DLR Magazin 151 - page 26-27

FLUGLÄRMMINDERUNG
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FLUGLÄRMMINDERUNG
Dieser sogenannte Körperschall wird für die Kabinenakustik in Flugzeugen immer
wichtiger. Denn neue, sparsamere Triebwerke erzeugen auch andere Schallwellen.
Während die Schwingungen bei älteren Triebwerkarten eher hochfrequent waren,
rücken sie bei neuartigen Antriebskonzepten wie UHBR (Ultra High Bypass Ratio)
oder CROR (Contra Rotating Open Rotor) stärker in den niederfrequenten Bereich.
In diesem Frequenzbereich breitet sich Körperschall besser aus und sein Einfluss auf
die Kabinenakustik nimmt zu. Beim aktuellen Stand der Technik bereiten diese
Frequenzen Schwierigkeiten, sowohl in der Simulation als auch im Experiment: Im
niederfrequenten Bereich kann mit der Finite-Elemente-Methode (FEM) und mit
Experimenteller Modalanalyse (EMA) gearbeitet werden, im höheren Frequenzbe-
reich kommen statistische Energiemethoden (SEA, Statistical Energy Analysis) zur
Anwendung (Erläuterung im Glossar). Aber im mittleren Frequenzbereich liefert
keines der verfügbaren Werkzeuge zufriedenstellende Ergebnisse.
Was passiert im mittleren Frequenzbereich?
Es ist genau dieses Problem des Körperschalls samt seiner Ausbreitungspfade, mit
dem sich die Mitarbeiter der Arbeitsgruppe Vibroakustik im Institut für Aeroelastik
beschäftigen. Besonderes Augenmerk wird dabei auf das physikalische Verständnis
der Kopplung zwischen Strukturschwingungen und Akustik gelegt. Dabei betrach-
ten sie vor allem die Schwingungen im mittleren Frequenzbereich, also zwischen
50 und 500 Hertz.
Zunächst identifizierten die Wissenschaftler vibroakustische Schallquellen und de-
ren Rolle im Kabinenkomfort. Flugtestdaten wurden am DLR-Forschungsflugzeug
D-ATRA aufgenommen, einem seriennahen A320. Die Akustiker werteten Daten
von verschiedenen Sensoren aus. Diese Daten geben unter anderem Aufschluss
über die Strukturschwingungen sowie über den Schalldruck in der Kabine und an
der Rumpf-Außenhaut. Aufgezeichnet wurden die Daten von 330 Sensoren bei
mehr als 300 unterschiedlichen Flugbedingungen. Im Ergebnis lagen 2,4 Terabyte
an Informationen vor. Um diesen großen, heterogenen Datensatz zu verarbeiten,
wurde eigens eine Software entwickelt. Sie kombiniert Methoden der Struktur­
dynamik, der Akustik und der Signalverarbeitung. So war es nicht nur möglich, die
wichtigsten Quellmechanismen für Kabinenlärm zu identifizieren. Es konnten auch
die Komponenten der Flugzeugstruktur identifiziert werden, die an dem Ausbrei-
tungspfad beteiligt sind und somit den Kabinenlärm beeinflussen. Allerdings
zeigte die Analyse auch, dass sich die Pfade des Schwingungstransfers aufgrund
ihrer komplexen Struktur schwer identifizieren lassen.
Neue Analysewerkzeuge sind gefragt
Ausgehend von den Methoden strukturdynamischer Experimente, die es für den
niedrigen Frequenzbereich bereits gibt, wurden Versuchs- und Analysewerkzeuge
entwickelt, mit denen die Finite-Elemente-Methode auch für Körperschallwellen
in höheren Frequenzbereichen eingesetzt werden konnte. Kennt man die Über-
tragungswege für Körperschall in einer Struktur, so lassen sich Lärmminderungs-
maßnahmen lokal zielgerichtet einbringen – und das ohne zu viel Zusatzgewicht
und mit hoher Effizienz.
Um Versuchsmethoden zu überprüfen, benötigen die Wissenschaftler allerdings
geeignete Daten. Diese zu generieren, ist ein aufwändiges Unterfangen. An einer
Rumpftonne des Flugzeugs A400M haben die DLR-Wissenschaftler in einer groß
angelegten Messkampagne mittelfrequente Strukturschwingungen erstmals un-
tersucht und ausgewertet. Dazu errichteten Fachkollegen der Helmut-Schmidt-
Universität der Bundeswehr Hamburg (HSU) eigens eine Halle für die 32 Meter
lange Leichtbaustruktur mit einem Durchmesser von sechs Metern. Ein Team von
DLR-Mitarbeitern untersuchte dann das kabinenähnliche Bauteil auf seine struktur-
dynamischen und vibroakustischen Eigenschaften.
