Raumfahrt | 06. Mai 2013 | von Dietmar Lilienthal

SOFIA: Bereit für den Südhimmel

Es sollte doch alles Routine sein, denn immerhin stand am 10. April 2013 bereits der 100. SOFIA-Flug bevor. Aber ehe es zu dem als "Engineering Flight" geplanten Jubiläumsflug mit dem deutschen Instrument GREAT (German Receiver for Astronomy at Terahertz Frequencies) an Bord der 747SP und den sich anschließenden beiden Wissenschaftsflügen vom Betriebszentrum in Kalifornien aus kommen konnte, wurde der gesamte Zeitplan der Kampagne durch unerwartete technische Herausforderungen und die harschen Wetterbedingungen völlig infrage gestellt.

So wehte am Montag, dem 8. April ein heftiger Sandsturm durch die Mojave-Wüste und veranlasste die NASA dazu, den Hangar aus Sicherheitsgründen zu schließen. Die vorgesehenen nächtlichen "Line Ops", die bodengebundenen Testbeobachtungen des gesamten Systems, mussten verschoben werden.

Bild: Dryden Aircraft Operations Facility (DAOF) in Kalifornien, während des Sandsturms am 8. April 2013. Quelle: Dietmar Lilienthal.

Wir hatten jedoch Glück: Bereits am nächsten Tag präsentierte sich der Himmel wieder im gewohnten "Wüstenblau", und die Vorbereitungen für den so genannten Cycle-1 mit GREAT konnten fortgesetzt werden.

Immerhin: Seit September 2011 war GREAT nicht mehr im Einsatz, und in der Zwischenzeit hat das Team des Max-Planck-Instituts für Radioastronomie (MPIfR) und des 1. Physikalischen Instituts der Universität zu Köln unter der Leitung des Principal Investigators Rolf Güsten und des Co-Investigators Jürgen Stutzki eine Anzahl wichtiger Verbesserungen an dem Heterodyn-Empfänger vorgenommen. So wurde das gesamte Optik-Design optimiert. Außerdem wurden verbesserte HEB-Mischer (Hot Electron Bolometer) und Lokaloszillatoren für das konstante Referenzsignal des Empfängers eingebaut. Mit diesen Maßnahmen konnte gegenüber 2011 die Empfindlichkeit von GREAT um mehr als einen Faktor zwei gesteigert werden. Selbstverständlich wirkt sich dies positiv auf die wissenschaftliche Effizienz des gesamten Observatoriums aus, da mehr Spektren im gleichen Zeitraum beobachtet werden können und zudem das Signal-zu-Rausch-Verhältnis der Spektren deutlich besser ausfällt.

Bild: SOFIA bereit zum Flug #100 am 10. April 2013. Quelle: Dietmar Lilienthal.

In der jetzigen Kampagne galt es, das verbesserte Instrument in der bereits erfolgreich geflogenen Konfiguration L1/L2 (Frequenzen von etwa 1,25–1,52 sowie 1,82–1,92 GHz) erneut zu testen, einen Wissenschaftsflug durchzuführen und danach erstmals die neue Konfiguration L2/M (Frequenzen von etwa 1,82–1,92 sowie 2,5–2,6 GHz) im Flug in Betrieb zu nehmen. Die Verfügbarkeit des neuen Frequenzbereichs bildet eine wichtige Grundlage für den ersten Einsatz von SOFIA an der Südhemisphäre. Mit dieser Anordnung öffnet sich ein Fenster zu neuer Wissenschaft, da nun auch die Beobachtung von Molekülübergängen des OH und HD (D steht für schweren Wasserstoff, Deuterium) möglich sind. Die Planung sieht vor, dass SOFIA am 12. Juli 2013 zu einem ca. einmonatigen Aufenthalt in Neuseeland starten soll. Die Reise geht über Hawaii nach Christchurch. Von dort aus werden dann insgesamt neun weitere Forschungsflüge durchgeführt. Die Schwerpunkte der Beobachtungen werden auf dem galaktischen Zentrum und den Magellanschen Wolken liegen, zwei irreguläre Zwerggalaxien in der nächsten Nachbarschaft unserer Milchstraße.

Als Vorbereitung zum Wissenschaftsflug #101 wurde während des "Engineering Flights" (Jubiläumsflug #100) die Funktion des Gesamtsystems getestet, insbesondere das Zusammenspiel zwischen dem Instrument GREAT und dem sogenannten MCCS (Mission Command and Communication System) vermittels des KOSMA-Software-Translators der Universität zu Köln.

