Raumfahrt | 28. April 2014 | von Tom Uhlig

Astronauten und die unendlichen Weiten des Internets

Ein Kölner Kollegen schickt mir eine E-Mail bezüglich dieses Blogs - ich bekomme sie über mein Diensthandy zugestellt, obwohl ich gerade in meinem Osterurlaub am Chiemsee bin: Die moderne Technik macht’s möglich - und es erscheint mir so extrem selbstverständlich, obwohl es keinen Internetanschluss weit und breit gibt, keinen Computer mit einem Mailprogramm, keine umständliche Anmeldung an irgendeinem Terminal... Vor 20 Jahren war das alles noch ein Wunder - die ersten Versuche über den Uni-Computerraum, umständliche Verfahren, um dem Phantom "Internet" auch nur irgendetwas zu entlocken, die Aufregung, als man mal "bei der NASA war" - also auf der damals sehr rudimentären Homepage der amerikanischen Kollegen...

Wie geht's da eigentlich den Astronauten in Puncto Internet auf der Internationalen Raumstation ISS? Um das zu erfahren erkundige ich mich mal bei einem unserer Experten für das "Data Management System" auf der Raumstation, Ivano Verzola. Er hat bei seiner täglichen Arbeit an der Konsole bei uns am Columbus-Kontrollzentrum (Col-CC) ständig mit unseren Bordrechnern zu tun, deren Kommunikation untereinander, den Mil-Bussen, LAN-Switches, File Transfers, den Datenraten über S- und Ku-Band oder den Bus Controllern und Remote Terminals. Ihn habe ich schon oft auf Schicht um Rat fragen müssen, wenn unsere Computer wieder ihren eigenen Willen gezeigt haben. Er kann mir sicher auch erzählen, ob die Astronauten sich im Internet aufhalten können.


Ivano Verzola ist am Columbus-Kontrollzentrum einer der verantwortlichen Experten für das Datensystem der ISS. Quelle: DLR (CC-BY 3.0).

Der erste Teil der Geschichte ist mir schon geläufig: Während Satelliten meist direkt mit einer oder mehreren ausgesuchten Bodenstationen kommunizieren und nur während ihres kurzen Überflugs Kontakt haben, bevor sie wieder für Stunden "untertauchen", hat die ISS beinahe kontinuierlichen Kontakt mit uns. Das wird ermöglicht durch das TDRS-Satellitensystem, das sich die NASA zum Beispiel mit den US-Militärs teilt: Diese Satelliten im geostationären Orbit (= von der Erde aus gesehen immer an der gleichen Himmelsposition) 36.000 Kilometer weit draußen werden durch einige wenige Bodenstationen mit Daten versorgt, die sie dann an die unter ihnen durchfliegende ISS weitergeben, sie ist praktisch permanent in Sichtweite eines der Satelliten. Auf dem umgekehrten Weg kommen auch die Daten von der ISS an die Bodenstationen herunter. "Daten" heißt hier: sechs Videokanäle von der Raumstation, vier "Space-to-Ground"-Funkkanäle, Datenströme von den Experimenten an Bord, Kommandos zur ISS und die ganzen Statusdaten, die wir Telemetrie nennen und anhand derer wir die ISS und alle ihre Aggregate überwachen.


Die drei "Tracking and Data Relay Satellites (TDRS)" der NASA, die hauptsächlich für die ISS verwendet werden, decken praktisch den gesamten Orbit der Raumstation ab. Dazu sind nur zwei Antennenanlagen in White Sands und auf Guam Island notwendig - unsere Daten kommen dann über Houston oder Huntsville zu uns. Quelle: DLR (CC-BY 3.0).

Das Ganze passiert über Funk - natürlich verschlüsselt - auf dem so genannten S-Band und dem Ku-Band. Über diese Funkverbindung können wir mit den Astronauten theoretisch sogar E-Mails austauschen, sie können im Internet surfen oder per "voice over IP" telefonieren.

Warum nur "theoretisch"? Nun, alles läuft ein bisschen anders, als wir es auf der Erde gewohnt sind.

Zum einen gibt's all das nur, wenn auch gerade Funkverbindung über Ku-Band besteht. Es kommt nämlich auch für die ISS zu kurzen Abrissen der Verbindung - entweder, weil sich die ISS-Antenne gerade auf den nächsten Satelliten ausrichten muss oder weil wir für einige Minuten keinen für die ISS gebuchten Satelliten zur Verfügung haben - wir müssen uns das TDRS-System ja mit anderen Nutzern teilen. Zum anderen ist beispielsweise das E-Mail Schreiben an die Astronauten streng reglementiert: Nur die E-Mails von demjenigen, der auf einer durch die Crew verwalteten Liste steht, werden überhaupt an die ISS durchgestellt. Alle E-Mails laufen zunächst in Houston auf, dort werden sie überprüft und auf Viren gescannt, erst dann werden sie für den "Mail-Sync" freigegeben.

Die Möglichkeit der direkten Internetnutzung im Weltall gibt's noch nicht allzu lange. Zunächst war es völlig unmöglich, dann wurde ein Umweg über Server in Houston genommen - und nun funktioniert es direkt, wenn auch nicht mit DSL-Geschwindigkeiten vergleichbar. Ivano erklärt mir auch, dass es spezielle Laptops auf der Raumstation sind, die über diese "Verbindung mit Houston" verfügen: Die Station Support Computers (SSC), die über die ganze Station verteilt entweder richtig am Joint Station LAN (JSL) angesteckt oder über WLAN mit ihm verbunden sind. Von diesen Computern aus können die Astronauten dann auch ins Internet - oder mit ihren Familien oder uns Flight Controllern telefonieren - sogar mit Video in beiden Richtungen, wenn sie das wollen.

Kommandos an die Raumstation schicken können die Astronauten von diesen Laptops aus nicht - man möchte das strikt getrennt halten, um Missbrauch, Viren oder Angriffen aus dem "Hyperraum" keinerlei Chance zu geben. "Alles, was das Netzwerk und die Computer auf der ISS angeht, wird als hochsensibler Bereich betrachtet", erklärt mir Ivano. Er muss es wissen: Vor kurzem erst ist eine neue wichtige Funktionalität auf den Laptops an Bord von Columbus installiert worden, dessen geistiger Vater er ist.

Bild oben: Quelle: DLR.

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Über den Autor

Als Kind wollte Tom Uhlig Astronaut werden. Beim DLR kam er dabei seinem Traum sehr nahe: Er arbeitete als Columbus-Flugdirektor an der Konsole und leitete sowohl das Col-CC-Trainingsteam als auch Gruppe für den Betrieb von geostationären Satelliten bis Dezember 2016. zur Autorenseite