Raumfahrt | 01. Dezember 2017 | von Friederike Wütscher

Bettruhe-Studie Teil 10: Nach der Bettruhe ist vor dem Auszug

VaPER Gruppe
Quelle: DLR (CC-BY 3.0)
Die Probanden der VaPER-Studie nach ihrer 30-tägigen Bettruhezeit mit 6° Kopftieflage

Die Probanden haben die 30tägige Bettruhe gut überstanden und sind schon wieder seit einigen Tagen auf den Beinen. Die ersten Tage Recovery sind gespickt mit Untersuchungen und Experimenten. Insgesamt zwei Wochen bleiben sie nach dem Aufstehen noch in der Probandenstation, um alle Experimente abzuschließen und damit die Wissenschaftler alle nötigen Daten erheben können. Der Tagesablauf der Probanden wird aber immer leerer, je näher der Auszug rückt. Zeit, um ein paar Fragen zu stellen und die Zeit im Liegen Revue passieren zu lassen.##markend##

Die Vorbereitung auf die Studie

Alle Probanden fühlten sich gut auf die Studie vorbereitet und informiert. Allerdings kann man sich einige Abläufe und Bedingungen auch bei gründlicher Vorbereitung nicht  wirklich vorstellen, manche Dinge wie die Benutzung der Bettpfanne oder Essen im Bett muss man einfach ausprobieren. Einige der Probanden waren überrascht, wie voll das Programm tatsächlich teilweise ist und dass für Langeweile eigentlich keine Zeit war. Alle sind sich aber einig, dass der Alltag im Bett viel einfacher und unkomplizierter war als sie vorher angenommen hatten.

Welches Experiment war das Beste?

Bei dieser Frage nannten die meisten Probanden das Experiment, bei dem es um den Blutfluss im Gehirn geht. Ziel des Experiments ist es, die Reaktion der Blutflussgeschwindigkeit auf einen längeren Aufenthalt unter erhöhtem CO2 zu messen. Dabei wird durch Hyperventilierung und Rückatmung der CO2-Gehalt im Blut verändert. Anschließend wird in den Blutgefäßen die Blutflussgeschwindigkeit gemessen.


Ein weiteres spannendes Experiment war der Kipptisch, mit dem die Probanden nach den 30 Tagen Bettruhe aufgerichtet wurden. An ihrem „Aufsteh-Tag“ R+0 wurden sie dafür noch in 6 Grad-Kopftieflage zum Kipptisch gefahren und nach einigen Verkabelungen und Vorbereitungen dann innerhalb von ein paar Sekunden von -6 Grad auf +80 Grad aufgerichtet. Die Reaktion des Körpers auf das plötzliche Aufrichten war eine besondere Erfahrung für die Probanden: Das Blut fließt auf einmal wieder nach unten und versackt in den Beinen; jeder Proband hatte eine unterschiedlich lange Zeit, bis er wieder zurück gekippt wurde und nach einer Erholungszeit dann erstmals richtig aufstehen konnte. Diese Erfahrung war sehr beeindruckend, einer der Probanden beschrieb das Erlebnis wie eine lange Achterbahnfahrt – im positiven Sinn!

Quelle: DLR (CC-BY 3.0)

Überhaupt waren die Probanden am Tag R+0 mit der Fülle an Experimenten sehr zufrieden und auch stolz auf sich, dass ihr Körper so gut auf das Aufstehen reagierte und dass sie schon wieder sowohl einen Bewegungsparcours als auch Gleichgewichts- und Sprungtests sowie das Laufband absolvieren konnten.

Einige Probanden fanden auch die Vielfalt der Experimente besonders spannend, dadurch kam keine Langeweile auf und man konnte durch die regelmäßigen Wiederholungen wie beispielsweise bei verschiedenen Kognitionstests oder einer Maximalkraftmessung vor und nach der Bettruhe den Verlauf beobachten.

