Sonstiges | 01. März 2010 | von Jan Wörner

Luft- und Raumfahrttechnik - revolutionär oder evolutionär?

Anlässlich des Tags der Technikwissenschaften an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (BBAW) wurden Vorträge über die Entwicklung von Natur und Technik gehalten. Ich war eingeladen einen Beitrag zu leisten, der sich mit Evolution und Revolution in Luft- und Raumfahrttechnik auseinandersetzen sollte. Eine, wie sich in der Vorbereitung zeigte, sehr spannende Herausforderung …

Erstmals führte die BBAW einen Tag der Technikwissenschaften durch. Als Vortragende waren Techniker, Informatiker und Geisteswissenschaftler eingeladen, um die Thematik möglichst breit anzugehen. Mit einer gewissen Lockerheit hatte ich mich bereit erklärt, einen Vortrag mit dem Thema "Luft- und Raumfahrttechnik - revolutionär oder evolutionär?" zu halten. Die Zusage erfolgte in der Gewissheit, den breiten Schatz an Unterlagen von früher gehaltenen Vorträgen einfach nutzen zu können. Diese Zuversicht hielt noch bis ca. eine Woche vor der Veranstaltung und dem ersten Versuch, eine Gliederung und große Linie für den Vortrag festzulegen.

Evolution und RevolutionSchon bei der Begriffsdefinition von Evolution und Revolution kamen erste Zweifel bezüglich der Realisierungschance auf. Unter den vielen Variationen (astronomisch, geschichtlich, politisch) entschied ich mich für die technische Auslegung: Evolution vollzieht sich nahezu kontinuierlich mit Selektionsmechanismen, während Revolution eine sprunghafte Änderung der Angelegenheit an sich oder ihrer Konsequenzen beinhaltet.

Hat man diese erste Hürde überwunden, was im Nachhinein trivial erscheint, so ist der weitere Weg wesentlich einfacher: man sucht in den verschiedenen Gebieten nach evolutionären bzw. revolutionären Aspekten, um die im Vortragsthema enthaltene Frage zu klären. Natürlich sind viele einzelne Technikentwicklungsschritte auch in Luft- und Raumfahrt so kleinschrittig voneinander abhängig, dass der Begriff Evolution passt. Auf der anderen Seite gibt es eben auch die revolutionären Punkte: Den Traum vom Fliegen, abgeschaut von den Vögeln, in die Tat umzusetzen, war eine revolutionäre Entwicklung, viele weitere Innovationen, bis hin zur Laminarhaltung oder aktiver Lärmminderung beinhalten für sich genommen ein Maß an Entwicklungssprüngen, das auch hier der Begriff Revolution angemessen ist. Ähnliches gilt, wenn die Entwicklungen wie z.B. die Beschichtung von Turbinenschaufeln mit keramischen Materialien auf einen anderen Bereich wie den der Herstellung von Zahnkronen übertragen wird.

Vom Bohrgerät zum Akkuschrauber

Ähnliches gilt für die Raumfahrt: Ohne natürliches Beispiel hat der Mensch es geschafft, technische Entwicklungen voranzutreiben, die es ihm als erstes natürliches Wesen erlaubt haben, in die Erdumlaufbahn und darüber hinaus zu "reisen". Viele technologische Innovationen mussten entwickelt werden, um den Traum von der Reise ins Weltall zu realisieren. Auch wenn die Teflon-Pfanne nicht auf die Raumfahrt zurückzuführen ist, hat allein die NASA gezeigt, dass mehr als 1600 Produktneuheiten direkt auf die Raumfahrt zurückzuführen sind, darunter z.B. der Akkuschrauber, entstanden aus der Herausforderung, auf dem Mond ohne das Vorhandensein einer Steckdose Bohrproben entnehmen zu können. Aber auch die Erkenntnisse über die Erde, das Sonnensystem und das Weltall sind durch die Raumfahrt dramatisch erweitert worden und haben – ähnlich wie die Luftfahrt beim Thema Mobilität – zu massiven Veränderungen des Selbstverständnisses des Menschen geführt.

Insgesamt war die Konsequenz aus meinem Vortrag also einfach: Die Frage "Luft- und Raumfahrttechnik - revolutionär oder evolutionär?“ kann nicht durch das eine oder das andere, sondern muss durch die Formulierung "Luft- und Raumfahrt sind evolutionär und revolutionär" beantwortet werden.

 

 

Bildnachweis: DLR (oben und mitte), NASA/Black & Decker (unten).

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Über den Autor

Im Jan-Wörner-Blog bloggte der ehemalige Vorstandsvorsitzende des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), Prof. Dr.-Ing. Johann-Dietrich "Jan" Wörner, selbst. Seit dem 1. Juli 2015 ist er Generaldirektor der Europäischen Weltraumorganisation ESA. zur Autorenseite