Raumfahrt | 29. September 2017 | von Julia Heil

Bettruhe-Studie Teil 1: Warum legt das DLR Menschen für 30 Tage ins Bett?

Quelle: DLR (CC-BY 3.0)
Für die VaPER-Studie (VIIP and Psychological :envihab Research Study) legen sich ab Oktober 12 Probandinnen und Probanden für 30 Tage in der DLR-Forschungsanlage :envihab ins Bett.

Ein Astronaut auf der Internationalen Raumstation ISS benutzt seinen Körper nicht mehr so, wie wir ihn auf der Erde beanspruchen. Als Konsequenz verändert er sich - direkt und indirekt.

Ohne Schwerkraft bilden sich Muskeln und Knochen zurück. Außerdem sorgt die Schwerelosigkeit dafür, dass sich die Körperflüssigkeiten Richtung Oberkörper verschieben; das Herz-Kreislauf-System wird weniger beansprucht, da es nicht mehr gegen die Schwerkraft arbeiten muss. Diese Flüssigkeitsverschiebung lässt die Schleimhäute in Mund, Nase und Rachen wie bei einer Erkältung anschwellen ('puffy face') und die Beine wiederum buchstäblich dünner werden ('chicken legs').##markend##

Die Bettruhe simuliert Schwerelosigkeit für den Körper

Warum sich ein Körper in Schwerelosigkeit so verhält, haben die Forscher bis heute noch nicht komplett verstanden. Aber sie sind auf der Suche nach Antworten: "Die beste Methode, um auf der Erde die Auswirkungen der Schwerelosigkeit auf den Körper zu simulieren, ist zurzeit die Bettruhestudie", sagt der DLR-Wissenschaftler Dr. Edwin Mulder. Der Sportwissenschaftler hat einiges an Erfahrung auf diesem Gebiet. Bereits 2015 und 2016 legten sich unter seiner Leitung insgesamt 24 Probanden im DLR für die Wissenschaft für mehrere Wochen ins Bett. Umso mehr freut er sich, dass er und sein Team am Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin in diesem Jahr eine weitere Bettruhestudie betreuen: die VaPER-Studie (VIIP and Psychological :envihab Research Study). Ab Anfang Oktober werden sechs Probandinnen und sechs Probanden ins :envihab, die DLR-Großforschungsanlage des Instituts für Luft- und Raumfahrtmedizin in Köln, einziehen und dort insgesamt 59 Tage verbringen - davon 30 Tage komplett im Bett. Die weiteren 29 Tage sind wichtig für Vor- und Nachuntersuchungen. Zum ersten Mal sind auch Frauen mit dabei.

Kopf runter

Auf zu viel Gemütlichkeit dürfen sich die Teilnehmer allerdings nicht einrichten, denn für das Liegen gibt es Regeln: Die Beine dürfen nicht aufgestellt werden und eine Schulter muss immer die Matratze berühren. "Am Anfang ist alles immer ein bisschen kompliziert, zum Beispiel auch das Essen, aber nach zwei Tagen hat jeder seine Technik entwickelt, dass nichts mehr aus dem Bett fällt", sagt Studienleiter Mulder. Eine weitere Regel ist, dass immer alles aufgegessen werden muss, denn nur wenn von der Schlafenszeit über das Essen bis hin zur Luft alles standardisiert ist, können die Forscher die Daten am Ende miteinander vergleichen und wissenschaftlich nutzen. "Das ist für die Probanden immer etwas ungewohnt, wenn sie es zum ersten Mal hören, aber dass sie das Essen immer ans Bett gebracht bekommen und sich um nichts mehr kümmern müssen, daran gewöhnen sie sich schnell", sagt Mulder schmunzelnd.

Außergewöhnlich ist auch das Bett, in dem die Probanden ihre Zeit verbringen. Dieses ist zum Kopfende um sechs Grad nach unten geneigt. Die leichte Schräglage gewährleistet, dass sich die Körperflüssigkeiten - wie auch bei den Astronauten in Schwerelosigkeit - Richtung Kopf verschieben. Warum genau sechs Grad Neigung? Mit russischen Kosmonauten wurden in der Vergangenheit verschiedene Liegewinkel ausprobiert. Die sechs Grad waren schließlich die Position, die die Kosmonauten am ehesten mit dem Gefühl der Schwerelosigkeit verglichen. "Außerdem: Eine geringere Neigung hätte kaum einen Effekt und wenn wir das Bett noch weiter nach unten senken, rutschen uns die Probanden von der Liege", ergänzt der Wissenschaftler und grinst.

Quelle: DLR (CC-BY 3.0)
Das Kopfende des Bettes ist dabei um 6 Grad nach unten geneigt. Damit können die Mediziner die Auswirkungen von Schwerelosigkeit auf den Körper simulieren.

