Raumfahrt | 15. Oktober 2013 | von Jan Wörner

Wissenschaft, Wissenschaftsmanagement, Wissenschaftspolitik … Teil 2

In meinem vorletzten Blogeintrag über die verschiedenen Aspekte der Forschung und Entwicklung habe ich versucht, die unterschiedlichen Aufgaben von Wissenschaft, Wissenschaftsmanagement und Wissenschaftspolitik zu beleuchten. Gehen wir der Einfachheit halber (und durchaus im Widerspruch zur Realität) davon aus, dass alle Akteure sich in ihrer jeweiligen Verantwortung so verhalten, dass am Ende die Wissenschaft optimal arbeitet, frei nach Saint-Exupéry: "Die Wissenschaft soll man nicht vorausplanen wollen, sondern möglich machen." (Das Originalzitat von Saint-Exupéry lautet: "Die Zukunft soll man nicht voraussehen wollen, sondern möglich machen"). In der Praxis ist damit aber noch nicht alles gesagt.

Forschung ist insbesondere dann schwierig zu gestalten, wenn neue unbekannte Bereiche erschlossen werden. Am Anfang steht die Idee, zum Glück oft jenseits der bisher gegangenen Wege. Die Natur dieser Ideen wird gerne "disruptiv" genannt, weil sie gegenüber der vorherrschenden Meinung "störend" wirkt. Die Beschreibung der Geometrie der Erde, die Bewegungen im Sonnensystem, aber auch die Vererbungslehre hatten alle diesen Charakter.

Auch alle großen Erfindungen haben störend oder zumindest verstörend gewirkt. Im Nachhinein wissen dann alle die Errungenschaften zu würdigen und sehen sie als mehr oder weniger selbstverständlich an. Ob Faraday mit der Erfindung der elektrischen Induktion oder Einstein mit seiner bahnbrechenden Relativitätstheorie, die heute wie selbstverständlich zur Sicherstellung der Genauigkeit der Satellitennavigation Anwendung findet - immer wurden derlei Ideen zunächst kritisch oder im schlimmsten Fall als überflüssig angesehen. Diese Tatsache stellt in einer utilitaristisch orientierten Schnäppchengesellschaft von heute eine besondere Bedrohung für die zukunftsorientierte Forschung dar. Sind wir bereit, Geistesgrößen zu folgen und Geld zu investieren, wenn sie wie bei George Stephenson, dem Erfinder der Dampflokomotive, nach dem Motto arbeiten "I can't tell you how I'll do it, but I can tell you I will do it"?

Von allen Seiten wird natürlich die Bereitschaft zur Unterstützung innovativer Ideen geäußert, in der Praxis gilt aber schnell "Das haben wir noch nie so gemacht!" oder "Es ist doch alles gut, wo ist der Veränderungsbedarf?". Diese Äußerungen werden Wissenschaft, Wissenschaftsmanagement, Wissenschaftspolitik für den jeweils eigenen Bereich formuliert. Dabei gilt, dass die größte Gefahr für die Zukunft der Erfolg der Gegenwart ist, oder anders ausgedrückt: Selbstzufriedenheit ist höchst gefährlich! Wir müssen insgesamt den disruptiven Gedanken Platz und Raum geben. Das "Out of the box“-Denken darf nicht in einer Diskussion über die Größe der Box, die Materialeigenschaften und andere Qualitäten enden.

All denen, die gerne gegen den Strom schwimmen, sei gesagt, dass man zum einen nicht erwarten darf, dass der Strom deshalb seine Richtung ändert und man sich zum anderen nicht wundern darf, dass einem so viele entgegen kommen! Persönliche Einsatzbereitschaft und Ausdauer sind gefragt, damit Wissenschaft dicke Bretter bohren kann. In der Praxis stellt man leider hin und wieder fest, dass man sich, nachdem man es mit dem Kopf endlich durch die Wand geschafft hat, in der nächsten "Zelle" wiederfindet …

Die Devise lautet: Nicht aufgeben! 

Bild oben und Mitte 
Forschung im Lichtbogenbeheizten Windkanal des DLR in Köln: Modell in simulierter Marsatmosphäre. Credit: DLR,
CC-BY 3.0.

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Über den Autor

Im Jan-Wörner-Blog bloggte der ehemalige Vorstandsvorsitzende des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), Prof. Dr.-Ing. Johann-Dietrich "Jan" Wörner, selbst. Seit dem 1. Juli 2015 ist er Generaldirektor der Europäischen Weltraumorganisation ESA. zur Autorenseite