Der erste Wissenschaftsflug #101 fand vom 12. auf den 13. April statt, und ich hatte einmal mehr Gelegenheit, mit an Bord dabei sein zu können.

Bild: Flugplan für Wissenschaftsflug #101 mit GREAT an Bord von SOFIA. Der Flug begann auf dem KPMD Airport in Palmdale, führte weit nach Norden bis Idaho, an der kanadischen Grenze gelegen, dann nach Osten bis Minnesota an den großen Seen, nach Süden bis Illinois und schließlich über die südlichen Staaten hinweg in einem weiten Bogen in westlicher Richtung zurück nach Kalifornien. Quelle: NASA.

Der Flug war mit 9:44 Stunden Dauer veranschlagt. GREAT wurde in zwei Infrarot-Kanälen bei niederen Frequenzen in der Konfiguration L1/L2 simultan betrieben. Beobachtet wurde ein Ensemble galaktischer und extragalaktischer Objekte. Je nach Sichtbarkeit der Beobachtungsobjekte und Blickrichtung wurden die einzelnen Flugabschnitte (legs) zu einer Flugroute zusammengesetzt. Zur Freude des GREAT-Teams erwies sich während des gesamten Fluges das System als sehr stabil. Die Effizienz des Observatoriums, das heißt, die tatsächliche Integrationszeit „on source“, betrug im Durchschnitt nach ersten Schätzungen ca. 55 Prozent. Als in einer Flüghöhe von 39.000 Fuß (etwa 11,2 Kilometer) erste Linien des Kohlenmonoxids mit den Übergängen CO (11-10), (13-12) und (16-15) in Richtung des Supernovaüberrests IC443 (IC = Index Catalogue) gemessen und an den Monitoren graphisch dargestellt wurden, war das gesamte Team begeistert, denn die gegenüber den Beobachtungen in 2011 deutlich verbesserte Qualität des Signal-zu-Rausch-Verhältnisses und die fantastischen Baselines der Spektren waren offensichtlich.

IC443 ist als Quallennebel oder "Jellyfish Nebula" bekannt und liegt in einer Entfernung von etwa 5000 Lichtjahren im Sternbild Gemini (Zwillinge). Es handelt sich somit um ein Objekt in unserer Milchstraße, das als Überbleibsel der Supernova-Explosion eines massereichen Sterns gilt, die vor ca. 3.000-30.000 Jahren stattfand. Die Stoßfronten der Explosion breiten sich in die umgebende riesige Molekülwolke aus. Das Interesse der Astronomen richtet sich darauf, die Moleküle am Rande dieser Stoßfronten zu beobachten und den Prozess der Entstehung von Sternen der nächsten Generation als direkte Folge der Sternexplosion zu erforschen.

Bild: Optische Aufnahme des beobachteten Quallenebels IC443, einem Supernova-Überrest. Im Innern der Wolke befindet sich ein Neutronenstern, der Kern des einstmals explodierten massereichen Sterns. Mit GREAT wurden im Flug #101 an ausgesuchten Positionen die Linien von hochangeregtem Kohlenmonoxid (CO) an den Grenzflächen zwischen den Stoßfronten und der umgebenden Molekülwolke untersucht. Quelle: NASA (Astronomy picture of the day).

Aber nicht nur galaktische Objekte (Supernova-Überreste, Molekülwolken oder Protosterne), sondern auch extragalaktische Systeme erschließen sich mit GREAT auf SOFIA. Nachdem der Flieger seine Flugrichtung um etwa 90 Grad gedreht hatte, wurden auf leg 8 mehrere Positionen in Zentrumsnähe der "face-on" Spiralgalaxie IC342 (auch Caldwell 5 genannt) beobachtet. Die Galaxie liegt im Sternbild Camelopardalis (Giraffe) und ist etwa 11 Millionen Lichtjahre entfernt.

IC443 gehört zur sogenannten Maffei-Gruppe, einer Ansammlung von Galaxien in der Nachbarschaft der lokalen Gruppe, der unsere Milchstraße sowie auch der berühmte Andromeda-Nebel (M31) angehören. Wegen seiner nördlichen Lage am Himmel bietet sich IC342, ähnlich wie die aktive edge-on Galaxie M82, immer dann als Beobachtungsobjekt an, wenn SOFIA von Westen nach Osten fliegt. Da sich die Beobachtungsluke in Flugrichtung links (Backbord) befindet, sind bei östlicher Flugrichtung die riesigen Molekülwolken der galaktischen Ebene nicht sichtbar, so dass sich diese beiden Galaxien als ideale Objekte anbieten.

