DLR Magazin 151 - page 44-45

Als die FAUST-Rakete des LEONIS-Teams von der TU Braunschweig
startet, wird es bereits diesig, und die Sicht verschlechtert sich. Doch
alles geht gut, die Rakete erreicht eine Höhe von rund sechs Kilometern.
Nun ziehen Nebelschwaden auf, legen sich wie ein dichter Schleier
über das Startgelände. Schon bald beträgt die Sichtweite nur noch
wenige Meter. Selbst vom nahe gelegenen Hauptgebäude von Esrange
aus ist nichts zu erkennen als graues Nichts. „Ten, nine, eight …“, der
Countdown schallt aus den Lautsprecheranlagen durch das Tal. Den
Start selbst kann man nur erahnen. Um 16:45 Uhr hebt die Rakete
planmäßig ab. Für einige Sekunden ist das Geräusch des Raketenmo-
tors zu hören. Dann ein dumpfer Schlag: Was ist geschehen? Es folgen
Stunden ängstlichen Wartens … Als die Rakete später geborgen
werden kann, wird klar: Antrieb und Heck der Rakete sind zerstört.
Doch was war die Ursache für diesen Fehler?
„Das war eine riesige Enttäuschung für uns. Die gesamte Arbeit
von drei Jahren schien uns in diesem Augenblick vernichtet“, sagt
Dr.-Ing. Mario Kobald, Leiter des Stuttgarter Projekts, rückblickend.
„Es hat eine Weile gedauert, bis wir in diesem Rückschlag eine Chance
erkannt haben. Vermutlich hat uns dieser Fehler mehr gelehrt als ein
Großteil unserer bisherigen Studien.“ Denn nach der Kampagne ging
es erst richtig los mit der Arbeit: Das DLR stellte kurzerhand ein „Return
to Flight-Programm“ auf die Beine, in dem die Studenten sämtliche
Prozesse durchliefen, die in der Raumfahrt nach einem Fehlstart üblich
sind. Solch ein Prozedere erfolgt auch bei den großen Trägerraketen,
wie etwa Ariane oder Sojus, wenn eine Anomalie aufgetreten ist. Die
Raketenteile von HEROS mussten gründlich untersucht, Daten ausge-
wertet und analysiert werden. Zahlreiche Triebwerktests wurden
durchgeführt, um die Startsituation nachzustellen und um Verbesse-
rungsmöglichkeiten für die Rakete zu finden.
Mit Hilfe der Experten von der Mobilen Raketen-Basis des DLR, kurz
MORABA, und des DLR-Testzentrums in Lampoldshausen verfolgte
das Team in fast kriminalistischer Kleinarbeit jede Spur, rekonstruierte
anhand der Messdaten die Flugbahn der Rakete sowie die Druck- und
Temperaturverhältnisse im Tank. So wurde schließlich klar: Eine zu nied-
rige Treibstoff-Temperatur löste die Fehlzündung aus. „HEROS fliegt
mit einer Kombination aus Lachgas und Wachs“, erläutert Kobald.
„Am Start-Tag war es recht kalt, die Außentemperatur lag bei unter
null Grad. Dadurch wurde das Lachgas zu stark heruntergekühlt. Das
hat dazu geführt, dass der Druck im Tank abnahm. Das Ergebnis: Es
traten Druckschwankungen auf, die das Triebwerk in Schwingung
versetzt haben, bis es instabil und letztendlich sogar zerstört wurde.
Die Heizsysteme vor dem Start waren offensichtlich nicht ausreichend.“
Bei der dritten STERN-Kampagne im Oktober 2016 bekommt das
Stuttgarter Team eine neue Chance. Denn mit ihrer verbesserten rund
sieben Meter langen und 180 Kilogramm schweren Rakete wollen die
Studenten nicht nur einen perfekten Flug schaffen, sondern auch
gleich noch den bisherigen Höhenrekord für studentische Raketen
brechen. Der wurde im letzten Jahr von der Universität Delft aufge-
stellt und liegt bei rund 21 Kilometern. Wenn alles klappt, könnte
HEROS mit dreifacher Schallgeschwindigkeit sogar die stolze Höhe
von rund 40 Kilometern erreichen.
Geduldsprobe bei der „Öko-Rakete“
Dass man sich nicht entmutigen lassen darf, zeigt auch das Beispiel der
sogenannten „Öko-Rakete“ von Studenten des Zentrums für ange-
wandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation (ZARM) der Uni-
versität Bremen, die bei der zweiten STERN-Kampagne im April 2016
geflogen ist. Auch hier wurde die Geduld der Studenten auf eine harte
Probe gestellt: Vier Startversuche waren notwendig, bis die Rakete
erfolgreich vom Boden abhob. Zuerst wurde der Countdown wegen zu
starken Windes abgebrochen, dann führte ein Fehler während des Be-
tankungsvorgangs zum Abbruch und beim dritten Mal trat aus einem
undichten Ventil Helium aus. Erst der vierte Countdown führte zum
Erfolg. Dabei hatte die Bremer Gruppe auf eine Treibstoffkombination
von flüssigem Sauerstoff und Kerzenwachs (Paraffin) gesetzt, was der
ZEpHyR-Rakete (ZARM Experimental Hybrid Rocket) in den Medien
den Beinamen „Öko-Rakete“ einbrachte.
