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ELEKTROMOBILITÄT
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ELEKTROMOBILITÄT
2013 allein 22.000 Autos verkauft hat, gibt es Anzeichen dafür, dass
der Leitmarkt für Elektromobilität nicht in Deutschland entsteht.
Tesla bedient die Nachfrage in seinem Heimatmarkt Kalifornien erfolg-
reich – mit dem hochpreisigen emissionsfreien Sportwagen, für den
man in Deutschland bisher keine Nachfrage sah und ihn aus diesem
Grund hier auch nicht anbietet. Andere Fahrzeuge exportiert Tesla
inzwischen weltweit, auch nach Deutschland. Übrigens: Mit dem
„Model 3“ transferiert Tesla sein Know-how auch schon in den Mittel­
klasse-Automarkt. Für die deutsche Automobilindustrie, die gerade
auf Premiumautos und Mittelklassewagen spezialisiert ist, wird es also
schwieriger, einen Leitmarkt für Elektromobilität zu schaffen.
Wüstnienhaus
:
Bei der Batterie stimme ich komplett zu. Ich glaube
allerdings nicht, dass deutsche Unternehmen Zellhersteller werden
müssen. Wir müssen eher die Technologie beherrschen und Produk­
tionsmaschinen für Batterien herstellen können. Produziert werden
kann durchaus im Ausland. Das ist auch in anderen Bereichen, zum
Beispiel in der Unterhaltungselektronik, so üblich. Die deutsche Auto-
industrie wäre aber gut beraten, wenn sie das Thema Fahrzeug und
Antrieb wirklich ernst nehmen würde. Da haben wir zum Beispiel mit
Schaeffler, Continental und Bosch wirklich gute Zulieferer. Die Auto-
mobilhersteller müssen erkennen, dass die Wertschöpfung nicht
mehr nur in der Verbrennungsmaschine liegt. Das ist der Bereich, in
dem die deutsche Autoindustrie wirklich gut dasteht. Leider hat die
Schummelei mit den Abgaswerten gezeigt, dass man versucht, hier
mit Tricksereien die Pfründe zu retten. Andere Autohersteller wie
Porsche oder BMW versuchen, die vorgeschriebenen Verbrauchs­
werte für die ganze Flotte zu erreichen, indem sie im höchsten Preis-
Segment einen Hybrid auf den Markt bringen. Ich hoffe, dass der
Abgas-Skandal ein Umdenken bewirkt. Wir sind in Deutschland in der
Lage, gute Elektrofahrzeuge zu fertigen, im Moment ist die Elektro-
mobilität aber nur ein Feigenblatt.
Dann könnten doch kleinere Start-ups die Elektromobilität
wirklich voranbringen …
Wüstnienhaus
:
Ja, beim Projektträger achten wir darauf, dass es
einen gesunden Mix aus klein- und mittelständischen Unternehmen,
den sogenannten KMU, und größeren Industriefirmen gibt. Aller-
dings: Wenn KMU als Einzelkämpfer unterwegs sind, können sie
kaum eine Sichtbarkeit erlangen, ehe der Markt in anderen Ländern
schon vorbeigezogen ist. Ein KMU wird auch in der Standardisierung
nie so weit kommen, wenn es nicht mit großen Firmen zusammen­
arbeitet. Ein gutes Beispiel ist der Mennekes-Stecker, ein Ladestecker
für Elektrofahrzeuge, der sich überall durchgesetzt hat. Der Hersteller
aus dem Sauerland hatte das Glück, ihn zusammen mit Daimler zu
etablieren. Das hat er nur im Verbund geschafft. Dementsprechend
handhabt es der Projektträger: Wir fördern möglichst im Verbund.
Müller
:
Das halte auch ich tendenziell für die richtige Strategie. Aller­
dings gibt es hier ein „Aber“: Großunternehmen sind durch ihre
schiere Größe vergleichsweise schwerfällig; sie sind wie große Tanker,
die ihre Richtung nur langsam ändern können. Großunternehmen
haben Innovationen, die ihre Kernkompetenz ablösen könnten, oft-
mals nicht rechtzeitig auf dem Schirm. Das gilt auch für die Elektro-
mobilität. Neue Ideen kommen deshalb oft von kleinen Unternehmen.