Das Lieblingsessen

Ein Gericht wurde hier besonders oft genannt: Lachs mit Tomaten, Nudeln und Parmesan. Aber auch der Kabeljau mit Spinat und Kartoffelpüree, Gulasch, Spaghetti Bolognese, Pommes und die vielfältigen Salate waren sehr beliebt. Insgesamt fanden die Probanden das vom Küchenteam sorgfältig geplante und zubereitete Essen sehr gut und hatten, bis auf einige wenige persönliche Neigungen, keine Beanstandungen. Dennoch ist das „selbstbestimmte“ Kochen eines der Dinge, auf die sich die Probanden am meisten freuen, wenn sie wieder zuhause sind. Das liegt sicher auch daran, dass sowohl Chips als auch Gummibärchen und Schokoriegel keinen Platz auf dem Speiseplan der Studie gefunden haben.

War es schwer, sich an die Bettruhe zu gewöhnen?

Eigentlich fiel es allen leicht, sich an die Bettruhe zu gewöhnen. Den Drang aufzustehen hatte keiner der Teilnehmer. Die in den ersten Tagen auftretenden Rücken- und Kopfschmerzen, unter denen auch Astronauten in der Schwerelosigkeit leiden, waren für alle gut auszuhalten und ließen nach wenigen Tagen nach. Innerhalb weniger Stunden trat die Gewöhnung an die 6 Grad-Kopftieflage und die damit einhergehende Flüssigkeitsverschiebung ein, so dass die Probanden die Schräglage dann schon nicht mehr wahrnahmen.
Einige Probanden bemerkten, dass die alltäglichen Tagesordnungspunkte im Liegen wie Essen, Toiletten-„Gang“ oder Duschen mehr Zeit in Anspruch nehmen als in aufrechter Position. Hier entwickelten sie nach und nach Strategien im Umgang damit. Grundsätzlich war es aber eine gute Erfahrung, die sie nicht missen möchten, einer der Probanden äußerte sogar, dass er die Bettruhe vermissen würde, ein anderer fand es besonders angenehm, dass er sich endlich mal nicht dafür rechtfertigen müsste, den ganzen Tag im Bett zu liegen.

Zeitvertreib im Liegen

Die Standardantwort: Serien und Filme schauen! Natürlich wurde auch gelesen, gespielt (online und real auf dem Brett, zum Beispiel Schach mit Mit-Probanden), telefoniert, gemailt, im Internet gesurft und gezeichnet. Aber auch Arbeiten für den ehrenamtlichen Job wurden online erledigt und der Kontakt zu Familie und Freunden gepflegt. Zwei Probanden erweiterten miteinander ihre Spanischkenntnisse, eine Probandin knüpfte Armbänder. Außerdem konnte man endlich mal seine Lust am Rumtrödeln ausleben und seine Musikkenntnisse erweitern. Auch das Studienpersonal und die Mit-Probanden teilten diese Erfahrung, wenn die sehr unterschiedlichen Musikrichtungen durch die Probandenstation schallten.

Was war das Highlight der Studie?

Ein ganz besonderes Highlight war der Besuch von Astronaut Reinhold Ewald, der an einem Sonntagabend nach der Bettruhe vorbei kam und den gespannt lauschenden Probanden von seiner eigenen Mission auf der MIR und der bemannten Raumfahrt generell sowie den neueren Missionen mit Alexander Gerst und den weiteren europäischen Astronauten berichtete. Viele Fragen wurden gestellt und alle freuten sich, einen echten Astronauten zum Anfassen getroffen zu haben. Aber auch Reinhold Ewald war neugierig auf das Leben im Bett und zollte den irdischen Bett-Astronauten seinen Respekt für ihre Leistung und den Beitrag zur weltraummedizinischen Forschung.


Ein weiteres Highlight war für viele der Tag R+0, der Tag also, an dem sie nach 30 Tagen strenger Bettruhe wieder aufgestanden sind. Sie waren alle sehr überrascht, wie gut die ersten Experimente und Bewegungsabläufe in aufrechter Position klappten, obwohl die Herausforderung für den Kreislauf nicht unerheblich war. Einer der Probanden berichtete, dass das erste Gehen sich anfühlte wie auf Luftballons. Viele betonten hier noch einmal, dass sie stolz auf sich seien, es so gut geschafft zu haben.
Einige der Probanden fanden auch den Besuch der Kollegen der NASA besonders interessant, als die Auftraggeber der Studie zu Besuch waren und die Abläufe des Studientages beobachteten. Hier ergaben sich viele interessante Gespräche und auch von Seiten der NASA war der Respekt für die Leistung der Probanden groß.
Die Probanden betonten auch, dass sie sich sehr wohl fühlen und sowohl mit dem Team als auch mit den Mit-Probanden eine richtige Gemeinschaft entstanden ist. In diesem Zusammenhang wurde von einer Probandin auch ihr Geburtstag, den sie in der Studie feierte, erwähnt, ihr Zimmer wurde feierlich geschmückt und es gab diverse Ständchen. Auch das „Bergfest“ zur Feier der Halbzeit der Studie wurde hier genannt, bei dieser Zusammenkunft durften die Probanden ausnahmsweise einen Sekt trinken – natürlich alkoholfrei. Ein Proband berichtete, dass eines seiner persönlichen Highlights der Bettruhe gewesen sei, dass er in seinem Online-Spiel drei Ränge aufgestiegen ist.

