DLR Magazin 151 - page 34-35

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erg- und Seenotrettung, Notarzt- und Polizei-Einsätze, Wald-
brandbekämpfung und Lastentransporte im Hochgebirge –
Hubschrauber werden häufig in Extremsituationen oder
für Spezialaufträge eingesetzt. Unwegsames Gelände,
die Nähe zu Boden, Wasser oder Gebäuden sowie
kritische Windverhältnisse und Witterungs-
bedingungen erschweren das Operieren
in und aus der Luft und erhöhen das
Risiko für Unfälle. Aktive Sicherheits­
systeme unterstützen den Piloten
und helfen, diese zu vermeiden.
Kommt es doch zum Crash, gibt es passive
Sicherheitssysteme wie Gurte und energieabsorbie-
rende Sitze, um die Folgen für die Passagiere so gering wie
möglich zu halten. Wie die Aufprallwirkung noch weiter reduziert
werden kann, beschäftigt die Wissenschaftler im DLR-Institut für
Bauweisen und Strukturtechnologie in Stuttgart. „Wir entwickeln
leichte Strukturen aus Faserverbundmaterialien, welche im
Crashfall die auf die Insassen einwirkenden Beschleunigungen
verringern. Den Begriff Knautschzone kennt man ja aus dem
Automobilbereich. Sie verformt sich beim Aufprall und nimmt so
einen Teil der Energie auf“, erklärt Marius Lützenburger, in der
Abteilung Strukturelle Integrität verantwortlich für den Bereich
Crashsicherheit von Hubschraubern.
Das Experiment ergänzt den virtuellen Test
Wesentlicher Bestandteil bei der Entwicklung dieser energieab-
sorbierenden Bauteile sind Simulationen. „Reale Crashtests
sind teuer und aufwändig. Am Computer stellen wir Unfallsze-
narien nach und setzen Strukturen Belastungen aus, wie sie in
der Realität vorkommen. Virtuelle Tests zeigen das Crashver-
halten schon vor dem realen Versuch. So lassen sich Kosten
und Entwicklungszeiten reduzieren“, fasst Lützenburger die
Vorteile der Simulation zusammen. Trotzdem sind reale Expe-
rimente unabdingbar, um eine Datenbasis zu schaffen und
die am Computer entwickelten Simulationsmodelle zu über-
prüfen und zu verfeinern. Die Simulation wird dazu mit den
Testergebnissen abgeglichen. „Einzelne Bauteile können
wir bis zu einer gewissen Größe unter anderem in unserem
Fallturm prüfen.“ Mit kompletten Flugzeugen oder Hub-
schraubern sind aufgrund des hohen versuchstechni-
schen und finanziellen Aufwands weltweit bisher nur
sehr wenige Crashtests durchgeführt worden.
Im Oktober 2014 führte die NASA einen Crashtest mit
der Zelle eines ehemaligen Transporthubschraubers
der U.S. Marine durch. Der Test fand im Rahmen des
NASA Transport Rotorcraft Airframe Crash Testbed
(TRACT) Programms auf dem Gelände des NASA
Langley Research Center statt. „Dort, wo einst Neil
Armstrong für die Mondlandung übte“, erläutert
DLR-Forscher entwickeln Strukturen, die im Crashfall möglichst viel Energie aufnehmen
Von Nicole Waibel
SICHER LEICHT GEMACHT
Lützenburger. „Ein Testziel war es, zu untersuchen, wie gut Unter-
böden aus Faserverbundkunststoffen die Aufprall-
Energie aufnehmen. Dazu wurden drei me-
tallische Böden durch unterschiedliche
Unterbodenstrukturen aus Faserver-
bundmaterialien ersetzt. Eine dieser
Strukturen wurde in Kooperation zwi-
schen dem DLR und dem australischen
Cooperative Research Centre for Advanced
Composite Structures (CRC-ACS) entwickelt.