Eine sinnvolle Strategie wäre somit, dass KMU neue Ideen und Ein-
flüsse durch Forschungsprojekte in die großen Unternehmen hinein-
tragen und so Impulse setzen. Das funktioniert aber nur, wenn die
kleineren Unternehmen und deren Ideen durch eine ausreichende
Kapitalausstattung und Patentschutz besser geschützt werden. Auch
muss sichergestellt werden, dass die Ergebnisse einer erfolgreichen
Zusammenarbeit nicht wegen einer geänderten Strategie des Groß-
unternehmens plötzlich in der Schublade verschwinden.
Das würde aber auf eine eher langsame Veränderung und Ent-
wicklung hinauslaufen ...
Wüstnienhaus
:
Ja, in dem Moment, in dem wir es im Verbund ma-
chen, läuft es auf eine Evolution und nicht auf eine Revolution hinaus.
Eine Revolution werden wir mit einem großen Unternehmen nicht
erleben, da wird zu sehr auf den Shareholder-Value geachtet.
Müller
:
Wenn ganze Branchen verschwänden und mühsam wieder
aufgebaut werden müssten – sofern das noch in Deutschland gelän-
ge, dann gäbe es viele Verlierer im Wirtschafts- und Sozialsystem.
Sinnvoller wäre ein sehr vorsichtiger evolutionärer Prozess, der auch
Versuch und Scheitern beinhaltet.
Wüstnienhaus
:
Jetzt kommt von mir ein „Aber“: Forschungsprojek-
te, besonders wenn sie anwendungsnah sind, werden vor der Bewilli-
gung so lange auf Machbarkeit abgeklopft, bis ein Scheitern nahezu
ausgeschlossen ist. Ich würde mir in der Forschungsförderung schon
den Mut wünschen, dass man auch riskante Projekte bewilligt.
Müller
:
Dieses „Ausschließen des Scheiterns“ ist schade, weil wir es
hier meiner Meinung nach mit einer Innovation zu tun haben, die
mit einem bedeutsamen Richtungswechsel für Nutzer und Hersteller
verbunden wäre – einer sogenannten radikalen Innovation. Radikale
Innovationen bedeuten sowohl organisatorische als auch technische
Umstellungen, und da kann man die Nachfrage nicht planen. Nehmen
wir die Entwicklung des Computers: Auch sie war im Nachhinein be-
trachtet nicht planbar, zu keinem Zeitpunkt. Man konnte in den Acht­
zigerjahren nicht vorhersagen, welche Rolle der Computer irgend-
wann am Schreibtisch oder im Wohnzimmer spielen würde. Wenn
man akzeptiert, dass Elektromobilität eine radikale Neuerung ist,
kann man nicht davon ausgehen, dass bisherige Branchen immer
weiter so funktionieren werden wie bisher. Sie verändern sich. Manch-
mal können dabei auch Betriebe verschwinden und neue entstehen.
Das ist ein harter Prozess, weil es Gewinner und Verlierer gibt. Und
dennoch ist dieser Prozess wichtig, damit technologischer Fortschritt
entsteht. Für die Auswahl geeigneter Forschungskooperationen ist es
auch wichtig zu beachten, dass radikale Veränderungen selten aus der
Branche selbst kommen. So kam das Automobil nicht aus der bis
dato beim Transport vorherrschenden Eisenbahn-Industrie, die Office-
Anwendungen für den PC nicht von der Schreibmaschinen-Industrie.
Auch kann beobachtet werden, dass Neuerungen dann auf den
Markt gebracht werden, wenn Unternehmen in einer existenziellen
Krise stecken. Das steht im Widerspruch zur Forderung der finanziel-
len Stabilität von Projektpartnern!
Wüstnienhaus
:
Deshalb geht unser Förderansatz noch weiter: Die
Firma StreetScooter GmbH aus Aachen, die aus einem Universitäts-
projekt entstanden ist, hat gezeigt, dass man Fahrzeuge ganz anders
und viel kostengünstiger fertigen kann. Einsatzbereich des Fahrzeugs:
der Lieferverkehr für die Post. Weil es übrigens keinen deutschen
Hersteller gab, der in der Klasse bauen wollte, hat die Post dieses
Unternehmen gekauft.
