Sonstiges | 21. November 2017 | von Friederike Wütscher

Bettruhe-Studie Teil 8: R+0 - ein ganz besonderer Tag für alle

VaPER 8
Quelle: DLR (CC-BY 3.0)

Der Tag "R+0" ist ein ganz besonderer Tag für alle Beteiligten der Bettruhe-Studie: An diesem Tag beginnt die Recovery-Phase für die Probanden, das heißt, sie stehen nach 30 Tagen Bettruhe wieder auf. Im Vergleich zu den Astronauten ist es sozusagen die Rückkehr auf die Erde und die abrupte Erfahrung der Schwerkraft. Natürlich werden das Aufstehen und die körperlichen Prozesse mit der Reaktion auf die plötzliche aufrechte Haltung durch zahlreiche Experimente sehr genau untersucht. Das Aufstehen der Probanden findet versetzt statt, so dass immer zwei an einem Tag ihren R+0-Tag haben und nach 6 Tagen alle wieder aufrecht sind.##markend##

6:30 Uhr: Wie jeden Morgen werden die Probanden um 6.30 Uhr geweckt und die Morgenmaßnahmen mit Blutdruck-, Puls-, Atemfrequenz- und Temperaturmessung finden statt. Ein letztes Mal geht es mit der Transportliege in 6 Grad-Kopftieflage zum Wiegen. Aufstehen dürfen die beiden Kandidaten also noch nicht, auch das eigentliche Aufrichten ist natürlich ein eigenes Experiment.

7:00 Uhr: Nach der letzten Urinflaschenfüllung im Liegen gibt es ein Experiment am Tablet, um festzustellen, ob sich die Kognitionsleistung verändert hat.

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Bis zum Frühstück ist dann noch etwas Zeit, die Probanden lassen ihre letzten Utensilien für den Umzug in die Nachbar-Station ohne CO2-Konditionierung packen.

Quelle: DLR (CC-BY 3.0)

Hier verbringen sie die nächsten Studientage, bis alle von ihnen aufgestanden sind und sie dann gemeinsam wieder zurück in die Probandenstation im :envihab, dann wieder mit normaler Atmosphäre, ziehen.

8:00 Uhr: Das letzte Frühstück im Liegen! Manch einer kann sich gar nicht mehr vorstellen, wie er im Sitzen am Tisch essen soll.

8:45 Uhr: Die Vorbereitungen für die Aufsteh-Aktion laufen auf Hochtouren: Da in der Liegephase der CO2-Anteil in der Luft erhöht ist und die Probanden bis zum eigentlichen Aufrichten auch noch diese Luft atmen sollen, werden sie für den Transport im Liegen mit einer Atemmaske ausgestattet, die sie die gleiche Luftzusammensetzung atmen lässt wie in der Probandenstation.

Quelle: DLR (CC-BY 3.0)

Das Aufstehen mit dem Kipptisch findet nämlich in einem anderen Gebäudeteil statt. Wie eine mobile Tauchstation sieht der Trupp aus, der sich nun auf den Weg zum Kipptisch macht.

9:00 Uhr: Endlich ist es so weit, der Proband liegt auf dem Kipptisch. Es folgen noch verschiedene Vorbereitungen und die Körpergröße wird gemessen, da die irdischen Bettruhe-Astronauten genau wie die Astronauten in Schwerelosigkeit zwischen drei und fünf Zentimeter wachsen. Kurz vor dem Aufrichten wird die Atemmaske abgenommen und der Proband atmet wieder normale Umgebungsluft.