Um die Strukturwellen im mittleren Frequenzbereich identifizieren zu können, die
sehr viel kleiner sind als die im tiefen Frequenzbereich, ist eine hohe räumliche
Auflösung der Rumpfvibrationen erforderlich. Wie viele Messpunkte benötigt
man, um zu Ergebnissen in der gewünschten Qualität zu kommen, ohne die Ver-
suche zu sehr in die Länge zu ziehen? Die Wissenschaftler gaben sich letztlich mit
2.800 Messpunkten zufrieden. – Eine immer noch enorme Anzahl. Zum Vergleich
die Eckdaten eines Standschwingungsversuchs: Zur Schwingungsidentifikation
am Airbus A350-XWB im niederen Frequenzbereich waren 500 Sensoren auf das
gesamte Flugzeug verteilt worden.
Die wesentlich größere Zahl an Messpunkten beim A400M-Vibroakustikversuch
machte mehrere Messungen notwendig: 200 Sensoren waren stets aufs Neue
anhand eines vorher definierten Schemas manuell durch die Struktur zu führen.
Immer wieder regten die Forscher die Struktur an fest definierten Stellen zu
Schwingungen an.
Bessere Schwingungsvorhersage
Auch Simulation und Experiment zu vergleichen, ist im mittleren Frequenzbereich
nicht einfach. Etablierte Methoden steigen bereits bei leichten Unstimmigkeiten
in den Simulationsmodellen und in der Fertigung der realen Struktur aus. Anhand
der Versuchsdaten entwickelten die Forscher deshalb eine neue Methode: Diese
vergleicht über Frequenzbereiche gemittelte Schwingungsenergien in einer Viel-
zahl von Strukturflächen. So können sie die Finite-Elemente-Modelle bis in den
mittleren Frequenzbereich besser abschätzen und gegebenenfalls Modellparameter
anpassen. Auf diese Weise ist ein bereits bekanntes Werkzeug zur Schwingungs-
vorhersage nun auch für diesen mittleren Frequenzbereich nutzbar.
Der an der Rumpfstruktur des A400M validierte Messprozess und das neue Korre-
lationsverfahren wurden inzwischen bereits angewendet: Im Zentrum für Ange-
wandte Luftfahrtforschung in Hamburg, kurz ZAL, führten die DLR-Wissenschaftler
am Flight-LAB-Demonstrator eine Schwingungsmessung durch. Der Flight-LAB-
Demonstrator ist ein von der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Ham-
burg (HAW) und Airbus betriebener Versuchsträger. Mit ihm werden Maßnahmen
zur Verbesserung des akustischen Kabinenkomforts erprobt. Es handelt sich dabei
um eine Rumpfstruktur, die ähnlich der des A320 konstruiert und aufgebaut ist.
Am Boden sollen akustische Messungen realisiert werden, wie sie sonst nur im Flug
stattfinden können. Das DLR setzte die neu entwickelten Versuchsmethoden zur
Charakterisierung des Flight-LAB-Demonstrators ein. Die Vermessung dieser Struk-
tur war der bisher wichtigste Meilenstein der Arbeitsgruppe Vibroakustik. Die
Wissenschaftler erfassten dazu die Schwingungsdaten dieser Struktur an 12.000
Sensorpunkten. Mittels der daraus gewonnenen gewaltigen Datenmenge und
dank des neuen Korrelationsverfahrens wird jetzt das Simulationsmodell angepasst.
Demnächst Messungen mit einem Laserscanner
Um zukünftig den gewaltigen Aufwand für eine solche Untersuchung zu reduzie-
ren und gleichzeitig die Genauigkeit der Messungen zu erhöhen, hat die Arbeits-
gruppe Vibroakustik begonnen, einen mobilen Laserscanner für Flugzeugrumpf-
strukturen zu entwickeln. Dieser soll es erlauben, Schwingungen von zylindrischen
Strukturen, wie dem Inneren eines Flugzeugrumpfes, automatisch zu vermessen
und zu kartieren. Das ist bisher mit noch keinem kommerziell erhältlichen System
möglich.