Müller
:
Es gibt Fälle von Inventoren, die keinen Abnehmer für ihre
Erfindung hatten und selbst in weitergehende Wertschöpfung einge-
stiegen sind. Und es gibt Fälle von Nutzern, für deren Bedarf es am
Markt kein Angebot gab und die dann selbst zum Hersteller wurden.
Schließlich wurden sie zum Automobilproduzenten.
Waren sie erfolgreich damit?
Müller
:
Nein, weil sie mit ihrem speziellen Know-how nicht auf der
ganzen Breite der Fahrzeugherstellung standhalten konnten. Wir ha-
ben bei der Fahrzeugproduktion einen sehr ausgereiften Prozess, und
das können kleinere Newcomer nicht in wenigen Jahren aufholen.
Wichtig ist, dass die Akteure, die neue Ideen haben, und diejenigen,
die das gut umsetzen können, zusammenkommen. Nischenlösungen,
wenn sie gefunden werden, sollten strategisch gefördert werden:
Man kann beispielsweise mit Elektrofahrzeugen in den öffentlichen
Verwaltungen anfangen; man kann im öffentlichen Personennah­
verkehr Elektrobusse einsetzen. Staatliche Nachfrage ist ein wichtiger
Baustein, um radikale Innovationen voranzubringen. Die Nischen sind
da, sie werden aber häufig nicht von den Etablierten besetzt, weil
diese immer nur auf die aktuellen Kunden schauen und sich weniger
auf zukünftige Absatzchancen konzentrieren. Das ist ein Dilemma.
Sehen Sie hier eine Lösung?
Wüstnienhaus
:
Da schaue ich gerne nach Kalifornien, dort gibt es
die „Business Angels“, die all jene, die in einem Bereich etwas beitra-
gen können, zusammenbringen. Und: Es gibt Venture-Capital. Wenn
jemand glaubt, dass eine Idee gut ist, kann er Geld in das Unterneh-
men einbringen. Das Unternehmen muss dann allerdings auch bereit
sein, Anteile abzugeben. Wir sehen oft, dass in den USA jemand mit
seiner Idee reich wird: Elon Musk, Bill Gates oder Steve Jobs. Sie hat-
ten jedoch alle Investoren, die sie unterstützt haben, ihnen aber auch
auf den Füßen standen. In Deutschland ist die Kultur eine andere:
Firmengründer wollen zwar Geld haben, aber nicht gegen Firmenan-
teile. Deshalb entsteht eine Finanzierungslücke: Der Projektträger
fördert bis zur Entwicklung des Prototypen – danach muss der Inven-
tor auf eigenen Füßen stehen.
Müller
:
Firmen wie Apple und Microsoft sind zwar in der Garage
entstanden, groß geworden sind sie dann aber durch gutes Manage-
ment. Ich habe in Deutschland und Frankreich mit Entwicklern und
Erfindern von potenziell radikalen Innovationen im Verkehrsbereich
umfangreiche Interviews geführt. Meist handelte es sich dabei um
kleine Unternehmen. Es zeigte sich, dass deren Gründer zwar in der
Regel gute Ingenieure sind, aber dass immer wieder das Management
vernachlässigt wird.
Wüstnienhaus
:
In den USA kennt man sich untereinander, Erfinder
und Manager sind besser vernetzt. Wenn jemand eine Top-Idee hat,
dann findet sich auch jemand, der darin investiert, gegen Firmen­
anteile, wie gesagt. So langsam entsteht auch in Deutschland eine
solche Kultur, in Berlin im IT-Bereich zum Beispiel, gefördert auch durch
Netzwerkveranstaltungen. Im Ingenieurbereich kenne ich das nicht.
Wir brauchen also eine Kultur des Venture-Capitals in
Deutschland?
Müller
:
Ja, wir brauchen eine andere kapitalgebende Kultur. Am
Anfang ist es meist unmöglich, die Spreu vom Weizen zu trennen.