IC342 ist besonders geeignet zum Studium der Sternentstehung und Astrochemie. Bodengebundene Untersuchungen des Kohlenmonoxyds und des neutralen Kohlenstoffs zeigen in der Nähe des Galaxienkerns fünf riesige Molekülwolken, die zu einem Ring gehören. Ein zentraler Sternhaufen beleuchtet den Ring im fernen UV-Licht und erzeugt an seinem inneren Rand eine ausgedehnte Photonen Dominierte Region (PDR), die als Ort der Sternentstehung gilt. Bereits im Flug 75 der Basic Science 2011 wurde mit GREAT in zwei dieser Molekülwolken ionisierter Kohlenstoff [CII] bei 158 µm detektiert. Die Ergebnisse wurden in der renommierten Fachzeitschrift Astronomy and Astrophysics veröffentlicht (Röllig et al., A&A 542, L22 (2012)). Einer der molekularen Klumpen, Wolke E genannt, zeigt die stärkste [CII]-Emission mit zwei Geschwindigkeitskomponenten: langsames kaltes Gas bei circa 24 km/s und heißes angeregtes Gas bei circa 53 km/s, das der PDR entstammt. Die Gesamtmasse des langsamen kalten Gases konnte mit ca. 14-16 Mio. Sonnenmassen abgeschätzt werden. Die Hochgeschwindigkeitskomponente des angeregten Gases, das etwa 2 Millionen Sonnenmassen umfasst, entsteht in der PDR im molekularen Ring, nahe dem zentralen Haufen. In einer Flughöhe von 43.000 Fuß konnten die für die Sternentstehung wichtige Kühlungslinie [CII] sowie die Linie des ionisierten Stickstoffs [NII] in deutlich verbesserter Qualität an zusätzlichen Positionen detektiert werden.

Bild: Spiralgalaxie IC342 im Sternbild Camelopardalis. Das Objekt liegt nahe der Milchstraßenebene und seine optische Helligkeit wird durch galaktischen Staub sowie Sterne im Vordergrund stark abgeschwächt. Vermutlich wäre IC342 sonst das hellste extragalaktische Objekt am Nordhimmel. Die Emissionslinien des einfach ionisierten Kohlenstoffs [CII] und Stickstoffs [NII] wurden an zusätzlich ausgewählten Positionen in der Nähe des Zentrums von IC342 gemessen. Quelle: NASA (Astronomy picture of the day).

Während SOFIA in südlicher und danach in westlicher Richtung weiterflog, wurden Molekülwolken und protostellare Objekte in unserer Milchstraße beobachtet. Auf Grund der verbesserten Leistungsfähigkeit von GREAT und der Stabilität des gesamten Systems während dieser langen Beobachtungsnacht verlief die wissenschaftliche Ausbeute insgesamt sehr zur Zufriedenheit des GREAT-Teams.

Nach dem erfolgreichen Flug #101 wurde die Konfiguration des GREAT-Instrumentes geändert. Nun sollte erstmals der M-Kanal mit Frequenzen von 2,5–2,6 GHz eingesetzt werden. Die L2/M-Konfiguration ermöglicht zum Beispiel die Beobachtung der Molekülübergänge NH3, OH, CO, [CII], OH, HD. Der Flug #102 fand wie geplant am 16./17. April 2013 statt. Neben Molekülwolken und protostellaren Objekten in unserer Milchstraße stand auch bei diesem Flug eine Galaxie auf der Beobachtungsliste: Messier 82 (M82) im Sternbild Großer Wagen oder Großer Bär (Ursa Major).

Bild: M82, eine von der Kante ("edge-on") gesehene Starburst-Galaxie. Quelle: NASA (Astronomy picture of the day).

M82 ist eine der hellsten Infrarotgalaxien. Sie liegt in der Nachbarschaft unserer Milchstraße in einer Entfernung von etwa 12 Millionen Lichtjahren. Die Galaxie hat in jüngster Zeit eine Phase heftiger Sternentstehung durchlaufen und wird deshalb als Prototyp der sogenannten "Starburst-Galaxien" angesehen. Durch den Starburst in M82 entstehen zahlreiche Supernovae, die zu turbulenten Gasbewegungen und senkrechten Ausströmungen aus dem Zentrum der Galaxie führen. Diese Ausströmungen sind in der Aufnahme des Hubble Weltraumteleskops sehr schön zu erkennen.