Quelle: DLR (CC-BY 3.0)

Und dann der große Moment: Der Kipptisch mit dem Probanden wird innerhalb von ein paar Sekunden von -6 Grad auf +80 Grad hochgekippt. Eine Herausforderung für den Kreislauf, die jeder anders verkraftet: Das Blut schießt in die Beine und versackt dort, das Gehirn wird weniger versorgt. Bei jedem ist die Zeitspanne bis zum Auftauchen der ersten Anzeichen einer Präsynkope anders. Bevor es zur Ohnmacht kommt, sorgen die anwesenden Wissenschaftler und Ärzte allerdings dafür, dass der Kipptisch die Probanden wieder zurück kippt und sich der Kreislauf stabilisieren kann. Nach ein paar Minuten passivem Stehen auf dem Kipptisch und weiterer Erholungszeit im Liegen darf der Proband sich nun das erste Mal selbst aufrichten und mit Unterstützung ein paar Schritte gehen – zum Rollstuhl, der für die ersten Tage nach dem Aufstehen sein fahrbarer Untersatz ist. Auch wenn es den Probanden nach kurzer Zeit schon wieder sehr gut geht, die medizinischen Werte stabil und die Probanden voller Tatendrang sind, müssen sie sich in den ersten Tagen noch rollend und sitzend fortbewegen.

10:00 Uhr: Direkt im Anschluss folgt eine Blutabnahme und Urinabgabe (wie immer in die Urinflasche) zur Feststellung von Metaboliten und Stresshormonen. Diese Werte müssen exakt fünf Minuten (Blut) und 30 Minuten (Urin) nach dem Zurückkippen genommen werden, zu diesem Zweck ist der begleitende Studienleiter Edwin Mulder mit einer Stoppuhr ausgestattet.

Quelle: DLR (CC-BY 3.0)

11:00 Uhr: Rollend geht es zum Posturographie-Test, hier steigt der Proband aus dem Rollstuhl auf und macht eine Reihe von Gleichgewichts-Tests im Stehen. Eine manchmal noch etwas wackelige Angelegenheit, aber alle absolvieren die Tests gut.

Quelle: DLR (CC-BY 3.0)

 

 

11:30 Uhr: Vom Gleichgewichtstest geht es direkt weiter zur Augenuntersuchung. Hier werden Augeninnendruck und die Sehschärfe gemessen sowie detaillierte Schichtaufnahmen der Netzhaut gemacht.

13:00 Uhr: Und schon geht’s weiter zum nächsten Experiment, solch eine Studie ist ja auch kein Urlaub und der R+0-Tag mit der wichtigste für die Datenerhebung: Es wird sportlich, die Probanden absolvieren mehrere Durchläufe eines Mobilitäts-Parcours. Auf den eigenen Füßen geht es so schnell wie möglich mit vielen Richtungswechseln auf kleinem Raum und teilweise instabilem Boden durch die bunten Stangen und über die kleinen Hindernisse. Die beteiligten Wissenschaftler sind erstaunt, wie gut die Probanden die Strecke meistern. Muskelkater ist für den nächsten Tag vorprogrammiert, auch an Stellen, an denen man sonst keinen hat, zum Beispiel den Fußsohlen.

13:30 Uhr: Kurze Verschnaufpause beim Mittagessen. Das erste Mal im Sitzen, welch ungewohnte Position!

Quelle: DLR (CC-BY 3.0)

14:30 Uhr: Nun stehen vertikale Sprünge auf einer Kraftmessplatte auf dem Programm. Sie muten für den Nicht-Probanden vielleicht etwas trivial an, für die Probanden ist es aber ein Ereignis, wieder Schwerkraft und eigene Körperbewegung mit ihrem Körpergewicht zu spüren!

15:00 Uhr: Sportlich geht es weiter: Laufband. Natürlich immer unter genauer Beobachtung von Ärzten und Wissenschaftlern.

Quelle: DLR (CC-BY 3.0)

15:45 Uhr: Nach so viel Sportprogramm gibt es einen Snack, heute ein reichhaltiger Shake.

