Raumfahrt | 20. Januar 2016 | von Ernst Hauber

Frostmusterböden und Panoramaaufnahmen mit der Marskamera - Teil 6

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Quelle: Landsat Image Mosaic Of Antarctica (LIMA) / DLR
Antarktis-Karte mit den in Rot markierten Antarktis-Stationen. Rechts unten in Gelb gekennzeichnet ist die Lage der Helliwell Hills.

Nach einer ersten Erkundung der Helliwell Hills (Blogeintrag vom 12.01.2016) hatten wir in den letzten Tagen ausgiebig Gelegenheit, die Umgebung des Lagers weiter zu untersuchen. Das Wetter war ideal dafür, denn wir hatten wenig Wind, viel Sonnenschein und angenehme Temperaturen. Der Wetterbericht, der jeden Tag von der Mario Zucchelli-Station durchgegeben wird, gibt Maximaltemperaturen von etwa minus fünf Grad Celsius an, die sich bei der geringen Luftfeuchtigkeit (20 bis 40 Prozent) durchaus nicht kalt anfühlen. Das sind beste Bedingungen, um längere Zeit an einer Stelle im Freien zu arbeiten.##markend##

Quelle: Landsat Image Mosaic Of Antarctica (LIMA) / DLR
Ausschnitt der Antarktis-Karte mit Kennzeichnung der Helliwell Hills

Eines unserer Ziele war die Analyse von Frostmusterböden, die praktisch alle horizontalen und flach geneigten Oberflächen in den Helliwell Hills prägen. Diese Böden sind auf der Erde in Permafrostgebieten weit verbreitet und entstehen durch Temperaturzyklen: Bei raschem Abkühlen (Durchfrieren des Bodens im Winter) verringert sich das Volumen des Bodens und es entstehen Risse. Diese Risse sind in Luftbildern leicht zu erkennen und erscheinen als polygonartiges Muster - daher der Begriff Frostmusterböden (oder im Englischen "patterned ground").

Die große Frage: Eiskeilpolygone oder Sandkeilpolygone

In die Risse kann im Frühjahr Schmelzwasser eindringen, das dann zu Eis gefriert und die Spalte als Eiskeil ausfüllt (Eiskeilpolygone). In besonders trockenen und kalten Klimazonen, in denen kaum Schmelzwasser entsteht, kann Sand statt Eis die Spalten ausfüllen (Sandkeilpolygone). Wenn sich dieser jahreszeitliche Zyklus über lange Perioden wiederholt, können diese Eis- bzw. Sandkeile zu beträchtlichen Größen anwachsen (in Sibirien sind Beispiele bekannt, die viele Meter tief sind). Auch auf der Marsoberfläche sind in den mittleren geographischen Breiten Polygonböden weit verbreitet. Sie können wichtige Anhaltspunkte bei der Rekonstruktion des Klimas in der Vergangenheit liefern. Wären sie zum Bespiel als Eiskeilpolygone entstanden, wüsste man, dass zur Zeit ihrer Entstehung Schmelzwasser verfügbar war, - dass also das Klima auf dem Mars relativ warm gewesen sein müsste. Sind sie dagegen als Sandkeilpolygone entstanden, wäre diese Schlussfolgerung unzulässig.

Quelle: DLR (CC-BY 3.0); Bilder rechts: NASA
Polygonböden in der Antarktis und als Vergleich auf dem Mars

Wir sind also daran interessiert, auf der Erde zu lernen, wie man Eis- von Sandkeilpolygonen in Luftbildern unterscheidet, denn in der Marsgeologie sind wir hauptsächlich auf die Analyse von Satellitenaufnahmen angewiesen und haben keine Möglichkeit, vor Ort zu arbeiten. Die Antarktis ist ideal für derartige Mars-Analogiestudien auf der Erde, denn moderne (also derzeit entstehende) Sandkeilpolygone gibt es nur in der Antarktis. Von den Helliwell Hills sind keine detaillierten Berichte von Frostmusterböden in der Literatur vorhanden, weswegen wir hier Neuland betreten. Genauer gesagt müsste es allerdings lauten "ergraben", denn die Untersuchung von derartigen Böden erfordert, sich den Untergrund anzusehen.

