Raumfahrt | 12. Januar 2016 | von Nicole Schmitz

Forschen unter extremen Bedingungen - Teil 5

Quelle: DLR (CC-BY 3.0)
Frische Luft garantiert - Während der Gelände-Exkursionen wohnen die Expeditionsteilnehmer in Zelten, was bei Sturm durchaus ungemütlich werden kann. Dieses Bild stammt von der GANOVEX 10-Expedition aus dem Jahr 2010.

3.1.2016  bis 10.1.2016

Es ist Sonntag, der 10. Januar 2016, 15:30 Uhr, und wir sitzen gerade im warmen Küchen- und Arbeitszelt im Helliwell Hills-Camp, mittlerweile auch scherzhaft "Helliwell Hell" genannt. Draußen tobt seit heute Nacht (was bei der südpolaren Mitternachtssonne natürlich ein relativer Begriff ist) ein Schneesturm mit Windstärken von bis zu 60 Knoten. Der Wind pfeift um unser Zelt, rüttelt an den Zeltwänden, und treibt immer wieder Schnee durch sämtliche Ritzen. Der Wetterbericht, den wir jeden Morgen aus der Mario Zucchelli-Station bekommen, hatte den Sturm zum Glück angekündigt. So konnten wir gestern Abend noch unser technisches Equipment, unter anderem Nicoles Roverkamerasysteme und mein Mikroskop, sicher in wasserdichten Kisten im Laborzelt verstauen. Zum Glück, denn als wir heute Morgen nach einer stürmischen Nacht aufwachten, war in fast alle Zelte Schnee eingedrungen.

Die ersten Frühaufsteher brauchten mehrere Stunden, um die Zelte mit schweren Steinen zusätzlich zu sichern. Unser Duschzelt war bereits zusammengebrochen und hing nur noch lose an den Zeltheringen. Wir konnten es gerade noch einfangen und verstauen. Jetzt sind die wichtigsten Aufräumarbeiten abgeschlossen, und niemand möchte noch heraus, wenn es nicht unbedingt nötig ist. Unser Küchenchef Maurice hat uns gerade einen deftigen Bohneneintopf mit selbstgebackenem Brot serviert. Jetzt ist die perfekte Zeit zum Bloggen.##markend##

Exkursionsvorbereitungen und Hubschrauber polieren: Warten auf besseres Wetter…

Letzte Woche um diese Zeit saßen wir noch in der Mario Zucchelli-Station in der Terra Nova Bay, und warteten sehnsüchtig auf besseres Wetter, um endlich in unser Zeltcamp nach Helliwell Hills fliegen zu können. Besseres Wetter - das heisst in unserem Fall, dass auf der gesamten Flugstrecke zwischen der Terra Nova Bay und den Helliwell Hills das Wetter (Windstärke, Wolken, etc.) und die Sichtbedingungen (genügend Sichtweite mit klar zu erkennendem Horizont) gut genug sein müssen, um sowohl der Twin Otter-Maschine als auch den drei Hubschraubern einen sicheren Flug zu ermöglichen. Wir vertrieben uns die Wartezeit mit weiteren wissenschaftlichen Vorbereitungen, und machten uns in der Station nützlich, so gut wir konnten. Wir halfen beim Ausräumen der Überseecontainer von der Italica, putzten und polierten unsere drei Hubschrauber, und besichtigten die Labore unserer italienischen Kollegen. Ich bekam sogar noch ein paar zusätzliche Proben von meinen beiden italienischen Kolleginnen, die ich in der Station traf. Beide Forscherinnen arbeiten bereits in meinem BIOMEX-Projekt. Mit gemeinsame Laborarbeiten und Sichtung von Proben aus den Dry Valleys konnten wir die Zeit des Wartens effizient überbrücken. Dies passte gerade ganz gut, da wir auf der Suche nach einer Alternative zu den Dry Valleys waren und Ernst bereits einige mögliche Standorte per Satellit und mittels entsprechender Literatur ausfindig gemacht hatte.

Zur Vorbereitung auf unsere Zeit im Zeltlager brachte uns unser neuseeländischer Küchenchef Maurice bei, wie man ein Zelt aus unserer Notfallausrüstung auf dem Eis bei Wind aufstellt. Wir diskutierten verschiedene Methoden, um das Zelt im Eis zu sichern, und probierten diese auch gleich aus. Im Anschluss hatte unser Bergführer Mike im Hubschrauberhangar der Station einen Kletterparcours aufgebaut. Wir lernten, uns von einem Gerüst aus auf den Boden abzuseilen, und mussten uns an Seilen bis an die Decke des Hangars hochhangeln, um die Selbstrettung aus einer Gletscherspalte zu üben.

