Raumfahrt | 26. August 2013

Als DDR-Bürger gestartet und als Deutscher gelandet - Ko(s)mische Randnotizen zum 35. Jahrestag des Fluges von Sigmund Jähn

Sigmund Jähn schreibt auf die Landekapsel
Sigmund Jähn schreibt auf die Landekapsel

Die DDR-Bürger trauten ihren Augen und Ohren nicht, als am 26. August 1978 ihre Medien die Nachricht vom Start Sigmund Jähns mit seinem sowjetischen Raumschiffkommandanten Waleri Bykowski verbreiteten: Der erste Deutsche im All ein Bürger der Deutschen Demokratischen Republik. Das war ein völlig neuer Zungenschlag. Bis dato war man offiziell "Bürger der DDR", den, wie es hieß, "alles mit seinem sozialistischen Vaterland und nichts mit der imperialistischen BRD" verband.

Auch Sigmund Jähn wunderte sich nach seiner Rückkehr am 3. September von der Raumstation Salut 6, plötzlich Deutscher geworden zu sein, gab das allerdings erst nach der Wende zu. Denn als "gelernter" DDR-Bürger wusste man schon lange, dass die Partei- und Staatsführung ihre Probleme mit der Definition der "nationalen Frage" hatte, also der Begründung, dass die DDR der "einzig rechtmäßige" - Scherzbolde sprachen vom "einzig recht mäßigen" - Staat auf deutschem Boden sei. Die Argumentation dafür veränderte sich im Laufe der Jahre immer wieder einmal, so dass der Volksmund schon spottete, der Erfinder der Generallinie der Partei sei (der real existierende Spitzenpolitiker) Paul Wandel. Und nun waren plötzlich über Nacht  alle auch Deutsche. Da konnte man schon darüber ins Grübeln kommen, ob sich erneut ein neuer Kurs abzeichnete oder nur ein verbaler Alleinvertretungsanspruch vorlag.

Jähn und Bykowski verabschieden sich auf der Startrampe
Jähn und Bykowski verabschieden sich auf der Startrampe vor dem Einstieg in das "Sojus"-Raumschiff

Obwohl die DDR-Spatzen schon von allen Dächern pfiffen, dass nach dem Flug des Tschechoslowaken Vladimir Remek im März und des Polen Miroslaw Hermaszewski im Juni bald die DDR an der Reihe sein würde, wurde strengste Geheimhaltung befohlen. Wir Journalisten mussten unsere von der Pressestelle gesteuerte Hintergrundrecherche bei den Geschwader-Kameraden, Lehrern, Ausbildern und ausgewählten Freunden von Jähn und Eberhard Köllner mit der Lüge begründen, Material über die beiden Offiziere zu sammeln, weil sie zum 30. Jahrestag der DDR am 7. Oktober ausgezeichnet werden sollten.

Während die allermeisten Gesprächspartner das Spielchen mit Augenzwinkern mitmachten und uns gestelzte Parteitagsparolen in die Blöcke diktierten, redete der Sohn eines privaten Handwerksmeisters, bei dem Köllner gelernt hatte, Klartext. Für ihn stehe fest, dass Eberhard nur Jähns Double sein werde. Er könne sich nämlich nicht vorstellen, dass das ND ("Neues Deutschland") mit der Schlagzeile erscheine: "Köllner ist erster DDR-Kosmonaut".

Nach dem Start im fernen Baikonur lief eine beispiellose Propagandakampagne an. Die ganze Republik war im Jähn-Fieber, und der "unverbrüchliche Bruderbund mit der ruhmreichen Sowjetunion", der nunmehr auch im Weltall besiegelt worden sei, wurde hochgejubelt. Bei seiner triumphalen Rundreise durch die DDR wurde der von Haus aus eher schüchterne und ausgesprochen bescheidene Kosmonaut ein ums andere Mal in arge Verlegenheit gebracht, obwohl die Sympathien, die ihm entgegenschlugen, durchaus echt waren. Sein Unbehagen, so extrem als Aushängeschild des Staates benutzt zu werden, den er durchaus bejahte, war spürbar. Er habe sich "freiwillig vereinnahmen lassen", beschrieb er später einmal seine Gefühle.

Erste Interviews von Jähn und Bykowski in der Kasachensteppe
Erste Interviews von Jähn und Bykowski in der Kasachensteppe

Es passt irgendwie ins Bild der damaligen DDR-Politik, dass Jähns Doktorarbeit von 1983 über die Ergebnisse seines Fluges für Jahre im Giftschrank verschwand. Die Dissertation mit dem sperrigen Titel "Arbeiten zur Entwicklung methodischer Grundlagen für die Auswertung und Nutzung von Fernerkundungsdaten in der DDR" wurde mit "summa cum laude", also "höchstem Lob", bewertet, auf dem Deckblatt prangte jedoch der Stempel "Vertrauliche Verschlusssache VVS-Nr. C 525 700".
Prof. Dr. Karl-Heinz Marek, der die Arbeit als damaliger "Doktor-Bruder" gemeinsam mit Jähn verfasst hat, sagte mir, auch ihn habe diese Entscheidung "überrascht". Der inzwischen emeritierte Wissenschaftler fügte allerdings hinzu, unter Berücksichtigung des Zeitgeistes von damals schienen ihm jedoch einige Gründe "plausibel".

