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Arbeiten bei Gegenwind (Teil 3): Kevin Gnebner - Ingenieur und Strukturforscher

Ingenieur Kevin Gnebner bei der Arbeit

Krummendeich. Da, wo der Deich zur Elbe hin nicht gerade, sondern kurvig verläuft. 390 Einwohner. Flaches Land, wo der Wind zum Alltag gehört. Seit dem Sommer 2023 drehen sich dort die Rotorblätter von OPUS 1 und 2 des Forschungswindparks WiValdi. Wenn ein Rotorblatt senkrecht steht, befindet sich seine Spitze in 150 Metern Höhe. Was man von weitem nicht sieht: Die Windkraftanlagen und die Messmasten sind vom Fundament bis zur letzten Rotorspitze mit insgesamt 1500 Sensoren bestückt, die rund um die Uhr Daten erfassen und aufzeichnen. Und wer genau hinsieht, stellt fest, dass die beiden Windenergieanlagen in Hauptwindrichtung hintereinander angeordnet sind - für kommerzielle Anlagen ein absolutes No Go, weil die hintere Anlage in der Windverwirbelung der ersten steht. Beides ist gewollt, denn WiValdi ist als Forschungsanlage nicht auf die größtmögliche Erzeugung von Strom ausgerichtet, sondern auf die größtmögliche Gewinnung von wissenschaftlichen Erkenntnissen. Lukas Firmhofer, Kevin Gnebner und Julia Menken haben alle schon in 90 Metern Höhe auf dem großen Maschinenhaus gestanden und kräftig Gegenwind gespürt. In drei Beiträgen stellen wir die Menschen vor, die am und mit dem Windpark arbeiten.

Zum Arbeiten ins Rotorblatt

Für die Sensorik in das Rotorblatt
In rund 90 Metern Höhe befindet sich das Rotorblatt der Windenergieanlage, das Kevin Gnebner für die Messungen ausgestattet hat.

Manchmal musste Kevin Gnebner vom Institut für Aeroelastik bei einigen Arbeiten den Kopf ausschalten. Dann, wenn er im Inneren der Rotorblätter saß und Sensoren und Messanlagen auf Funktion überprüfte. Schließlich waren unter dem Rotorblatt, in dem er arbeitete, nichts als 90 Meter Luft bis zum Boden. „Das war dann wohl mein ungewöhnlichster Arbeitsort - mal warm, mal kalt, immer staubig, immer rutschig“, beschreibt er seinen Einsatz in den Windenergieanlagen OPUS 1 und 2, der unter anderem seine eigene Forschung vorbereitete. Zur Mittagspause ging es auf das Dach des Maschinenhauses mit frischer Luft und Weitblick über das platte Land. Die Instrumentierung der Rotorblätter hatte allerdings seinen Anfang in Portugal genommen. Fünf Wochen lang lebten der Ingenieur und rund 30 weitere Team-Mitglieder des DLR in direkter Nähe zu den „heiligen“ Produktionshallen, in denen die Rotorblätter gefertigt wurden. Ständig auf Abruf, denn die Sensoren mussten im laufenden Produktionsprozess innerhalb von 24 Stunden eingebaut werden. „Das hatten wir in diesem Ausmaß noch nie gemacht“, sagt der 31-Jährige. Damit dennoch alles möglichst reibungslos funktionierte, trainierte das Team im Vorfeld an einem selbstgebauten Demonstrationsrotorblatt und übte die Abläufe ein.

Arbeiten mit einem Schatz an Daten

Testanlagen für die längere Lebensdauer von Windenergieanlagen
Die Forschungsdaten sollen die effektivste Nutzung bei möglichst langer Lebensdauer der Anlagen ermöglichen.