Das hört sich leichter an als gesagt, denn es ist äußerst mühselig, sich mit Spitzhacke und Schaufel in die Tiefe vorzuarbeiten. Für einen Graben von etwa 1,5 Meter Breite und 50 Zentimeter Tiefe, den ich quer zu einem Polygonriss anlege, brauche ich fast einen ganzen Tag. Bei allen Grabungen fanden wir in zirka 30 Zentimeter Tiefe die ersten Anzeichen von eisverbackenem Permafrost. Etwas tiefer stießen wir dann auf mehr oder weniger reines Eis, und zwar nicht nur unter den Polygonrissen, sondern offensichtlich auch noch mindestens einen halben Meter rechts und links von ihnen. Noch ist unklar, was das bedeutet - ist das ganze Areal von altem Eis unterlegen, auf dem sich eine dünne Schicht von Gletscherschutt befindet? Oder sind die Eiskeile so breit geworden, dass man praktisch überall auf sie stößt? Dagegen spricht allerdings, dass hier offensichtlich Schmelzwasser nicht gerade in großen Mengen entsteht: Wir sind ja im Hochsommer da, und trotzdem schmilzt der Schnee langsam oder gar nicht - zudem zeigen die Satellitenaufnahmen, dass hier ohnehin wenig Schnee fällt.

Erster Einsatz der Mars-Stereokamera

In der Zwischenzeit hat Nicole ihr für den Einsatz auf dem Mars entwickeltes Kamerasystem zum Laufen gebracht und erste Aufnahmen gemacht. Eine Schrecksekunde (oder eher ein paar Schreckstunden...) gab es, als ein Router den Geist aufgab, der die automatische Ansteuerung und Synchronisierung der einzelnen Kameraelemente sicherstellt (das Gesamtsystem besteht aus zwei Stereo-Kameraköpfen sowie einer hochauflösenden Kamera). Zum Glück fand sie einen Weg, die Kameras - wenn auch nun "von Hand" - zu kontrollieren.

Quelle: Kjell-Ove Storvik, AMASE
Nicole Schmitz (Mitte) und zwei Teamkollegen des ExoMars-PanCam-Teams bei Messungen mit einem Prototypen der ExoMars-PanCam im Wahlenbergfjord, Svalbard, im Jahr 2009.

Diese Lösung erfordert zwar mehr Zeit (sowie eine gewisse Ausdauer), liefert aber ebenfalls die gewünschten Ergebnisse. Das Wetter spielte ja mit: Immerhin muss Nicole während einer kompletten Panoramaaufnahme mehrere Stunden mehr oder weniger unbeweglich vor ihrem Computer sitzen. Dabei hilft auch die gute Ausrüstung, die wir vom AWI (Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung) erhalten haben - frieren müssen wir jedenfalls nicht.

Die Aufnahmeobjekte waren verwitterte Sandsteine, in denen Jean-Pierre verschiedene mikroskopisch kleine Lebensformen gefunden hatte. Einem ungeschulten Auge fallen sie kaum auf, die Landschaft erscheint absolut leblos. Dennoch finden einige Cyanobakterien, also Blaualgen, sowie Flechten und Pilze in Gesteinshohlräumen und Spalten Nischen, in denen sie wachsen können. Die Aufnahmen mit dem Kamerasystem liefern sowohl den Kontext und dreidimensionale Informationen als auch hochauflösende Details. Mit ihrer Hilfe wollen wir lernen, wie man im Gelände vielversprechende Stellen (nämlich die Mikro-Nischen, in denen die Organismen siedeln) identifiziert, um sie mit anderen Instrumenten genauer zu untersuchen und Proben zu nehmen. Genau diese Aufgabe wird sich uns nämlich stellen, wenn wir mit robotischen Rovern und ihrer wissenschaftlichen Nutzlast auf dem Mars nach Lebensspuren suchen. Die ExoMars-Mission der ESA wird eben dieses Ziel haben, und obwohl sie erst in einigen Jahren starten wird, müssen wir die Routinen jetzt schon entwickeln, damit sie uns bis zum Zeitpunkt der Untersuchungen auf der Marsoberfläche in Fleisch und Blut übergegangen sind.

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Über den Autor

Ernst Hauber ist Geologe und untersucht die festen Oberflächen der terrestrischen Planeten. Sein Interesse gilt vor allem vulkanischen, tektonischen, und periglazialen Oberflächenformen, wobei er auch intensiv an terrestrischen Analogen arbeitet. Er ist Mitglied in verschiedenen Instrumententeams, die Mars, Merkur, und das Jupitersystem erforschen. Eine seiner Aufgaben ist es, eine sichere Landestelle für den ESA-Rover ExoMars auszuwählen. zur Autorenseite