Am Mittwoch, dem 6. Januar, war es dann endlich soweit. Der Wetterbericht am Abend zuvor hatte gute Flugbedingungen angekündigt. Der Morgen begrüßte uns mit strahlendem Sonnenschein, blauem Himmel und milden Temperaturen. Die Stimmung war ausgelassen, als wir endlich in die kleine Twin Otter Maschine einstiegen. Nach eineinhalb Stunden Flugzeit landeten wir auf dem Rennick-Gletscher, ungefähr zwei Kilometer von unserem Zeltcamp entfernt. Dort warteten schon zwei Hubschrauber, die uns und unser Gepäck zum Zeltcamp brachten. Unsere Kollegen, die schon früher am Morgen mit dem ersten Flug hierher geflogen wurden, hatten den Großteil der 21 Scott-Zelte bereits aufgebaut. So mussten wir drei uns nur noch jeweils ein Zelt aussuchen und beziehen. Der Rest des Tages verging damit, uns im Lager zu organisieren. Neben den Schlafzelten haben wir ein Küchen- und Arbeitszelt, ein Laborzelt, in dem auch die Ersatzteile für die Hubschrauber und die Funkgeräte und Satellitentelefone verstaut sind, zwei Toilettenzelte sowie ein Duschzelt.

Am nächsten Morgen hieß es: Bergkurs, Teil 2. Zusammen mit unserem Bergführer Mike wanderten wir auf halbe Höhe des nächstgelegenen Bergs. Die Schnee- und Eisfelder auf dem Weg dahin nutzen wir, um das Laufen und Klettern mit Steigeisen zu üben. Außerdem lernten wir verschiedene Techniken, um einen Sturz auf dem Eis mithilfe unseres Eispickels abzubremsen.

Die Feldarbeit beginnt!

Die nächsten zwei Tage vergingen mit Feldarbeit - endlich! Am Freitagmorgen flog uns unser Hubschrauberpilot Dion ins Boggs Valley, wo wir den ganzen Tag mit der Erkundung des Tals verbrachten.

Ernst und Nicole verschafften sich in dem Tal eine Übersicht über mögliche Marsanalogien, also Landschaftsformen, die Phänomenen ähnlich sind, die auf Satellitenbildern auf dem Mars zu sehen sind, zum Beispiel Frostmusterböden (Polygone) oder so genannte Gullies, scharf eingeschnittene Geländefurchen auf Abhängen. Ich schaute, ob ich im Gelände zumindest an der Oberfläche biologische Spuren oder Organismen auf den verschiedenen Gesteinen, die von Dolerit (einem feinkörnigen magmatischen Gestein), Sedimentgesteinen und Granit bis Schiefergestein reichten, finden konnte. Dabei muss immer geprüft werden, ob die Organismen sich in Habitaten befinden, die so auch auf dem Mars denkbar wären. Die Ausbeute war sehr spärlich. Nur in einer kleinen Nische eines Findlings in einem sogenannten Schneetälchen war eine Flechte auszumachen. Da wir aber kein weiteres Exemplar dieser Flechte an einem anderen Standort finden konnten, nahmen wir keine Probe mit, um dieses offensichtlich seltene Ökosystem nicht zu stören.

Am Samstag machten sich Ernst und ich, unterstützt von unserer Ärztin Ulrike, wieder auf ins Boggs-Valley, um ein Profil durch einen Polygon zu graben. Polygone gibt es viele auf dem Mars und so wurde nach Ankunft mit dem Helikopter direkt nach einem passenden Polygon Ausschau gehalten. Das war die Aufgabe von Ernst. Als der sich dann für ein passendes Objekt entschieden hatte, gruben Ernst, Ulrike und ich abwechselnd ein Profil durch ein Polygon, um nach 30 Zentimetern Eindringtiefe festzustellen, dass der Permafrostboden mit Eis-verbackenen Gesteinen bereits erreicht war und ein weiteres Graben aufgrund der Zementierung des Materials praktische unmöglich war. Wir fotografierten das Profil mit einer konventionellen Kamera.

Quelle: DLR (CC-BY 3.0); Bild rechts unten: NASA
Rätselhafte Polygone im Permafrostboden. Wie sie entstehen, wird ebenso untersucht wie ihr Potential als möglicher Lebensraum für Mikroorganismen - auf der Erde wie auf dem Mars. Recht unten Polygone auf dem Mars.

