Raumfahrt | 02. Juni 2014 | von Tom Uhlig

Und die Aussichten für die kommenden Tage: Sonne pur...

Die ersten Schichten mit Alex an Bord - wir sind schon gespannt, wie unsere Kollaboration während der "Blue Dot"-Mission aussehen wird. Trotzdem: Heute ist das Wetter fast zu schön, um den Nachmittag im fensterlosen Kontrollraum zu verbringen - da sind Laura Zanardini und ich uns einig. Glücklicherweise haben wir heute mehrere Abrisse der Funkverbindung mit der ISS  - was uns die Gelegenheit bietet, öfters mal hinauszugehen, denn das ist uns nur in diesem Spezialfall erlaubt.

 

Draußen kommen wir plötzlich im Gespräch darauf, dass auch die Raumstation zurzeit sehr viel Sonne genießen kann. Laura kann mir auch den Hintergrund erklären, sie hatte vor kurzem sogar einen wissenschaftlichen Artikel mit einer Kollegin hierzu veröffentlicht:##markend## Schuld daran ist eine sehr spezielle Situation, in der sich die ISS gerade befindet - wir sprechen von einem "high beta angle". Der Beta-Winkel gibt den Winkel zwischen der Linie Erde-Sonne und der ISS-Flugebene an - also die Ebene, in der die ISS die Erde umkreist. Da die Erde um die Sonne rotiert, und auch die Flugebene sich wegen des ungleichmäßigen Schwerefeldes der Erde langsam dreht, ändert sich der Winkel kontinuierlich und zweimal pro Jahr erreicht er ein absolutes Maximum.

Dann tastet sich die ISS - bildhaft gesprochen - auf ihrer Bahn um die Erde immer sehr nahe an der Tag-Nacht-Grenze entlang und tritt praktisch nie in die Erdschatten auf der sonnenabgewandten Seite ein: Sie ist dann kontinuierlich der Sonneneinstrahlung ausgesetzt. Laura veranschaulicht es mir mit einer Modellerde und einem Textmarker als Sonnenstrahl.

Warum sich das auf die Funkverbindung auswirkt, möchte ich dann von ihr wissen. Ganz einfach: Weil nur eine Seite der ISS die permanenten Sonnenstrahlen genießen kann - und die andere immer im Schatten ist. Das hat auf die verschiedenen Teile der ISS unterschiedliche Auswirkungen. Am meisten sind die empfindlichen Antennen betroffen, die zum Schutz von den niedrigen Temperaturen immer wieder "geparkt" werden müssen, was die für uns heute sehr vorteilhaften Unterbrechungen in der Verbindung zur Folge hat.

Auch die Stromerzeugung kann davon betroffen sein. Denn die riesigen Solarpanele müssen manchmal aus ihrem routinemäßigen Nachverfolgen der Sonne herausgerissen und in eine zur Energiegewinnung ungünstigere Position gefahren werden. Diese Position ist dann ein Kompromiss aus verschiedenen Faktoren: Thermische Überlegungen für die Solarzellen und deren Komponenten, Ausgleichen der verschiedenen Stromkanäle und Batterieladungen, sogar ihr "Missbrauch" zum Abschatten anderer empfindlicher ISS-Elemente.

In der Shuttle-Ära resultierte ein hoher Beta-Winkel sogar in einem "Beta-Cutoff-Date": Jenseits dieses Datums konnte ein Space Shuttle nicht starten, da wegen der verschiedenen thermischen Einschränkungen der beiden Raumfahrtzeuge ein sicheres Andocken an die ISS nicht möglich war.

Auch für Columbus heißt es heute aufpassen: Zwar hat das Europäische Forschungsmodul spezielle Heizer an seiner Außenseite, aber diese kommen bei "High Beta" auch an ihre Grenzen. Die Gefahr ist dann vor allem Kondenswasserbildung an den kalten Stellen – was man tunlichst vermeiden möchte: Wasser und Elektrischer Strom vertragen sich nicht gut...

Laura als verantwortlicher STRATOS (Safeguarding Thermal Resources Avionics Telecommunications Operations Systems) hat heute deshalb besonders den Kondensationspunkt der Kabinenluft im Auge: Dieser Parameter muss immer um ein genau definiertes Stück kleiner als die kleinste Hüllentemperatur sein, wie eine unserer gesetzesartigen "Flight Rules" vorschreibt.

Die nächsten Tage wird der Beta-Winkel noch etwas grösser werden und der ISS schlaflose Nächte bescheren. Alex Gerst sollte trotzdem ohne Probleme schlafen können - manchmal hat es auch Vorteile, dass die Raumstation nur sehr spärlich mit Fenstern ausgestattet ist!

Quelle: DLR (CC-BY 3.0)
Laura Zanardini erklärt den Beta-Winkel
TrackbackURL

Über den Autor

Als Kind wollte Tom Uhlig Astronaut werden. Beim DLR kam er dabei seinem Traum sehr nahe: Er arbeitete als Columbus-Flugdirektor an der Konsole und leitete sowohl das Col-CC-Trainingsteam als auch Gruppe für den Betrieb von geostationären Satelliten bis Dezember 2016. zur Autorenseite