Luft wie auf der Raumstation

Der wissenschaftliche Fokus von VaPER liegt auf Augen und Hirndruck. "Dass wir in den Bettruhestudien jetzt vermehrt diese Phänomene untersuchen, hat sich in den letzten Jahren entwickelt.", bemerkt Edwin Mulder, "In den ersten Studien lag der Fokus eher auf der Untersuchung von Muskeln und Knochen." Mediziner schätzen, dass nahezu bei einem Drittel aller Astronauten der Hirndruck und der Augeninnendruck ansteigen. Neben der Flüssigkeitsverschiebung in Richtung Kopf haben die Wissenschaftler dabei auch die Luft auf der Internationalen Raumstation als Ursache im Verdacht: Dort herrscht ein hoher CO²-Gehalt, weil die Anlage dort die Luft nicht komplett filtern kann. Kohlenstoffdioxid sorgt im menschlichen Körper dafür, dass sich die Gefäße erweitern - in Schwerelosigkeit könnte das mit dafür verantwortlich sein, dass sich die Blutzufuhr Richtung Gehirn erhöht. Um das zu überprüfen, wird während der 30-tägigen Liegephase der CO2-Anteil der Luft in der kompletten Probandenstation des :envihab auf 0,5 Prozent erhöht. Während der VaPER-Studie müssen die Teilnehmer in der "Weltraum-Atmosphäre" neben zahlreichen Augenuntersuchungen auch Konzentrations- und Leistungstests absolvieren. So finden die Wissenschaftler heraus, inwiefern der Mensch unter solchen Bedingungen noch leistungsfähig ist.

Quelle: DLR (CC-BY 3.0)
Der DLR-Wissenschaftler Dr. Edwin Mulder leitet die VaPER-Studie. Er hat schon einiges an Erfahrung auf diesem Gebiet. Dieses Bild entstand während einer Langzeit-Bettruhestudie im DLR im Jahr 2015.

Vom :envihab zum Mars

Die Ergebnisse solcher Studien sind wichtig für künftige bemannte Raumfahrt-Missionen, beispielsweise einer Reise zum Mars. VaPER wurde von der amerikanischen Weltraumagentur NASA in Auftrag gegeben. Mit den Daten und Informationen sollen die Forscher mögliche Risiken von Langzeitmissionen für die Astronauten bewerten und bislang ungeklärte Fragen beantworten. Dass die Wissenschaftler dafür zum DLR kommen möchten, verwundert Mulder nicht. "Das ganze Team hat Erfahrung mit solchen Studien und wir haben alle wichtigen medizinischen Geräte wie zum Beispiel einen Magnetresonanztomographen (MRT) direkt in der Anlage. Außerdem macht uns die Tatsache, dass wir die komplette Umgebungsluft über eine so lange Zeit konstant halten können, einzigartig in Europa." Während der Studie werden die Teilnehmer von den DLR-Medizinern und Wissenschaftlern begleitet, die teilweise auch die wissenschaftlichen Experimente für die NASA durchführen. Mitte Februar begann das DLR-Team mit der Suche nach Probanden, hauptsächlich über das Internet. "Jetzt sind wir alle sehr gespannt auf den Einzug der zwölf Probandinnen und Probanden", sagt Edwin Mulder und es ist ihm anzumerken, wie er sich auf den Startschuss freut.

Quelle: DLR (CC-BY 3.0)
Eine solche Studie erfordert einen enormen Organisationsaufwand. Das Team des DLR-Instituts für Luft-und Raumfahrtmedizin begann bereits über ein Jahr vorher mit den Vorbereitungen für die VaPER-Studie.

VaPER (VIIP and Psychological :envihab Research Study)

Für die VaPER-Studie legen sich 12 Probanden im DLR für 30 Tage bei einer Sechs-Grad-Kopftieflage ins Bett. Ihr Körper erfährt dabei ähnliche Veränderungen wie der von Astronauten in Schwerelosigkeit, was sich Wissenschaftler zunutze machen, um jene Veränderungen genauer zu untersuchen. Der Fokus von VaPER (VIIP and Psychological :envihab Research Study) liegt sowohl auf der Untersuchung von physiologischen und psychologischen Auswirkungen als auch auf dem VIIP-Syndrom (Visual Impairment and Intracranial Pressure), das Sehstörungen und erhöhten Hirndruck bei Astronauten in Schwerelosigkeit beschreibt. Die Studie wurde von der amerikanischen Raumfahrtagentur NASA in Auftrag gegeben und wird vom DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin durchgeführt.

Alle Blogbeiträge der VaPER-Studie

VaPER-Studie Teil 2: Von 4.500 Bewerbern auf 12 Probanden – Wie findet man geeignete Teilnehmer?

VaPER-Studie Teil 3: Was ist ein Medical?

VaPER-Studie Teil 4: Ab ins Bett – 30 Tage liegen bleiben

VaPER-Studie Teil 5: Kann jeder bei einer Bettruhestudie als Proband mitmachen?

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Über den Autor

Julia Heil hat sich schon immer für das interessiert, was hinter den Dingen steckt - Fragen stellen ist eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen. Zunächst als Volontärin in der Kommunikationsabteilung und nun als Redakteurin für das DLR-Magazin schreibt sie über die vielfältigen Forschungsthemen des DLR und taucht mitten hinein in die Welt der Wissenschaft. zur Autorenseite