Schülergruppen durchzieht. „Das ist schon spannend, wenn so
ein Siebtklässler dann Physik besser versteht, weil er sie selbst
angewendet hat.“ Die Experimente für das School_Lab hat
Stiefs zusammen mit seinem Team ausgeknobelt und schon
vor dem Start in Bremen mit Schülergruppen getestet.
Von Schneehasen und Luchsen
Das Abwegige, Ungewöhnliche hat er sich immer wieder
gern gesucht. „Für meine Doktorarbeit in Physik habe ich mich
mit Schneehasen und Luchsen beschäftigt.“ Nur abstrakt, das
versteht sich bei diesem Fach von selbst. „Superschwer zu erklä-
ren, was ich da genau gemacht habe.“ Stiefs macht es dennoch.
Aus der Theorie der mathematischen Modelle wird ruckzuck et-
was Anschauliches. „Für das Verhältnis von Räubern und Beute
gibt es ja verschiedene Parameter, die es beeinflussen.“ Wieder
gehen die Hände in die Luft. Innerhalb von Sekunden zeigt
Stiefs, was ein Parameterraum ist und was das mit den Schnee-
hasen und den Luchsen zu tun hat. An der Universität Dresden
hat er das Modell dann weiter verfeinert. Und dieses Mal die
Knochenbildung und den Zellstoffwechsel im menschlichen Kör-
per mit Parametern abgebildet. Der 33-Jährige erklärt gerne –
und möglichst ungewöhnlich.
Immerhin hat ihm das auch schon die „Goldene Kopfnuss“
eingebracht. Dafür stand er für den Science Slam „kurz & klug“
in Dresden auf der Bühne. „Plagen, Pest und Chaos“ hieß damals
sein Thema, für das er das mit Goldfarbe besprühte Gehirn aus
Plastik gewonnen hat. Wissenschaftlich ausgedrückt ging es um
Bifurkationen in dynamischen ökologischen Netzwerken. In der
Praxis erklärte Stiefs mit Jonglierbällen zum Beispiel, wie Ratten
auf einer Insel von importierten Katzen gefressen werden und es
den Katzen für einige Zeit ziemlich gut geht. Beim Science Slam
des DLR stand er dann wieder auf der Bühne – um jonglierend
zu erklären, was in seinem School_Lab so alles stattfindet.
Jonglieren mit dem Vorstand
Bälle, eine rote Mütze, eine Taschenlampe, ein leerer Bil-
derrahmen, Stiefs hatte in der Nacht zuvor einen kleinen Raub-
zug durch das Zimmer seiner beiden Kinder gemacht. Aus drei
Bällen werden beim Jonglieren die flexiblen Räder des Marsrover,
selbst den Roboterarm der LAMA-Anlage im Bremer Institut für
Raumfahrtsysteme kann der Physiker mit Spieltrieb jonglierend
nachahmen. „Weltretter“ steht auf seinem T-Shirt. Schwerelo-
sigkeit? „Stellen Sie sich mal vor, Sie stehen auf einer Waage
Händen halten, wenn er nach Hause kommt. „Wem hat es heute
gefallen?“ Überall gehen die Hände hoch. Als zusätzliche Beloh-
nung gibt es noch eine Frisbee-Scheibe vom School_Lab-Leiter
persönlich. Schließlich ist der letzte Schüler durch die Tür. Keiner
hat etwas liegenlassen. 18 Mädchen und Jungen wissen jetzt
mehr darüber, wie Schwerelosigkeit entsteht, wie Satelliten ihre
Lage regeln können und wie Raketen funktionieren. Stille macht
sich in den Räumen des Bremer Labors breit. Dirk Stiefs zieht
sich gelassen seinen Kittel aus. „Laut? Echt, war’s eben laut?
Das ist mir gar nicht aufgefallen.“
Feldversuch geglückt: Wenn die Rakete fliegt, ist aus der
Theorie funktionierende Praxis geworden
Mit der Wärmebildkamera entdecken die Schüler, wo ihr
Körper besonders viel Energie abstrahlt
Bei Dirk Stiefs bekommt selbst DLR-Vorstandschef Jan Wörner
eine Rolle, um Wissenschaft spielerisch zu vermitteln
Auch eine Testfahrt auf dem Roten Planeten gehört im
DLR_School_Lab Bremen zum Programm
Mit dem Teleskop zeigt Dirk Stiefs die kosmische Strahlung,
die auf die Erde trifft – Physik einmal ganz anders
„Das ist eine gute Taktik“, sagt Stiefs und nickt begeistert. Was
er damit meint, ist einfach: Er ist offen für Neues, ergreift die
Gelegenheiten, die sich ergeben, und ist nicht auf Altbewährtes
festgelegt.
Physik? Das hat er studiert, weil er es konnte. Schließlich
hatte er an seinem Gymnasium in Wilhelmshaven Leistungskurse
in Physik und Kunst belegt. Comic-Zeichner hätte es also auch
sein können. Im Studium hat er deshalb ein Buch illustriert:
„Was Studierende davon abhalten kann, fleißig zu sein: Ausreden
für das Noch-Nicht-Schreiben von wissenschaftlichen Arbeiten“.