Eine Rakete auf Basis von Carbon
„Die Konstruktion einer eigenen Rakete war für uns eine große Her-
ausforderung“, sagt Moritz Ellerbeck. Der Diplom-Ingenieur ist Leiter
des HyCOMET-Teams. „Wir haben uns gefragt: Welche besonderen
Erfahrungen und Kenntnisse können wir dafür nutzen, was unter-
scheidet uns von anderen Hochschulen?“ Der Bereich Raumfahrt-
technik ist noch recht jung an der Hochschule Augsburg. Dafür
wurden jedoch Kompetenzen auf einem ganz speziellen Gebiet auf-
gebaut: der Leichtbautechnik. Dabei arbeiten die Studenten an neuen
Einsatzmöglichkeiten für Verbundwerkstoffe, wie carbonfaserver-
stärkten Kunststoff (CFK), kurz Carbon genannt. Schon heute ist das
Material beliebt im Spitzensport, aber auch in der Luftfahrt und im
Fahrzeugbau, denn es vereint zwei wichtige Eigenschaften: hohe Be-
lastbarkeit bei geringem Gewicht. Genau das haben die Studierenden
für ihr Projekt genutzt: Sie haben eine Rakete auf Basis von Carbon
entwickelt – ein Light-Produkt sozusagen. Die gesamte Außenhaut
der Rakete wird aus dem Verbundmaterial bestehen, auch der Treib-
stofftank wird mit Kohlefaser verstärkt sein. Nur rund 22 Kilogramm
wird die Leichtbaurakete bei ihrem Start wiegen und soll damit eine
Höhe von rund 4,5 Kilometern erreichen.
Als Treibstoff für die Leichtrakete dient eine Kombination aus flüssi-
gem Lachgas und Polyethylen, dem Material, aus dem beispielsweise
Plastikbecher und -flaschen hergestellt werden. „Wir packen nicht den
Tiger in den Tank, sondern den Plastikteller“, sagt Ellerbeck augen-
zwinkernd. Wenn das Team nach Kiruna aufbricht, wissen die Studen-
ten noch nicht genau, was sie vor Ort erwartet: Von der Startanlage,
auf der sie ihre Rakete montieren werden, kennen sie bislang nur
Beschreibungen und Fotos. Wird alles zusammenpassen? Oder müssen
vor Ort noch Änderungen vorgenommen werden?
Ein Comeback und ein Rekordversuch
Anders sieht es beim Stuttgarter Team aus: Die Studenten der
HyEnD-Gruppe waren mit ihrer HEROS-Rakete (Hybrid Experimental
Rocket Stuttgart) bereits bei der ersten STERN-Flugkampagne im
Oktober 2015 dabei. Sie kennen die Gegebenheiten und die Abläufe
auf Esrange. Aber sie haben auch schon erfahren müssen, dass es in
einem „echten“ Raumfahrtprojekt auch Rückschläge geben kann.
Ein Rückblick: Am Nachmittag des 22. Oktober 2015 steht HEROS auf
der Startrampe. Nachdem der Tag mit strahlendem Sonnenschein
begonnen hat, zieht sich der Himmel am Vormittag immer weiter zu.
Dabei ist gerade der Umgang mit flüssigem Sauerstoff sehr anspruchsvoll: Die
Arbeit mit einem minus 183 Grad Celsius kalten Treibstoff, einer sogenannten
kryogenen Flüssigkeit, die zudem sehr schnell mit anderen Materialien reagiert,
erfordert besondere Sicherheitsvorkehrungen und Kenntnisse. Auch eine Verflüssi-
gungsanlage für den Sauerstoff mussten die Studenten eigens für ihr Experiment
konstruieren.
Triebwerke, die mit einer Kombination aus festem Treibstoff wie Wachs oder
Kunststoff und einem flüssigen Gas angetrieben werden, bezeichnet man als
Hybridmotoren. Im STERN-Programm haben sich alle Studentengruppen mit Aus-
nahme der TU Berlin für einen solchen Antrieb entschieden. Für die erfahrenen
Ingenieure und Techniker von Esrange war der Umgang mit diesen Triebwerken ein
Novum, denn dort werden normalerweise Forschungsraketen mit Feststoffmotoren
gestartet. Spannend fänden sie das, sagt einer von ihnen. Beeindruckt wären sie
aber vor allem von der Professionalität, welche bisher alle STERN-Gruppen an den
Tag gelegt hätten. Sie unterscheide sich nicht von der industrieller Teams.