In Richtung auf das Zentrum von M82 wurde die Emission des ionisierten Kohlenstoffs [CII] beobachtet, um die weiträumige Verteilung und Natur des Gases zu erforschen. Diese Beobachtungen erweisen sich als besonders schwierig (siehe hierzu auch den SOFIA-Blog vom 6. Juni 2011). Zum einen führt die positive Radialgeschwindigkeit der Galaxie von +210 km/s zu einer Rotverschiebung der Linien. Zum anderen kann GREAT wegen des relativ großen "beams" (Antennenkeule) die Galaxie nicht vollständig räumlich auflösen. Die Rotation der Galaxie, die man von der Kante erblickt, führt dazu, dass sich die Materie auf der einen Seite auf uns zu und auf der anderen Seite von uns weg bewegt. Hierdurch werden die Linien sehr verbreitert (Linienbreite auf der Geschwindigkeitsskala ca. 200 km/s). Die Bandbreite des Detektors reicht bei dieser Frequenz nicht aus, das vollständige Linienprofil mit einer Messung zu erfassen. Der Beobachter muss also an einer Position zwei Spektren bei leicht verschobenen Frequenzen aufnehmen. Die Kalibration beider Spektren muss sehr exakt sein, damit beide Baselines (quasi die Nulllinien) aneinander angepasst werden können. Hierzu ist eine hohe Pointing-Stabilität des Teleskops erforderlich. Es zeigte sich, dass die Spektren mit hoher Genauigkeit aufgenommen werden konnten. Nach ersten Abschätzungen liegt die Pointing-Stabilität inzwischen etwa im Bereich von 0,5 arcsec und ist demnach deutlich besser, als noch im Juni 2011 und bereits sehr nahe an der spezifizierten Vorgabe von 0,2 arcsec. Die Verbesserung ist auf eine Reihe von Maßnahmen am Teleskop zurückzuführen und zeugt von der hervorragenden Arbeit, die das Teleskop-Team des Deutschen Sofia Institutes (DSI) der Universität Stuttgart in den letzten Jahren geleistet hat. So wurden z.B. "active mass dampers" an der Zelle des Primärspiegels angebracht, um kleine Schwingungen auszugleichen. Die nunmehr erreichte Pointing-Stabilität ist selbst für die Anwendung von Spaltspektroskopie, die höchste Ansprüche an die Stabilität des Teleskops stellt, völlig ausreichend!

Bild: Verbreiterung einer Spektrallinie in Richtung der Galaxie M82. VLSR bezeichnet die Geschwindigkeit im lokalen Ruhesystem, dem Local Standard of Rest. Das Zentrum der Linie liegt bei ca. +210 km/s. Wegen der Beamgröße von GREAT, dargestellt durch die Kreisfläche, ist die räumliche Auflösung gering. Die Linienbreite kommt durch die Rotation der Galaxie zustande (siehe Text). Quelle: Dietmar Lilienthal.

Die Beobachtungskampagne im April 2013 mit insgesamt drei Cycle 1-Flügen von GREAT auf SOFIA war insgesamt sehr erfolgreich. Der M-Kanal konnte ausgiebig getestet werden, und die Ergebnisse der Beobachtungen - insbesondere des HD - werden zu einer Reihe wissenschaftlicher Veröffentlichungen führen. Mit diesem Resultat waren die beteiligten Wissenschaftler sehr zufrieden. Sie erklärten, dass SOFIA und GREAT nun für einen längeren Einsatz am Südhimmel bereit seien. Diese Kampagne ist für Juli 2013 geplant, und wir dürfen alle gespannt sein, welche Ergebnisse die insgesamt neun Forschungsflüge von Christchurch (Neuseeland) aus erbringen werden.

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Über den Autor

Dr. Dietmar Lilienthal ist seit 15 Jahren im SOFIA-Projekt tätig und hat die elektrische und S/W-Integration des SOFIA-Teleskops in die 747SP in den USA mit begleitet. Außerdem hat er die vertraglichen Voraussetzungen für die Gründung des Deutschen SOFIA Instituts (DSI) an der Universität Stuttgart geschaffen. zur Autorenseite