16:00 Uhr: Die beliebten Physiotherapeuten, die die Probanden schon aus der Bettruhe-Zeit kennen, in der sie passiv mobilisiert wurden, kommen nun zum Einsatz. Das Programm ist in den ersten Tagen noch moderat und steigert sich ab Tag R+3. Es bereitet auf die Rehabilitation vor und lindert die Muskelschmerzen, die bei der Wiederaufnahme körperlicher Aktivität nach Bettruhe auftretent. Ab Tag R+3 ist die Rehabilitation dann bedeutend aktiver und schweißtreibender als noch in den Vortagen. Der ein oder andere Proband wünscht sich insgeheim vielleicht wieder zurück ins Bett…

17:00 Uhr: Und immer noch weiter geht es mit der Anstrengung, dieses Mal auf dem Fahrrad: Der Proband strampelt mit einer Atemmaske, um die Sauerstoffaufnahme und CO2-Abgabe messen zu können. Um den Level der (De)Konditionierung nach 30 Tage Bettruhe bewerten zu können, werden die Probanden diesmal ausbelastet und müssen alles geben.

18:00 Uhr: Die erste richtige Pause des Tages! Zeit, um sich mit den anderen Probanden, die schon an den Vortagen aufgestanden sind, auszutauschen.

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19:00 Uhr: Das erste Abendessen nach der Bettruhe, wiedervereint mit den anderen Probanden am Tisch.

20:00 Uhr: Letzte Aufgabe des Tages: Fragebogen ausfüllen. Danach ist Freizeit, die Probanden verbringen sie gemeinsam, bevor ab 22.00 Uhr wie in der Bettruhe-Zeit auch das Abendprocedere startet. Der Tag R+0 geht zu Ende, die Probanden fallen sehr erschöpft und froh, alles so gut überstanden zu haben und wieder liegen zu dürfen, ins Bett. Das Bett ist nun wieder in 0 Grad, also gerade gestellt, und die Probanden dürfen auch wieder ein (in Bettruhe teilweise schmerzlich vermisstes) Kissen unter dem Kopf haben. An R+1 heißt es dann wieder um 6:30 Uhr: Aufstehen, dieses Mal aber dann wortwörtlich!

VaPER (VIIP and Psychological :envihab Research Study)

Für die VaPER-Studie legen sich 12 Probanden im DLR für 30 Tage bei einer Sechs-Grad-Kopftieflage ins Bett. Ihr Körper erfährt dabei ähnliche Veränderungen wie der von Astronauten in Schwerelosigkeit, was sich Wissenschaftler zunutze machen, um jene Veränderungen genauer zu untersuchen. Der Fokus von VaPER (VIIP and Psychological :envihab Research Study) liegt sowohl auf der Untersuchung von physiologischen und psychologischen Auswirkungen als auch auf dem VIIP-Syndrom (Visual Impairment and Intracranial Pressure), das Sehstörungen und erhöhten Hirndruck bei Astronauten in Schwerelosigkeit beschreibt. Die Studie wurde von der amerikanischen Raumfahrtagentur NASA in Auftrag gegeben und wird vom DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin durchgeführt.

Alle Blogbeiträge der VaPER-Studie

VaPER-Studie Teil 1: Warum legt das DLR Menschen für 30 Tage ins Bett?

VaPER-Studie Teil 2: Von 4.500 Bewerbern auf 12 Probanden – Wie findet man geeignete Teilnehmer?

VaPER-Studie Teil 3: Was ist ein Medical?

VaPER-Studie Teil 4: Ab ins Bett – 30 Tage liegen bleiben

VaPER-Studie Teil 5: Kann jeder bei einer Bettruhestudie als Proband mitmachen?

VaPER-Studie Teil 6: Wie verbringen unsere Probanden ihre Tage im Bett?

VaPER-Studie Teil 7: Standardisierte Ernährung der Probanden

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Über den Autor

Friederike Wütscher ist am DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig und stellt die vielfältigen Arbeits- und Themengebiete des Instituts nach außen dar. Besonders diese Vielfalt und die aufwendigen Studien, die das Institut in :envihab und den weiteren Forschungsanlagen durchführt, begeistern sie. Deshalb ist sie auch immer wieder bei verschiedenen Projekten vor Ort im Einsatz und kann direkt vom Studiengeschehen berichten. zur Autorenseite

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