Raumfahrt | 19. Juni 2010

Launch Rehearsal erfolgreich durchgeführt

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Countdown-Uhr

Der gestrige Tag war voll von der Generalprobe, dem "Launch-Rehearsal", geprägt. Dies ist der eigentlich kritische Punkt vor dem Start. Alle am Start Beteiligten müssen hier zeigen, daß sie alle Aktionen zur richtigen Zeit ausführen können und daß alle notwendigen Informationen verfügbar sind und ausgetauscht werden können. Da erstmals alle Teams beteiligt sind, fallen hier auch die letzten Unstimmigkeiten in der Abfolge auf. Diese sollten aber nur noch sehr klein sein. Eigentlich sollen danach überall Häkchen gemacht werden können.

Auf russischer Seite ist nicht nur das Raketenstartteam dabei, sondern auch die Leute von den Radar- und Funkstationen sowie ein Institut in der Ukraine, die die Aufstiegsbahn vermessen. In Oberpfaffenhofen sind die Kontrollräume K2 und K2a besetzt. Dort stehen die Teams von der Missionskontrolle, vom Satellitenhersteller, das Flugdynamikteam und das Stationsnetzteam bereit.

Gegen Mittag fahren wir ins Kosmodrom. Die Monotonie der Fahrt wird kurz unterbrochen, als der Bus für ein paar Kamele, die über die Straße laufen, bremsen muß. Leider konnte keiner schnell genug den Fotoapparat zucken. Heute dürfte mit 43 Grad Celsius der heißeste Tag sein.

Wir bauen unsere Laptops im MCC auf und legen die SoE bereit. Das steht für "Sequence of Events". So ein Dokument liegt allen Beteiligten jeweils maßgeschneidert vor. Darin stehen alle abzuarbeitenden oder zu prüfenden Vorgänge mit der dazugehörigen Zeit.

Meine Sequence of Events liegt bereit

Ich habe auf meinem Laptop eine große Countdown-Uhr gestartet. Sie zeigt mir die aktuelle Weltzeit (UTC), die simulierte Weltzeit vom Starttag (SIM) und die Mission Elapsed Time (MET) an. Die MET zeigt beim Start 00:00:00 an. Vor dem Start nennt man sie Countdown, und sie zeigt negative Werte an. Man sieht sie auf dem Vorschaubild oben in diesem Beitrag.

Eigentlich beginnt der Countdown für uns schon fünf Stunden vor dem Start, da aber immer wieder die gleichen Tests wiederholt werden, beginnen wir heute bei minus 90 Minuten. Ich rufe wenige Minuten vorher im GSOC bei Projektleiter Harald Hofmann an und erfrage den Status des Bodenstationsnetzes (Network) und der Missionsbetriebseinrichtungen (MOS). Er hat diese Informationen schon bereit, und ich kann dem Launch Manager hier im Raum "Network Ready" und "MOS Ready" melden. Er meldet ein "Go" vom Satelliten. Nun erwarten wir eigentlich von unseren russischen Partnern eine Meldung über den Zustand der Rakete, aber die schauen uns nur verdutzt an. Es stellt sich heraus, daß wir von ihnen keine explizite Meldung bekommen werden, sondern die Fortführung des Countdowns als Indikator nehmen sollen. Wir vermerken das in der SoE.

Über Lautsprecher hören wir den Sprechfunkverkehr der einzelnen Stationen. Natürlich alles auf russisch. Begonnen wird wie bei Apollo 13 mit dem Roll-Call. Der Startdirektor ruft der Reihe nach alle Positionen und läßt sich ein "Go" geben. Anders als in der englischsprachigen Raumfahrt haben die Personen aber keine Rufzeichen, sondern Nummern. TanDEM-X Launch Manager Ingo Duschl als Vertreter des Satellitenherstellers Astrium hat dabei Nummer 3.

Die Meldungen wiederholen sich bei minus 60, minus 40 und minus 20 Minuten. Zusätzlich senden die Kollegen in Oberpfaffenhofen ihren Status nun auch per Fax an uns. Bei minus 21 Minuten wähle ich den Übersetzer von einem anderen Telefon in die GSOC-Interkom-Anlage ein. Er bekommt seine Information über Lautsprecher vom Startdirektor, hat aber ebenfalls eine SoE mit vorformulierten Texten auf russisch und englisch vor sich liegen.

Unser russischer Kontakt zum Startdirektor

Ab minus 15 Minuten halte ich meine Telefonleitung ebenfalls permanent offen. Die letzte Meldung vom GSOC bei minus 10 Minuten ist kritisch, und das Fax wird vom hier anwesenden DLR-Repräsentanten Hermann Berg unterschrieben und an Ingo Duschl übergeben. Dieser fügt seine eigene schriftliche Bestätigung des guten Satellitenzustands hinzu und übergibt dies dem Vertreter des Startzentrums. Dies wäre die allerletzte Möglichkeit für uns, den Start noch abzubrechen. Bei minus drei Minuten endet jede weitere Kommunikation, und wir hören nur noch zu. Inzwischen ist die Spannung doch ziemlich gestiegen, und Hermann Berg zückt sogar seinen Fotoapparat und richtet ihn auf den Startplatz.

Über den Lautsprecher kommen regelmäßig Ansagen auf russisch, von denen der Übersetzer die wichtigsten auf englisch ins Telefon spricht. Ich gebe parallel an den GSOC-Projektleiter meine eigenen Kommentare ab. Bei MET="00:00:00" passiert natürlich gar nichts. Das wird am Montag zunächst auch so sein, da der Start erst bei plus fünf Sekunden stattfinden wird. Als Ersatz zeige ich den Kollegen in einer ruhigen Minute einen anderen Raketenstart eigener Produktion.

Die Referenzzeit, auf die wir uns beziehen, heißt "Go inertial" und bezeichnet den Zeitpunkt, ab dem die Kurskreisel der Rakete losgelassen werden. Dieser Zeitpunkt ist wichtiger als der Lift-off, und er wird 10 Minuten später auf die Zehntelsekunde genau offiziell mit Unterschrift per Fax an mich übermittelt. Ich schicke das Fax dann weiter an die Flugdynamikabteilung am GSOC. Natürlich gebe ich auch mündlich weiter, ob es eine Abweichung gab und ob der Start tatsächlich stattgefunden hat. 30 Minuten nach Start kommt noch die Zeit der Abtrennung des Satelliten von der Oberstufe hinzu. Damit ist nun klar, ob der Satellit bei halbwegs nominellem Einschuss zu den geplanten Zeiten über den Bodenstationen empfangbar sein wird. Erst nach drei bis vier Stunden werden wir die offiziellen Einschussdaten aus der Ukraine bekommen. Da hat dann der erste Kontakt für das GSOC hoffentlich schon stattgefunden.

Heute beim Rehearsal warten wir nicht so lange und bekommen das Fax schon nach etwa ein Stunde, während wir in der Abschlussbesprechung sitzen. Alle Parteien sind sehr zufrieden, da alles geklappt hat. Wir sind also für den Start gerüstet. Die Russen wünschen uns noch viel Glück bei Fußballspiel gegen Serbien. Erleichtert fahren wir zurück und sehen uns das Spiel bei einem verdienten Bier in der Hotelbar an. Na ja, es kann ja nicht alles klappen!

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