Raumfahrt | 08. Dezember 2016 | von Tom Uhlig

Rangieren im Orbit gegen den "Paprika-Effekt"

Quelle: DLR (CC-BY 3.0)
Das Gravitationsfeld der Erde entspricht in macher Hinsicht einer Paprika: Die eigentlich an einem festen Orbit über der Erdoberfläche stehenden geostationären Satelliten driften in Richtung der Furchen - "energetisch günstiger"

Seitwärts einparken, das habe ich als "Landei" schon eine halbe Ewigkeit nicht mehr gemacht - zumindest nicht in einer Großstadt wie München, wo Parklücken nur unwesentlich länger sind als mein Kleinwagen. Prompt brauche ich mehrere Anläufe, um eine einigermaßen angemessene Entfernung von der Bordsteinkante zu haben - die anderen Verkehrsteilnehmer sind freilich begeistert und applaudieren mit einem enthusiastischen Hupkonzert. Geschafft, vielleicht nur noch ein bißchen zurücksetzen, damit der knappe Rangierabstand gleichmäßig auf meinen Vorder- und Hintermann verteilt ist. Lustigerweise erinnert mich die Situation aus dem Straßenverkehr an den gestrigen Morgen im Kontrollraum, als Flugdirektorkollege Andreas Kolbeck und ich mit einem unserer geostationären Satelliten ein "Manöver geflogen" sind.

Die GEOs stehen ja von der Erde aus betrachtet an einer gleichbleibenden Position - und zwar in einer vorgegebenen Box, die sie nicht verlassen dürfen - im geostationären Orbit auf einer Höhe von 36.000 Kilometern über dem Äquator geht's eng her.##markend##

Nach dem Start eines neuen geostationären Satelliten bringt ihn die Trägerrakete üblicherweise in einen so genannten Geotransferorbit (GTO), der eine stark elliptische Bahn hat. Nun kann man den Satelliten testen - bis dann üblicherweise der sogenannte Apogäumsmotor (der Hauptantrieb des Satelliten) seinen ersten und einzigen Einsatz hat: Durch eine geschickt geplante Zündung wird aus dem GTO der geostationäre Orbit und - gegebenenfalls mit einigen wenigen Korrekturen (auf jeden Fall aber eleganter als ich bei meinen Münchner Parkmanövern) - schon ist der "Parkplatz" belegt. Theoretisch für immer. Allerdings nur theoretisch...

Das Gravitationsfeld ist eine Paprika?

In der Praxis müssen wir alle drei Wochen rangieren, die Bahn des Satelliten korrigieren: Wäre das Gravitationsfeld der Erde perfekt kugelsymmetrisch, würde die Erdanziehung konstant ausschließlich senkrecht zur Bewegungsrichtung des Satelliten wirken. Das Feld gleicht aber eher einer Paprika, daher wirken die Kräfte nicht nur Richtung Erdkern, sondern auch in Flugrichtung des Orbiters: Der Satellit wird - je nachdem, über welchem Längengrad er steht - entweder beschleunigt oder abgebremst, driftet also entweder immer zur östlichen oder zur westlichen Seite seiner "Box".

Auch die Sonne "schiebt" unseren Satelliten aus seinem Parkplatz: Die Erdachse ist bekanntlich geneigt, was sich bei uns als Sommer oder Winter bemerkbar macht. Beim Satelliten zeigt sich das in einer Kraft, die ihn nach entweder nach Norden oder nach Süden zieht und aus seiner äquatorialen Bahn herauskippt.

Quelle: DLR (CC-BY 3.0)
Rangieren (und Erklären) macht Andreas hungrig: Da muss notfalls auch das "Lehrmittel" dran glauben!

Mit meinem Kollegen Andreas habe ich ein solches Nord-Süd-Manöver geflogen, also letzteren Effekt korrigiert. Dafür mussten wir unserer Flugdynamikabteilung die aktuelle Satellitenmasse, die Drücke in den Treibstofftanks und die Bahnparameter übermitteln. Von dort erhielten wir den idealen Zeitpunkt für das Manöver, die zu zündenden Düsen und deren Brenndauer zurückgeliefert. Wir haben diese Parameter übernommen und die Prozedur ausgeführt. In der Realität verläuft ein solches Manöver nicht 100-prozentig perfekt. Und so vermessen unsere Weilheimer Kollegen über die nächsten Tage die neue Bahn unseres "Vogels" mit ihren Antennen ganz genau, bevor wir das Manöver in Ost-West-Richtung bei der Flugdynamik in Auftrag geben, um anschließend sowohl "unsere" Ungenauigkeiten als auch den "Paprika-Effekt" zu korrigieren.

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Über den Autor

Als Kind wollte Tom Uhlig Astronaut werden. Beim DLR kam er dabei seinem Traum sehr nahe: Er arbeitete als Columbus-Flugdirektor an der Konsole und leitete sowohl das Col-CC-Trainingsteam als auch Gruppe für den Betrieb von geostationären Satelliten bis Dezember 2016. zur Autorenseite