Flexibilität und Ausdauer zahlen sich aus
Wer an einem Raumfahrtprojekt arbeitet, der sollte bestimmte Eigenschaften
mitbringen. Dazu gehören etwa Ausdauer und Neugier. Flexibilität zählt aber
auch dazu: Als während der Kampagne beim Team von der Hochschule Bremen,
nachdem ein technisches Problem behoben worden war, die Zündschnüre für die
AQUASONIC-Rakete auszugehen drohten, wurde gekonnt improvisiert. Um die
Vorräte für den Start zu schonen, wurde bei ein paar kleineren Vorab-Tests des
Zündsystems in Wildwest-Manier eine Lunte mit Schwarzpulver gelegt – unter
Einhaltung aller Sicherheitsvorschriften, versteht sich. Denn gerade in der Raum-
fahrt gilt: Safety first! Darüber wachen auch die Sicherheitskräfte von Esrange mit
Argusaugen. Im Ergebnis konnte die Bremer Rakete dann erfolgreich starten.
Alle Studierenden haben ihre Flugkampagnen daher nicht nur unbeschadet über­
standen, sie haben die Mitarbeit an ihren STERN-Projekten auch für ihr Studium
nutzen können: Bis dato wurden rund 240 studentische Arbeiten erstellt und
35 Paper veröffentlicht. Teilgenommen haben bislang insgesamt 460 Studenten
von acht deutschen Hochschulen. Auch die Industrie hat inzwischen Interesse
an dem vielversprechenden Raumfahrtnachwuchs gezeigt. So hatte die Airbus
Safran Launchers GmbH die Raketen der zweiten Flugkampagne mit einem Expe-
riment ausgestattet, bei denen sogenannte thermoelektrische Generatoren Strom
durch Temperaturdifferenzen erzeugen. Die dabei gesammelten Daten werden
derzeit ausgewertet.
Für die Teams der Hochschule Augsburg und der Universität Stuttgart wird es der-
weil ernst. Ein letztes Review, bei dem geprüft wird, ob Rakete und Bodeninfra-
struktur einsatzbereit und fertig für den Transport sind, trennt sie noch von ihrer
Reise nach Kiruna. Dort stehen den Studenten noch weitere Tests und schließlich
die letzte Prüfung, das Flight-Readiness-Review bevor. Dann können HyCOMET
und HEROS in den Himmel über Esrange starten ...
Diana Gonzalez
ist Online-Redakteurin im DLR Raumfahrtmanagement und hat die erste
STERN-Kampagne in Kiruna begleitet.
Karsten Lappöhn
arbeitet beim DLR Raumfahrtmanagement in der Abteilung Trägersysteme
und leitet das STERN-Programm.
MIRAS-Rakete auf der Startrampe
Studenten bei Laminier-Arbeiten zur Herstellung einer Raketenspitze
für ein verkleinertes Modell der HyCOMET-Rakete
HEROS ist mit 7,5 Metern die größte Rakete aus dem STERN-Pro-
gramm. Am Testzentrum des DLR-Instituts für Raumfahrtantriebe
in Lampoldshausen wurden auch die Triebwerktests durchgeführt.
Auf dem Testfeld 11.5 des DLR-Instituts für Raumfahrtantriebe in Lampoldshausen
wurde das Triebwerk der HEROS-Rakete getestet
STERN-PARTNER IN
LAMPOLDSHAUSEN UND
OBERPFAFFENHOFEN
Das DLR-Testzentrum Lampoldshausen besitzt
jahrzehntelange Erfahrung beim Test von Raketen-
triebwerken insbesondere für das schon seit den
Siebzigerjahren laufende europäische Ariane-Pro-
gramm. Darüber hinaus werden anwendungs­
orientierte und auch grundlagennahe Arbeiten
auf dem Gebiet der Raketenantriebe durchge-
führt. Mit den vielen Starts von Höhenforschungs-
raketen besitzt die DLR MORABA umfangreiche
Gesamtsystemkompetenz, wenn es darum geht,
die Raketen hinsichtlich der strukturellen Inte­
grität, des Flugverhaltens beziehungsweise der
Flugleistung zu beurteilen. Zu den Aufgaben der
Lampoldshausener DLR-Kollegen zählen Reviews,
Motorentests auf dem Testfeld 11.5 in Lampolds-
hausen und der „Workshop Raumfahrtantriebe“,
in dem die Studenten sich aktiv mit systemrelevan-
ten Arbeiten an Antrieben und Prüfständen aus-
einandersetzen können. In die Zuständigkeit der
MORABA-Kollegen in Oberpfaffenhofen gehören
ebenso Reviews, aber auch die Vortragsreihe
„STERN-Stunden“ zu Themen wie Flugdynamik,
Telemetrie, TÜV etc. und der Zugang zum Raum-
fahrtzentrum Esrange.
Bild: HyEnD Uni Stuttgart
Bild: HyEnD Uni Stuttgart
Bild: HyEnD Uni Stuttgart
Bild: HyEnD Uni Stuttgart
STUDENTENPROGRAMM
DLRma
G
azin
151
45
44
DLRma
G
azin
151
STUDENTENPROGRAMM
1...,24-25,26-27,28-29,30-31,32-33,34-35,36-37,38-39,40-41,42-43 46-47,48-49,50-51,52-53,54-55,56-57,58-59,60
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