Aber mit der Kunst Geld verdienen zu müssen, schien ihm nicht
gerade verführerisch. Überhaupt hätte er sich auch vorstellen
können, nicht zu studieren – und halt Schilder- und Lichtreklame-
hersteller zu werden. Allerdings setzte ihn die Berufsberatung
dann auf die Schiene, die ihn bis ins DLR gebracht hat: „Die
haben in einem Test festgestellt, dass bei mir vor allem das logi-
sche, räumliche Denken gut funktioniert“. Herausgekommen
ist ein Lebenslauf, der gradliniger kaum wirken könnte: Abitur,
Physikstudium in Oldenburg, Promotion in Oldenburg und Ams-
terdam, Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Physik kom-
plexer Systeme in Dresden. Zwischendrin ließ er sich an seiner
Oldenburger Universität noch für die Hochschuldidaktik qualifi-
zieren. 200 Seminarstunden, viele Vorträge und Lehrstunden
gehörten dazu, um zu lernen, wie man Inhalte gut vermittelt.
Wenn er wollte, könnte er an einer Universität unterrichten.
Countdown zum Raketenstart
„Letztendlich hab ich mit dem DLR_School_Lab aber die
Schokoladenseite erwischt“, ist sich Stiefs sicher. „Keine Schul-
arbeiten, keine Prüfungen, keine Noten! Es kommt nur darauf
an, zu motivieren und zu faszinieren.“ Auf dem Weg zum Rake-
tenstartplatz steigt bei den Siebtklässlern die Aufregung. Ein
wenig sieht Dirk Stiefs wie das Klischee des irren Wissenschaft-
lers aus, wenn er in seinem flatternden Kittel durch den Schnee
stapft und die Sicherheitsbrille auf der Nase hat. „Du kriegst die
Luftpumpe, du löst ihn ab, und du darfst die Rakete starten.“
Ratzfatz hat Stiefs die quirligen Schüler eingeteilt. „Wer misst
die Höhe, die die Rakete erreicht?“ Noch wird zwar gekichert
und geschubst bei denen, die gerade nicht beteiligt sind – als
es dann ernst wird, lässt der School_Lab-Leiter lautstark den
Countdown herunterzählen. Mit drei Kapriolen in der Luft ab-
solviert die Rakete Marke Eigenbau ihren Flug und schlägt dann
wieder auf dem Boden auf. Der Wind zerrt am weißen Kittel,
während Dirk Stiefs die Prozedur auch noch mit zwei weiteren
Weitere Informationen:
und springen mit ihr aus dem Fenster …“. Simple Erklärun-
gen sind die besten und sprudeln aus Stiefs einfach so raus.
„Herr Wörner, Sie sind heute nicht in der Jury, kommen Sie
doch mal nach vorne.“ Der Vorstandschef des DLR muss
mitmachen, braucht aber nur die Arme hinter dem Rücken
zu verschränken, das Jonglieren übernimmt der Hobbyjong-
leur für ihn. „Ah, ich sehe schon, der Vorstandsvorsitzende
ist lernfähig, die Faszination ist übergesprungen.“ Dirk Stiefs
lächelt. Um Worte ist er selten verlegen. Im Rennen um den
Sieg im Science Slam musste er sich dann aber dem Berliner
DLR-Kollegen Attilla Wohlbrandt geschlagen geben.
Dabei hatte Dirk Stiefs vor gut zwei Jahren noch nicht
einmal geahnt, dass er später einmal jonglierend die Experi-
mente in seinem School_Lab anschaulich machen würde.
Damals hatte er gerade seinen Vertrag an der Dresdner Uni-
versität unterschrieben. „Nach der Zusage vom DLR habe
ich direkt meine Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter
und meine Wohnung dort gekündigt.“ Die richtige Ent-
scheidung, findet er. Denn bereut hat er den Wechsel nicht.
„Das School_Lab war schon für ein halbes Jahr ausgebucht,
bevor es überhaupt eröffnet war“, sagt er stolz. „Das ist
schon ein Traumjob für mich.“
Ein Smilie für die Wissenschaft
Vom Raketenstartplatz geht es zurück ins Institut.
„Nicht vergessen, vorne ich, hinten der Bollerwagen, und
ihr dazwischen“, verkündet er ein letztes Mal. „Können wir
noch einmal die Rakete starten lassen?“, bettelt ein Siebt-
klässler. „Bitte!“ In der Stimme liegt der rechte Ton zum
Quengeln. Dirk Stiefs lächelt nachsichtig. „Nein, wir müssen
jetzt zurück.“ Entschlossen stapft er durch den Schnee zum
Bürgersteig. Kinder brauchen Grenzen, sagt er später. Üben
kann er das bei seinen beiden, zwei und sechs Jahre alt. Da
gibt es auch mittlerweile schon die ersten wissenschaftli-
chen Fragen. „Von den eigenen Kindern kann man auch
gut lernen“, meint Stiefs.
Im Institut gibt es noch für jede Schülerin und jeden
Schüler einen Bewertungsbogen. Stiefs und sein Team wollen
wissen, ob sie die Faszination für die Wissenschaft wecken
konnten. Jacken fliegen über die Stuhllehnen, alle kritzeln
auf den Bögen herum. Für jeden hat das School_Lab-Team
eine Urkunde mit dem jeweiligen Namen vorbereitet. Wer
bei den Experimenten gut mitgemacht hat, soll etwas in den
1...,34-35,36-37,38-39,40-41,42-43,44-45,46-47,48-49,50-51,52-53 56-57,58-59,60-61,62-63,64