Eigentlich hatte sich Kevin Gnebner in seinem Maschinenbau-Studium im Bereich Energie- und Verfahrenstechnik auf Flugtriebwerke spezialisiert. Doch schon für seine Masterarbeit, die er vor mehr als vier Jahren am DLR-Institut für Aeroelastik schrieb, orientierte er sich um und wertete Schwingungsmessdaten von Rotorblättern einer Windkraftanlage aus. Etwas, was er jetzt für die neuen Anlagen des Forschungswindpark fortführt. Seine Forschung hat vor allem ein Ziel: „Wir wollen Empfehlungen geben, wie man Anlagen in Zukunft besser regeln kann, ihre Lebensdauer verlängern und die Effizienz steigern kann.“ Das alles geschieht nicht ausschließlich in Modellen am Rechner, sondern auch auf der Basis von Messdaten. Seit über einem Jahr liefern die Sensoren Messdaten für seine Forschung. Schon vor Ort in Krummendeich hatten sie für eine Messkampagne eine Last von einer Tonne in die Rotorblätter eingeleitet, um die zahlreichen Dehnmessstreifen zu kalibrieren. „Trotz des zusätzlichen Gewichtes von einer Tonne haben sich die Rotorblätter kaum durchgebogen. Im realen Betrieb hingegen wirken deutlich höhere Kräfte, bei denen sich die Blätter je nach Windstärke um mehrere Meter durchbiegen können“, erläutert er.

Seine Datenauswertungen werden zeigen, wie das einströmende Windfeld bei realen Belastungen auf die unterschiedlich angeordneten Windenergieanlagen einwirken. Besonders spannend für die Forschung ist dabei die zweite Anlage, die im Wirbelfeld der ersten Anlage steht und dadurch ein besonders komplexes, turbulentes Windfeld haben wird. Der zukünftige Ausbau der Windenergie wird solche Konstellationen erforderlich machen - doch bisher sind die Auswirkungen auf Leistung und Lebensdauer noch nicht ausreichend untersucht.

Ein Arbeitsplatz mit Aussicht
Um den Windenergiepark WiValdi für die Forschung nutzen zu können, installierte das Team zahlreiche Sensoren - so erhalten alle Forschenden aktuelle Daten.

Die experimentelle Arbeit bringt auch einen hohen verwaltungstechnischen Aufwand mit sich: Alle Messdaten müssen auf ihre Qualität geprüft werden, alle Sensoren und Messanlagen, die unter anspruchsvollen Anforderungen wie Temperaturwechsel oder Flexibilität der Rotorblätter arbeiten, müssen auf ihre Funktionalität überwacht werden. Software und Algorithmen sind die Hilfsmittel, mit denen der Ingenieur arbeitet. Per Fernsteuerung hat er auch vom DLR-Standort Göttingen direkten Zugriff auf die aktuellsten Messdaten der Windkraftanlagen. Tauchen technische Probleme auf, wechselt er von seinem Arbeitsplatz im Büro im Institut einfach zur Windkraftanlage in Krummendeich. Daran, dass er im Inneren der Rotorblätter eigentlich in fast 90 Metern Höhe arbeitet, hat er sich mittlerweile fast schon gewöhnt.

Interdisziplinär und standortübergreifend

Vorbereitungen für Messkampagnen
Kevin Gnebner hat den Aufbau des Forschungswindpark WiValdi begleitet. Er wird auch mit den gewonnen Daten arbeiten.

„Ich bin frisch von der Uni direkt ins kalte Wasser geworfen worden, mein Vorgesetzter, der auch schon meine Masterarbeit betreut hat, hat mir vertraut - Messtechnik, Sensorik und experimentelles Arbeiten waren für mich Neuland, aber man wächst mit seinen Aufgaben“, sagt er. Und dass er seinen Traumjob gefunden hat. „Ich habe einen abwechslungsreichen Mix aus Büro und experimentellem Arbeiten.“ In der Windenergieforschung im DLR wird zudem interdisziplinär und standortübergreifend gearbeitet. So war zum Beispiel die Meteorologie bisher für den Ingenieur eher ein „böhmisches Dorf“. „Durch den Austausch habe ich auch über dieses Fachgebiet viel gelernt - im DLR haben wir den Vorteil, dass überall verteilt die ganzen Spezialistinnen und Spezialisten sitzen.“

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