Raumfahrt | 22. Mai 2013 | von Jan Wörner

Von der kalten Kartoffel zum toten Pferd …

ESA und EU
ESA und EU

Vor einiger Zeit habe ich an dieser Stelle von der heißen Diskussion über eine kalte Kartoffel geschrieben. Gemeint war die Diskussion über die Beziehung zwischen der Europäischen Weltraumorganisation ESA und der Europäischen Union. Die Bestrebungen, die ESA in die EU zu integrieren, werden von Deutschland nicht unterstützt. Wir halten eine zwischenstaatliche europäische Raumfahrtagentur für eine zukunftsfähige Konstruktion. Die Zeit ist fortgeschritten und aus der kalten Kartoffel ist mittlerweile ein "totes Pferd" geworden: Es ist längst klar, dass eine Integration nicht nur unvernünftig, sondern auch nicht umsetzbar ist.

 

 

 

 

Die Metapher des "toten Pferdes“ wird den Dakota-Indianern zugesprochen, nach der es heißt: Wenn Du entdeckst, dass Du ein totes Pferd reitest, steig ab!” Diese Weisheit wird leider nicht von allen Akteuren in der aktuellen Diskussion umgesetzt. Stattdessen werden, frei nach Ken Homer, andere Wege gesucht, um das "Problem" zu lösen:

  • Kauf einer stärkeren Peitsche
  • Wechseln der Reiter
  • Dem Pferd mit Kündigung drohen
  • Bildung eines Arbeitskreises, um das Pferd zu studieren
  • Besuch anderer Orte, um zu sehen, wie andere tote Pferde reiten
  • Neuklassifizierung des toten Pferdes als "lebend, beeinträchtigt"
  • Einkauf von Externen, um das tote Pferd zu reiten
  • Versuch, mehrere tote Pferde zu besteigen, in der Hoffnung, dass eines wieder zum Leben kommt
  • Durchführen einer Produktivitätsstudie, um herauszufinden ob leichtere Reiter die Leistung des toten Pferdes erhöhen

(Quelle: Homer, Ken: "Riding a Dead Horse - The Wisdom of the Dakota Indians", 2008)

Ja, hin und wieder ertappe ich mich auch selbst dabei, dass ich eine Vorstellung, die ich habe, auch dann noch weiterverfolge, wenn die Aussichtslosigkeit längst offensichtlich ist. Die persönliche Herausforderung und Qualität besteht darin, zu erkennen, ob das Pferd wirklich tot ist oder ob ich durch Änderung der Richtung oder der Gangart bzw. durch gezielte Pausen das Pferd am Leben halten und das gewünschte Ziel erreichen kann. Klingt einfach, ist aber in der Umsetzung sehr schwierig und ist häufig nur durch Dialog mit Gleichgesinnten oder auch völlig Außenstehenden zu bewältigen. Guter Rat ist leider selten …

Bezogen auf die hier angesprochene und in einem früheren Blogeintrag bereits erläuterte Thematik der Beziehung zwischen ESA und EU kann jedoch klar festgestellt werden, dass durch eine Reihe sehr fruchtbarer Gespräche mit der Europäischen Kommission der skizzierte Weg der Intensivierung der Zusammenarbeit definiert ist, ohne die wichtigen Vorteile der ESA, d.h. insbesondere die direkte Steuerung durch die Vertreter der Mitgliedsstaaten, die optionalen Programme und "Geo-Return" als Instrument nationaler Raumfahrtpolitik aufzugeben. Statt nun weiter das "tote Pferd" einer unsinnigen Integration der ESA in die Europäische Kommission zu verfolgen, gilt es, die Details der Zusammenarbeit zu entwickeln. Dabei muss der Grundsatz der Vermeidung von Doppelstrukturen gelten. Hier gilt die Aufmerksamkeit der zukünftigen Positionierung der European GNSS Agency (GSA), die nicht eine neue Raumfahrtagentur werden darf, sondern die ESA und ihre Kompetenzen nutzen muss.

 

 

Bild oben: Diese EU-Flagge flog mit ESA-Astronaut Andre Kuipers während der Delta-Mission in den Weltraum. Quelle: ESA.

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Über den Autor

Im Jan-Wörner-Blog bloggte der ehemalige Vorstandsvorsitzende des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), Prof. Dr.-Ing. Johann-Dietrich "Jan" Wörner, selbst. Seit dem 1. Juli 2015 ist er Generaldirektor der Europäischen Weltraumorganisation ESA. zur Autorenseite