Würdet ihr wieder mitmachen?

Einhellige Meinung aller Probanden: Definitiv ja! Einige haben sich auch schon nach der nächsten Studie erkundigt und wollten sich dafür bereits anmelden.

Was wird das Beste nach der Studie?

Selbstbestimmte Tagesabläufe, Privatsphäre, selber kochen, Wetter, frische Luft, Arbeit und Aufgaben und vor allem Familie und Freunde! Einer der Probanden sagte wie aus der Pistole geschossen: die nächste Studie!

Kaffee, Röstaromen, Süßigkeiten, Chips und Wein waren auf der Speisewunschliste ganz oben. Einer der Probanden freut sich darauf, wieder mit seinem kleinen Neffen zu balgen.

Und die  Zeit am DLR?

Auch hier die einhellige Meinung: Die Zeit am DLR wird vermisst werden, mit Ausnahme der Bettpfannen und Urinflaschen. Für alle war die Zeit beim DLR und im Bett jedenfalls eine Erfahrung, die sie nicht missen möchten und an die sie sich gerne erinnern. Und der ein oder andere wird ja vielleicht tatsächlich mal wieder an einer der DLR-Studien teilnehmen.

VaPER (VIIP and Psychological :envihab Research Study)

Für die VaPER-Studie legen sich 12 Probanden im DLR für 30 Tage bei einer Sechs-Grad-Kopftieflage ins Bett. Ihr Körper erfährt dabei ähnliche Veränderungen wie der von Astronauten in Schwerelosigkeit, was sich Wissenschaftler zunutze machen, um jene Veränderungen genauer zu untersuchen. Der Fokus von VaPER (VIIP and Psychological :envihab Research Study) liegt sowohl auf der Untersuchung von physiologischen und psychologischen Auswirkungen als auch auf dem VIIP-Syndrom (Visual Impairment and Intracranial Pressure), das Sehstörungen und erhöhten Hirndruck bei Astronauten in Schwerelosigkeit beschreibt. Die Studie wurde von der amerikanischen Raumfahrtagentur NASA in Auftrag gegeben und wird vom DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin durchgeführt.

Alle Blogbeiträge der VaPER-Studie

VaPER-Studie Teil 1: Warum legt das DLR Menschen für 30 Tage ins Bett?

VaPER-Studie Teil 2: Von 4.500 Bewerbern auf 12 Probanden – Wie findet man geeignete Teilnehmer?

VaPER-Studie Teil 3: Was ist ein Medical?

VaPER-Studie Teil 4: Ab ins Bett – 30 Tage liegen bleiben

VaPER-Studie Teil 5: Kann jeder bei einer Bettruhestudie als Proband mitmachen?

VaPER-Studie Teil 6: Wie verbringen unsere Probanden ihre Tage im Bett?

VaPER-Studie Teil 7: Standardisierte Ernährung der Probanden

VaPER-Studie Teil 8: R+O – ein ganz besonderer Tag für alle

VaPER-Studie Teil 9: Kochen, backen, wiegen und spülen

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Über den Autor

Friederike Wütscher ist am DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig und stellt die vielfältigen Arbeits- und Themengebiete des Instituts nach außen dar. Besonders diese Vielfalt und die aufwendigen Studien, die das Institut in :envihab und den weiteren Forschungsanlagen durchführt, begeistern sie. Deshalb ist sie auch immer wieder bei verschiedenen Projekten vor Ort im Einsatz und kann direkt vom Studiengeschehen berichten. zur Autorenseite

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