOFIA-Flugs in der Nacht vom 12. auf den 13. April 2011. Bild: Flightaware.com.

Beim Flug über North Dakota ändern die Piloten das heading erneut um circa 90 Grad. SOFIA fliegt jetzt in südöstlicher Richtung und klettert auf eine Höhe von etwa 43.000 Fuß. Nun kommt Sharpless 106 (S106), der bipolare Nebel im Sternbild Cygnus (Schwan) ins Blickfeld. In einer Entfernung von 1500 Lichtjahren gelegen, ist S106 ein außergewöhnliches Objekt. Es zeigt zwei "Lobes" mit einer zentralen Staubscheibe und einem Zentralstern. Ohne die Absorption des Staubs wäre dieser Stern so hell wie Sirius. Mit dem Hubble Space Telescope wurden mehrere protoplanetare Scheiben in der Umgebung nachgewiesen. Nun kann auch mit GREAT erstmals die C+-Linie auf S106 beobachtet werden.

Gegen 2:33 Uhr kommt bei mir extreme Müdigkeit auf, aber das Team ist immer noch hochmotiviert. Wir fliegen nun wieder gen Westen. Das letzte, etwa 3 Stunden lange Flight Leg, dient der Beobachtung des galaktischen Zentrums im Sternbild Sagitarius (Schütze). Es sollen hohe Rotationsübergänge des CO-Moleküls in der zirkumnuklearen Scheibe um die zentrale Massenkonzentration im Zentrum der Milchstraße beobachtet werden. Die Gasscheibe rotiert mit einer Geschwindigkeit von circa 120 Kilometern pro Sekunde um Sgr A. GREAT kann erstmals in Ergänzung zu den mit HIFI auf Herschel beobachteten CO (10-9)-Linien auch die CO (11-10)-, CO (13-12)- und CO (16-15)-Übergänge nachweisen und selbst OH- und H2D+-Linien deuten sich an. Zu Letzteren müssen auf den für Juli geplanten Flügen mehr Photonen gesammelt werden, um die Entdeckungen statistisch signifikant zu machen.

H2D+ liefert uns Informationen über extreme physikalische Bedingungen. Entsprechend der chemischen Modelle friert es als eines der letzten Moleküle aus der Gasphase aus und lagert sich auf Stauboberflächen an – damit kann man mit diesem Molekül die Dynamik der frühesten Phasen der Sternentstehung, das heißt tief in die Molekülwolken eingebettete Protosterne, besonders gut beobachten.

Das schwere Isotop Deuterium, das aus einem Proton und einem Neutron besteht, wird sich zukünftig in der Verbindung HD mit dem 2,7 THz-Kanal von GREAT beobachten lassen. Da man annimmt, dass Deuterium nur primordial, das heißt kurz nach dem Urknall, entstehen konnte, werden diese Beobachtungen Aufschluss über seine Häufigkeit und damit über mögliche kosmologische Modell liefern.

Hier dürfen wir auf die abschließende Auswertung des Datenmaterials durch die beteiligten Wissenschaftler des Max-Planck-Institutes für Radioastronomie in Bonn und der Universität zu Köln gespannt sein.

Sonnenaufgang: SOFIA kurz nach der Landung in Palmdale. Bild: DLR (CC-BY 3.0).

Als wir gegen 6:05 Uhr landen und uns zum so genannten Debrief wieder im Konferenzraum einfinden, sind zwar die Gesichter der Besatzungsmitglieder von den nächtlichen Anstrengungen des langen Fluges gezeichnet, aber die erfolgreichen Beobachtungsergebnisse liefern eine angemessene Entschädigung. Unsere Gäste an Bord von SOFIA haben sich von der sachlichen und produktiven Atmosphäre an Bord von SOFIA mitreißen und überzeugen lassen und wären sicher einer Wiederholung des Abenteuers an Bord von SOFIA nicht abgeneigt.

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Über den Autor

Dr. Dietmar Lilienthal ist seit 15 Jahren im SOFIA-Projekt tätig und hat die elektrische und S/W-Integration des SOFIA-Teleskops in die 747SP in den USA mit begleitet. Außerdem hat er die vertraglichen Voraussetzungen für die Gründung des Deutschen SOFIA Instituts (DSI) an der Universität Stuttgart geschaffen. zur Autorenseite