So seien in der Arbeit "hochauflösende Flugzeug- und Weltraumfotos vom DDR-Territorium (Darß, Ostsee-Küste) enthalten, die laut damals für alle Luft- und kosmischen Bilder geltenden Bestimmungen vom Militärtopographischen Dienst der NVA als VVS eingestuft wurden und damit nicht zur Veröffentlichung freigegeben waren". Ein wesentlicher Bestandteil der Arbeit  sei zudem die 110-seitige Kurzfassung des "Flugberichtes zum ersten gemeinsamen bemannten Weltraumflug UdSSR-DDR"  gewesen. Dessen Geheimhaltungsbewertung habe nur "zusammen mit den entsprechenden Bewertungen der Berichte über die anderen INTERKOSMOS-Flüge durch die sowjetische Seite erfolgen" können. Die Aufhebung des Geheimhaltungsgrades VVS der Arbeit sei 1988 durch die NVA erfolgt, betonte Marek und fügte dann allerdings hinzu :"Der Geheimhaltungsgrad VVS der Dissertationsschrift hat deren Auswertung in der Praxis jedoch nicht behindert."

Sigmund Jähn schreibt auf die Landekapsel
Sigmund Jähn schreibt die Worte "Herzlichen Dank!" mit Kreide auf die rußgeschwärzte Landekapsel, die ihn bei Dsheskasgan wieder sicher zur Erde gebracht hat, und setzt seine  Unterschrift und das Datum 3.9.1978 darunter

Bei der Premiere der Multispektralkamera MKF 6 an Bord des Raumschiffes Sojus 22 im September 1976 ging übrigens unter den sowjetischen und DDR-Journalisten im Flugleitzentrum (ZUP) vor den Toren Moskaus das Gerücht um,  das Hightech-Gerät aus dem VEB Carl Zeiss Jena habe den strategischen Vorsprung der USA in der Weltraumfotografie von zehn auf nur noch vier Jahre verringert. Bestätigt wurde das natürlich nie. Doch das würde ganz gut erklären, warum der Kreml der DDR nach dem Jähn-Flug verbot, die Kamera, die sich auch in Salut 6 hervorragend bewährt hat, zu vermarkten.

Zu meiner großen Verwunderung ging auch während des ganzen Fluges von Jähn und Bykowski die Zensur weiter. Ich musste alle meine Texte in Baikonur einem sowjetischen Zensor vorlegen. Erst nach dessen Freigabe wurden sie von einer jungen Dame per Fernschreiber nach Berlin über-mittelt.
Die Fortsetzung der DDR-Zensur bestand darin, dass wir zum Beispiel nicht schreiben durften, dass Jähn kurz vor seinem Flug Großvater geworden war und sich im Datum geirrt hatte, als er sich mit weißer Kreide auf der rußgeschwärzten Landekapsel verewigte. Auf den Fotos, die wegen des Missgeschicks wiederholt werden mussten, ist aber deutlich zu sehen, dass da jemand etwas weggewischt hat.
Dass sich Jähn und Bykowski bei der Landung mehrfach überschlagen hatten, wobei sich der Deutsche eine bleibende Rückenverletzung zuzog, haben wir nicht mitbekommen, weil die Landekapsel in einer riesigen Staubwolke verschwunden war. Jähn selbst verriet mir dieses "Geheimnis" erst rund zehn Jahre später.

Deutsche-deutsche Ironie des Schicksals am Rande: Der unterschlagene Enkelsohn des späteren NVA-Generals Jähn, der zur Wendezeit sang- und klanglos entlassen worden war, diente zwölf Jahre in der Bundeswehr des vereinten Deutschlands und brachte es bis zum Hauptmann.

Sigmund Jähn und Gerhard Kowalski in Jähns Geburtsort Morgenröthe-Rautenkranz
Sigmund Jähn und der Autor in Jähns Geburtsort Morgenröthe-Rautenkranz

Über den Autor: Gerhard Kowalski, Jahrgang 1942, Dipl.-Journalist und Dipl.-Dolmetscher, von 1966 bis 2007 tätig bei der Nachrichtenagentur ADN und ihren Nachfolgern, davon 18 Jahre als Korrespondent in Moskau, Warschau und Budapest. Seit 2007 freier Raumfahrtjournalist, Buchautor, Moderator, Berater und Fachübersetzer.

Alle Bilder: ©Archiv Kowalski

TrackbackURL