Raumfahrt | 01. März 2011

Die Dynamik der Eisbewegung

Da TanDEM-X nun in die heiße operationelle Phase übergeht, in der die Satelliten im bistatischen Betrieb die Daten für das globale Geländemodell aufzeichnen, will ich einen Blick in die Anfangsphase der Mission zurückwerfen, als das Zwillingspaar im Abstand von drei Sekunden beziehungsweise 20 Kilometern die Erde umrundete und jeder Sensor für sich die Aufnahmen ausführte.

Diese Konstellation ist bislang einzigartig gewesen und dauerte nur kanppe drei Monate, so dass außerhalb des programmgemäßen Verifikations- und Validierungsbetriebs für den jüngeren TanDEM-X-Satelliten nur wenige gemeinsame Datenaufzeichnungen für Experimente vorgesehen und geplant werden konnten. Von einigen dieser Experimente wurde auch zeitnah in diesem Blog berichtet, nun aber liegen weitere Auswertungen vor und ich möchte heute eine Untersuchung zur Dynamik von Meereis vorstellen.

Hierzu wurde sowohl TerraSAR-X wie auch TanDEM-X im ScanSAR-Modus betrieben, um so eine große Streifenbreite von 100 Kilometer zu erhalten. Für unsere erste Untersuchung haben wir ein Gebiet an der Nordostküste Grönlands ausgesucht, um neben Wasser und Meereis auch Festland in einer einzigen Aufnahme abbilden zu können. Trotz des Hochsommers während der Aufnahme war an der Küste Grönlands noch viel Eis vorhanden, wie man anhand der stärkeren Rückstreuung der Eisschollen verschiedenster Größe erkennen kann. Auch sind verschiedene vorgelagerte Inseln und Landzungen erkennbar.


Meereis vor der Küste Grönlands: Diese Datenaufzeichnung von TanDEM-X erfolgte am 2. August 2010 im ScanSAR-Modus mit 100 Kilometern Streifenbreite. Bild: DLR.

Das Besondere an diesen Aufnahmen des TanDEM-X-Paares ist der kurze zeitliche Abstand der Messungen, der es erlaubt, flächenhafte und damit einzigartige Messungen der Bewegung einzelner Eisschollen durchzuführen. Da beide Satelliten unter fast gleichen geometrischen Bedingungen die reflektierten Radarstrahlen empfangen, kann man aus den minimalen Laufzeitunterschieden und dem Interferenzmuster der beiden Radarsignale Informationen über die Bewegung der Eisschollen ableiten. So zeigt das interferometrische Phasenbild einzelner Eisschollen ein zyklisches Phasenmuster in Flugrichtung (Regenbogenfarben), was darauf hindeutet, dass innerhalb des Zeitraums von drei Sekunden zwischen den beiden Aufnahmen Veränderungen in der abgebildeten Szene aufgetreten sind. Je enger das Phasenmuster, desto stärker bewegt sich die Eisscholle.


Interferometrische Phase: Jeder Farbzyklus entspricht einer Verschiebung um eine halbe Wellenlänge, das heißt um 1,5 Zentimeter. Bild: DLR.

Für Eisschollen liegt die Ursache des Phasenmusters in der Drehung um deren jeweilige vertikale Achse, wogegen bei Festland die Topographie eine weniger regelmäßige Phasenvariation verursacht. Meereisbereiche sind im Wesentlichen eben und zeigen einen konstanten Phasenwert, wenn die Schollen stabil sind. Wird nun das Interferenzmuster für jede Eisscholle ausgewertet, so erhält man eine überaus empfindliche Messung der Eisdynamik, in diesem Falle der Rotation.


Rotationswinkel einzelner Eisschollen: Der dargestellte Messwinkelbereich entspricht auf einer Regenbogenskala einem Rotationswinkel von  –0,005 Grad (gelb bis rot) bis +0,005 Grad (blau bis violett) innerhalb von 3 Sekunden. Bild: DLR.

Am Rotationswinkel, aber auch an den zyklischen Phasenmustern erkennt man, dass die Eisschollen sich teilweise in entgegengesetzte Richtungen drehen (gelb-orange-rot bzw. blau-violett in der Rotationswinkelkarte) und dass kleine Eisschollen generell eine höhere Dynamik aufweisen. Auch die Bereiche, die als nächstes instabil werden, lassen sich sofort erkennen. Beispielhaft zeigt sich das in der linken Bildhälfte innerhalb der großen, noch stabilen Eisfläche an dem deutlich unterschiedlichen Farbmuster oder anhand der Eisscholle in Bildmitte unten links, die gerade beginnt, sich von der großen Scholle abzulösen.

Durch den Formationsflug der Satelliten TerraSAR-X und TanDEM-X lassen sich somit neue Erkenntnisse über die Dynamik der Eisbewegung in arktischen Regionen erzielen, die bisher nicht möglich waren. Eine operationelle Nutzung dieser neuen Möglichkeiten würde verbesserte Vorhersagen zur Eisdrift und zum jahreszeitlichen Entstehen und Abschmelzen der Polkappen ermöglichen. Auch könnte diese Art der Eisschollenbeobachtung bestehende Verfahren zur Beobachtung von Meeresströmungen ergänzen und verbessern. Leider konnte bislang eine aussagekräftige Translationskarte, die die Drift einzelner Eisschollen darstellt, wegen des zu geringen Zeitintervalls der Messung nicht erstellt werden. Hierzu wäre ein zeitlicher Abstand in der Größenordnung von 10 bis 20 Sekunden erforderlich.

Fürs Erste müssen jedoch die beschriebenen Messungen leider "auf Eis" gelegt werden, da die Satelliten im Oktober 2010 in einen wesentlich engeren Formationsflug übergegangen sind, der dem eigentlichen Missionsziel, der Erstellung des globalen Höhenmodells dient. Allerdings kann nach dieser Missionsphase das Satellitengespann wieder auseinandergezogen werden, um die hier beschriebenen Messungen fortzusetzen. Bis dahin gilt es jedoch noch einige weitere Datensätze des letzten arktischen Sommers auszuwerten.

Zu der Erstellung dieses Blogeintrags haben folgende Kollegen des Instituts für Hochfrequenztechnik und Radarsysteme beigetragen: Thomas Busche mit der gemeinsamen Auswahl der Testgebiete, Francesco De Zan mit grundlegenden Diskussionen zu den Rotationseffekten, das TAXI (Experimental TanDEM-X Interferometric Processor)-Team mit der interferometrischen Prozessierung der Radardaten und Lais Sant'Anna Araújo mit der Datenauswertung.

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