Währenddessen wurde auch der Umweltkontext durch Messung der Sonneneinstrahlung, Feuchte und Temperatur des Polygons erfasst. Proben wurden für die weitere Analyse aus dem Profil in fünf bis zehn Zentimeter Tiefe und in 20 bis 30 Zentimeter Tiefe für das astrobiologische Projekt "HOME" gesammelt. Zurück in Berlin wäre dann zu klären, ob das Tal wirklich überwiegend biologisch so "tot" ist, wie es sich an der Oberfläche gestaltet, oder ob im Untergrund eventuell doch Organismen leben. Wenn ja, wäre der Aspekt, auch auf dem Mars eher im Untergrund als direkt an der Oberfläche nach Leben zu suchen, gar nicht so unberechtigt. Zudem könnten aus den Proben gewonnene Kulturen auch unter simulierten Marsbedingungen im Labor getestet werden.

Im "Windloch" Boggs-Valley

Nicole bereitete währenddessen im Zeltlager die Mars-Roverinstrumente auf ihren ersten Feldeinsatz vor, der am Sonntag im Boggs Valley folgen sollte. Nach dem Flug ins Zeltcamp musste die geometrische Kalibration der ExoMars-Roverkamera PanCam (Stereokamera und hochauflösende Kamera) wiederholt werden. Auch das Feldspektrometer VNIR, das wir mitgebracht hatten, musste geeicht werden. Außerdem hatten wir am Tag zuvor festgestellt, dass das Boggs Valley seinem Beinamen "Windloch" alle Ehre macht. Also konstruierte sie mithilfe unseres Bergführers Mike einen Windschutz aus einer Zeltplane und zwei Holzpflöcken, die wir mit Seilen und Zeltheringen beziehungsweise schweren Steinen im Boden verankerten. Sie testeten den Windschutz auch gleich im Gelände am Rande unseres Zeltcamps und machten mit der ExoMars PanCam ein paar Probeaufnahmen von der Umgebung.

Insgesamt stellten wir aber gegen Ende des Tages fest, dass aufgrund der geänderten Lichtverhältnisse durch den neuen Sonnenstand der Standort im Boggs Valley für den Test der ExoMars-Kamera PanCam doch nicht so ideal ausgewählt worden war, da der Kontrast für ein deutliches Erscheinen der Polygonlinien auf den Bildern nicht ausreichen würde. Summa summarum war es geomorphologisch und astrobiologisch ein erster Schritt in Richtung Mars-Analogie, aber wir hatten den idealen Standort in dem "Mini"-Dry Valley mit Namen Boggs Valley noch nicht gefunden. So planten wir für den nächsten Tag eine weitere Erkundungstour in der Morozumi Range, die ebenfalls auf unserer Liste möglicher Mars-Analoggebiete steht. Leider machte uns wieder einmal das Wetter einen Strich durch die Rechnung. Ein Schneesturm macht es uns kaum möglich, das Zelt zu verlassen. Feldeinsätze und Hubschrauberflüge sind unmöglich.

Während ich diese Zeilen schreibe, liest uns unser Hubschrauberpilot Matty gerade das nächste Wetterupdate aus der Mario Zucchelli-Station vor. Zurzeit haben wir Windstärken bis zu 55 Knoten, das entspricht fast einhundert Kilometern pro Stunde und ist schon ein ausgewachsener Sturm. Im Laufe des Montags soll der Sturm etwas abflauen - Windstärken um die 30 Knoten werden erwartet. Erst am Dienstag werden die Bedingungen hoffentlich wieder geeignet für Feldarbeit sein. Falls der Sturm soweit abflaut, wie vorhergesagt (auf etwa 20 bis 30 Knoten) können wir uns vielleicht zu Fuß auf den Weg machen, um Frostmusterböden in der näheren Umgebung des Camps zu erkunden, die wir bei unserem Bergkurs am Donnerstag entdeckt hatten. Es bleibt also spannend!

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Über den Autor

Nicole Schmitz ist Planetenforscherin und Ingenieurin am Institut für Planetenforschung des DLR in Berlin, Deutschland. Die Forschungsgruppe konzentriert sich auf die Erforschung der planetaren Geologie mit Hilfe von Daten, die von Kameras, Spektrometern und anderen Instrumenten auf verschiedenen Raumfahrtmissionen gewonnen werden. Schmitz war am Design und der Entwicklung von Instrumenten für planetare Erkundungsmissionen, an der Missionsplanung und -durchführung sowie an wissenschaftlichen Aktivitäten für Mars-, Jupiter-, Mond- und Asteroidenmissionen beteiligt. zur Autorenseite