Venture-Capital funktioniert in etwa so, dass zwei aus 100 Ideen
funktionieren und die anderen 98 davon mitgetragen werden. Die
Bild: RWE/Sir Richard Picture
Noch gibt es zu wenig Ladestellen für Elektrofahrzeuge. Wie die Infrastruktur
beispielsweise in Berlin mit solchen Ladestationen gestaltet werden müsste,
untersuchen Wissenschaftler des DLR-Instituts für Verkehrsforschung.
Bild: Berlin Partner
Noch kein Durchbruch für die Elektromobilität in der Stadt. In der bislang
umfangreichsten Studie über Erstnutzer von Elektrofahrzeugen in Deutschland
fanden Wissenschaftler des DLR-Instituts für Verkehrsforschung heraus, dass
der durchschnittliche private Nutzer männlich, gebildet und etwas über 50 Jahre
alt ist. Die Mehrheit der Elektroautofahrer lebt auf dem Land und nicht wie
erwartet in der Stadt.
deutsche Kapitalindustrie ist der aus den USA oder Großbritannien
um Jahrzehnte hinterher. Banken bei uns denken eher konservativ.
Kapital zu bekommen ist damit ein großes Problem für Inventoren.
Auch das haben wir in unseren Interviews erfahren.
Wüstnienhaus
:
Es ist auch ein Unterschied, ob es um ein Auto-Land
geht, in dem die Pfründe verteilt werden, oder ob es sich um zum
Beispiel Norwegen handelt, wo die Automobilindustrie keine große
Rolle spielt, es aber erneuerbare Energien im Überfluss gibt.
Was könnte Ihrer Meinung nach ein optimaler Weg sein?
Müller
:
Für mich ist das Dreigespann wichtig: Industrie, Politik und
Wissenschaft. Wir brauchen, um bei uns Wissenschaftlern anzufan-
gen, keine „Science on demand“. Wissenschaftlerinnen und Wissen-
schaftler müssen progressiv nach vorne denken und Signale aus der
Politik und von den Nutzern aufnehmen. Dies gilt gerade in solchen
Zeiten, in denen keine Interessengleichheit von Politik und der etab-
lierten Industrie herrscht.
Wüstnienhaus
:
Es gibt keine Patentrezepte. Wo ich hinmöchte:
Elektromobilität muss zum Erfolgsfaktor für die Wirtschaft werden.
Wir brauchen die Wertschöpfung in Deutschland. Zudem ist es wich-
tig, dass wir intermodale Konzepte weiterentwickeln. Und noch ein
ganz praktischer Hinweis: Jeder, der Interesse hat, sollte ein Elektro-
auto eine Woche testen können. Wir müssen auch beachten, dass
den Autohändlern eine große Verantwortung zukommt. Derzeit
kommt der Kunde aber aus einem Verkaufsberatungsgespräch meis-
tens mit einem herkömmlichen Verbrennungsauto heraus. Und das,
obwohl für viele der Zweitwagen heute problemlos elektrisch sein
könnte. Wenn wir in Deutschland Erfolg haben wollen, müssen die
Verbraucher das testen können. Ich bin so zum Fan vom Elektroauto
geworden.
Peter Wüstnienhaus (links) weiß, woran Unternehmen und Forschungsinstitute in
der Branche arbeiten und forschen. Er leitet beim DLR Projektträger die Vergabe von
Fördermitteln des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie für die Elektro-
mobilität. Wüstnienhaus ist seit 2012 mit einem eigenen Elektroauto unterwegs,
seit 2015 mit einem Kia Soul EV.
Dr.-Ing. Stephan Müller ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im DLR-Institut für
Verkehrsforschung, Abteilung Wirtschaftsverkehr. Seine aktuellen Arbeitsfelder
sind unter anderem Elektromobilität, Angewandte Innovationsforschung und die
Bewertung von Neuerungen im Güterverkehr. Für nahezu alle seine Wege nimmt
er das Fahrrad, für die restlichen fünf Prozent draußen in der Natur nutzt er das
Wohnmobil.
1,2-3,4-5,6-7,8-9,10-11,12-13,14-15 18-19,20-21,22-23,24-25,26-27,28-29,30-31,32-33,34-35,36-37,...60
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