Der neu entwickelte Laserscanner arbeitet mit einem Laser-Doppler-Vibrometer
(LDV). Dieses Messsystem nutzt den optischen Doppler-Effekt, um die Vibrations-
geschwindigkeiten von Oberflächen an einem anvisierten Punkt berührungslos zu
erfassen. Eine spezielle Spiegeloptik fährt sehr viele Messpunkte mit dem Laserstrahl
automatisch an. Über eine Kamera kann der Laserscanner zuvor mit QR-Codes
markierte Punkte auf der Struktur finden und sich so selbstständig in seiner Um-
gebung bewegen. In Kombination sind der Laserscanner und das Vibrometer in
der Lage, viele zehntausend Punkte in einer Flugzeugkabine eigenständig auf ihre
Vibrationseigenschaften hin zu vermessen – Tag und Nacht, ohne Kabel und mit
überschaubarem Aufwand.
Mit diesem System werden die kommenden experimentellen Herausforderungen
bearbeitet: Die Rumpfstruktur des A400M der Helmut-Schmidt-Universität Ham-
burg wird ein weiteres Mal vermessen. Dabei kommen aber nicht mehr Hunderte
von Sensoren zum Einsatz, sondern der neu entwickelte Laserscanner. Er wird mit
einem Mikrofon-Array der Universität zu einem Vibrations- und Schalldruckmess-
system gekoppelt. Aber auch die Untersuchungen am Flight-LAB-Demonstrator
sind längst nicht abgeschlossen. Bis das Ziel der Flugtests am Boden erreicht wer-
den kann, muss noch eine Vielzahl von Untersuchungen folgen: Als nächstes wird
mit 132 Lautsprechern der Triebwerklärm am Acoustic Flight-LAB-Demonstrator
simuliert. Die von den DLR-Wissenschaftlern entwickelten Methoden werden
eingesetzt, um die Genauigkeit dieser Flugtests am Boden zu bestimmen und so
dem Lärm schlussendlich auf die Spur zu kommen.
Dr. René Winter
forscht in der Abteilung Strukturdynamik und aeroelastische Systemidentifikation
am DLR-Institut für Aeroelastik und leitet die Gruppe Vibroakustik.
GLOSSAR
UHBR – Ultra High Bypass Ratio: Konzept für ein mo-
dernes, sparsames Mantelstromtriebwerk mit sehr
großem Fan-Durchmesser
CROR – Counter-Rotative Open Rotor: Ein Turbinen-
triebwerk mit zwei gegenläufigen, offenen Rotoren
FEM – Finite-Elemente-Methode: numerisches Be-
rechnungsverfahren zum Lösen von physikalischen
Problemen
EMA – Experimentelle Modalanalyse: Bestimmung dy-
namischer Eigenschaften einer Struktur aus Schwin-
gungsmessdaten
SEA – Statistical Energy Analysis: Methode zur Vorher-
sage von gemittelten Schwingungsenergien einzelner,
leicht gekoppelter Substrukturen einer Gesamtstruktur
LDV – Laser-Doppler-Vibrometer: Gerät zur berüh-
rungslosen Messung von Schwingungen mit Hilfe
des optischen Doppler-Effekts
PROJEKTBETEILIGTE:
Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr Ham-
burg (HSU): Bereitstellung der Infrastruktur für den
Test an der A400M-Rumpftonne
Hochschule für Angewandte Wissenschaften Ham-
burg (HAW): Eigentümer des Acoustic Flight-LAB-
Demonstrators
Airbus Operations GmbH: Betreiber der Laborumge-
bung im ZAL (Zentrum für Angewandte Luftfahrtfor-
schung) und Projekt-Verbundführer
Der Acoustic Flight-LAB-Demonstrator im ZAL Hamburg. Diese
Umgebung bietet optimale Bedingungen für die Messung.
Während der vielen Einzelmessungen prüfen die Wissenschaftler der
Gruppe Vibroakustik die Daten immer wieder auf Konsistenz
Das Lautsprecher-Array zum Beschallen des Demonstrators. Es hat
132 Elemente und lässt sich an fast jede Stelle der Oberfläche fahren.
Die Kabelführung für 200 Sensoren muss so organisiert sein, dass
Fehler und Defekte möglichst schnell behoben werden können
Bild: DLR/Jan Vetter (CC-By 3.0)
Bild: DLR/Jan Vetter (CC-By 3.0)
Bild: DLR/Jan Vetter (CC-By 3.0)
Bild: DLR/Jan Vetter (CC-By 3.0)
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