Bei diesem Konzept wurde ein sehr steifer Quer-
träger mit einer darunter liegenden „weicheren“
Struktur kombiniert. Diese Strukturzone soll die Auf-
prall-Energie aufnehmen und so die auf die Insassen
einwirkenden Vertikalbeschleunigungen reduzieren.
„Das Konzept hatte sich zuvor in reinen Vertikaltests gut
bewährt“, so Lützenburger. „Beim Test der NASA kam zusätzlich eine
hohe Vorwärtsgeschwindigkeit dazu.“ Aus über neun Meter Höhe
wurde die circa 13 Meter lange Hubschrauberzelle des CH-46E Sea
Knight Helicopter an Stahlseilen Richtung Boden geschwungen. Kurz
vor dem Aufprall wurden die Tragseile abgesprengt, sodass der
Helikopter die letzte Strecke in freiem Fall zurücklegte. Mit einer Ge-
schwindigkeit von circa 45 Stundenkilometern grub sich der mehr als
4,7 Tonnen schwere Rumpf in den nachgiebigen Boden aus Sand und
Erde und kam nach nur einem Meter Vorwärtsgleiten zum Stehen.
Der abrupte Halt brachte eine sehr hohe Längsbeschleunigung mit
sich. Die Folge: Auf der Unterseite riss die Haut auf und die Querträger
kippten seitlich weg.
Nächste Frage: Aufprallschutz bei gefährlich weichem Boden
„Hochgeschwindigkeitskameras filmten durch Plexiglasscheiben, die
in den Fußboden eingebaut worden waren, das Verhalten der Unter-
böden während des Aufpralls“, schildert Lützenburger den Versuchs-
aufbau. Insgesamt fast 40 Kameras nahmen den mit 15 Dummies
besetzten Hubschrauber-Rumpf von innen und außen auf. Die Aus-
wertung des Tests zeigt, dass sich die DLR-Wissenschaftler nun noch
mehr den komplexeren Aufprallszenarien widmen müssen, in denen
eben auch nachgiebige Aufprallflächen und eine zusätzliche Vor-
wärtsgeschwindigkeit auftreten.
Aktuell arbeiten die DLR-Forscher zusammen mit Partnern aus Neu-
seeland und Australien an einer energieabsorbierenden Struktur, die
auf Wasser, auf hartem und auf weichem Boden für einen möglichst
sanften Aufprall sorgen soll. „Vor Schwierigkeiten stellt uns auch hier
vor allem der weiche Boden. Durch die Nachgiebigkeit des Bodens
werden die in der Struktur vorgesehenen ‚Knautschzonen‘ nicht im-
mer aktiviert. Ein ‚Eingraben‘ und höhere Beschleunigungen sind die
Folge.“ Damit klärt sich die Frage, warum gelegentlich Autobahnen
für Notlandungen von Kleinflugzeugen genutzt werden. „Die eignen
sich einfach besser als ein weicher Acker.“
Nicole Waibel
ist im DLR-Institut für Bauweisen und Strukturtechnologie unter
anderem für die Öffentlichkeitsarbeit verantwortlich.
Nach dem Aufprall untersuchen die Wissenschaftler den Hubschrauber-Rumpf.
Rechts: Sequenz aus dem Crashtest TRACT2.
Bild: NASA (1969)
Auf dem Gelände des NASA Langley Research Center übte Neil Armstrong einst
die Mondlandung
Hochgeschwindigkeitskameras ermöglichen es, jeden einzelnen der über 8.000 schwarzen Punkte auf der Außenhaut des Hubschraubers zu verfolgen und genau zu
sehen, wie sich der Rumpf unter der Crashbelastung verformt
Bildsequenz: NASA
Struktur aus Faserverbundkunststoff: Sie wurde anstelle des Metallbodens in den
Unterboden der Hubschrauberzelle (oben im Bild) eingebaut
Der neu entwickelte Multi-Terrain Crash Test Demonstrator (Bauteil auf der linken
Seite) soll den Aufprall auf Wasser sowie hartem und weichem Boden mildern
LEICHTBAU
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