Raumfahrt | 14. April 2016 | von Tom Uhlig

Alarm für Col-CC!

Auf eine ruhige Nachtschicht hatten sie sich eigentlich eingestellt, die Kollegen vom Dienst. Aber manchmal kommt es anders als erwartet - und genau deswegen sind wir ja ständig im Columbus Kontrollzentrum  (Col-CC) auf Schicht. Der Adrenalinpegel steigt aber immer noch, wenn im Kontrollraum der dezente Ton erklingt, der mich irgendwie immer an "Das Boot" erinnert und der uns Flight Controller auf einen Alarm an Bord der ISS hinweist. Der Blick richtet sich dann beinahe automatisch sofort an unser großes Mitteldisplay, wo ständig das Caution-and-Warning-Tool läuft, das den Alarm auf der Internationalen Raumstation (ISS) anzeigt. Gelb - naja, glücklicherweise schon mal nicht so schlimm. Und dann noch der Blick auf den eigentlichen Text: Ein "- COL" am Ende zeigt an: Es betrifft uns!
Ein "- JEM" hätte die Japaner in Aktionismus versetzt, ein "- LAB", "- N2" oder anderes die Kollegen der NASA.##markend##

Alarme gibt es schon öfters, aber dass sie uns selber betreffen ist eher selten. Heute Abend ist es wieder mal soweit: "DMS Mass Memory Unit (MMU1) Failure -COL" steht da in großen Lettern - in allen ISS-Kontrollzentren und auf der ISS selber warten jetzt alle auf uns: Was ist zu tun, wie ernst ist es, müssen die Astronauten selbst irgendwelche Maßnahmen unternehmen?

Das ISS-Alarmsystem ist dreistufig - oder sogar mit vier Leveln, nimmt man die harmlosen "Advisories" auch noch mit dazu. Am gefährlichsten sind die "Emergencies" - Notfälle, die die Astronauten unmittelbar bedrohen und bei denen sie sofort gefordert sind, entsprechende Gegenmaßnahmen einzuleiten. Sie lassen sich in drei Kategorien clustern: Es könnte brennen, ein plötzlicher Druckabfall könnte die Crew in Gefahr bringen oder die Luft könnte toxische Stoffe enthalten. Emergencies werden rot angezeigt und auf der Raumstation durch einen unangenehmen Piepston angekündigt.

Auf dedizierten "Caution and Warning Panels" sehen die Astronauten zudem den entsprechenden Alarmknopf aufblinken: "FIRE", "ΔP/Δt" (eine physikalische Darstellung für "Druckabfall" oder "ATM" (wie "Atmosphäre"). Auf ihren Laptops haben sie zudem weitere Infos - vergleichbar unseren Displays im Kontrollraum. Da sehen sie dann, wo der Notfall ausgelöst wurde, ob manuell durch einen Kollegen oder automatisch durch die Raumstationssoftware - etwa getriggert durch einen Rauchmelder.

Die mittlere Alarmstufe sind dann die "Warnings". Nachdem sie auch eine unmittelbare Reaktion erfordern, weil eine wichtige Komponente der Raumstation ein Problem meldet, sind sie auch rot markiert und ihr Alarmton  ist nicht minder alarmierend. Über den fünf-ziffrigen Fehlercode, der jeweils mit angezeigt wird, können die Astronauten und wir schnell zu der entsprechenden Prozedur gelangen, die wir als erste Reaktion auf den Fehler abzuarbeiten haben.

Die unterste Stufe sind die gelben "Cautions". Diese werden auch durch Ton und Blinken auf der ISS angezeigt. Vorausgesetzt, wir haben sie nicht "inhibited (gehindert)" oder "suppressed (unterdrückt)". In ersterem Fall werden die jeweiligen "Events" überhaupt nicht durch den Zentralrechner der ISS prozessiert, in Zweiterem gibt es zwar eine Alarmmitteilung am Laptop oder unserem Display, aber "Lights and Tones", die die Astronauten zum Beispiel auch in der Nacht wecken würden, sind dann unterdrückt. Freilich ist wieder genau festgelegt, wann ein Alarmevent ausgeschaltet oder unterdrückt werden darf.

Cautions sind nicht allzu zeitkritisch – und die Besatzung muss nur die Initiative ergreifen, wenn wir aus irgendeinem Grund längerfristig keinen Kontakt zur ISS haben und somit nicht die Daten analysieren oder korrigierende Kommandos zur Raumstation senden können.

Diesmal also: Caution-Alarm fürs Columbus Kontrollzentrum. Unser Hauptspeicher in unserem Data Management System (DMS) hat sich nicht mehr bei unserem "Zentralrechner" gemeldet, dieser hat daraufhin den zweiten, redundanten Hauptspeicher aktiviert und die Fehlermeldung gesendet. Damit läuft das System an Bord eigentlich ohne große Probleme weiter – wir haben nur einen "loss of redundancy", sprich, erst ein weiterer Fehler würde uns wirklich in die Bredouille bringen. So blieb der Nachtschicht an weiteren Maßnahmen nur das Herunterholen von Logdateien für die nähere Fehleranalyse - und das Herunterfahren des Adrenalinpegels.

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Über den Autor

Als Kind wollte Tom Uhlig Astronaut werden. Beim DLR kam er dabei seinem Traum sehr nahe: Er arbeitete als Columbus-Flugdirektor an der Konsole und leitete sowohl das Col-CC-Trainingsteam als auch Gruppe für den Betrieb von geostationären Satelliten bis Dezember 2016. zur Autorenseite