DLR Magazin 138 - page 6-7

Nachhaltigkeit – der Begriff, den der sächsische Oberberghauptmann Hanns Carl von
Carlowitz 1713 in seinem Buch „Sylvicultura oeconomica“ prägte, besitzt in der Forst-
wirtschaft zentrale Bedeutung. Seit einigen Jahren hat er auch in Forschungsbereiche
Einzug gehalten. Die Überlegung, mit den Aktivitäten der Gegenwart zukünftigen
Generationen keine Wege zu verbauen, ist nachvollziehbar und nicht nur aus ethisch-
moralischen Gründen einzufordern.
Bis vor Kurzem wurden in der Politik neben Wissenschaft und Technik lediglich
Ökonomie und Ökologie betrachtet: Nach der Zeit allgemeinen Fortschrittsglaubens,
der oft genug mit der Ignoranz gesellschaftlicher Bedürfnisse einherging, kam in der
nächsten Phase häufig die Begründung, „Sachzwänge“ ließen keinen anderen Weg zu.
Die Berücksichtigung der Gesellschaft als entscheidende Motivation wurde nur zögerlich
akzeptiert. Dies ist umso unverständlicher, als alle Aktivitäten bewusst oder unbewusst
letztlich auf gesellschaftliche Konsequenzen zielen.
Doch auch wenn heute gerne von „gesellschaftlicher Akzeptanz“ gesprochen
wird, ist häufig genug lediglich gemeint, dass man mit entsprechenden Argumenten die
„Stammtischlufthoheit“ gewinnen kann. Für mich heißt das Zukunftsmodell „Gesell-
schaftlich tragfähige Lösungen“! Diese Formulierung sollte in der impliziten Verbindung
mit dem Begriff der Nachhaltigkeit der Grundgedanke der verschiedensten Aktivitäten
sein und gerade für das aktuelle Thema der Energiewende zur Anwendung kommen.
Zweifellos stellt diese Forderung hohe Ansprüche nicht nur an die Politik, sondern
auch an die Wissenschaftler und Techniker, die sich in ihrer täglichen Arbeit nicht verträumt
allein dem Forschungsgegenstand widmen dürfen, sondern auch an die möglichen Kon-
sequenzen denken müssen. Wie bleibt der Luftverkehr auch bei Zunahme sicher, wie kann
er auch im Fall eines Vulkanausbruchs noch funktionieren und gibt es ein Mehr an Flug-
verkehr, ohne dass der von ihm verursachte Lärm unserer Gesundheit schadet? Wie ver-
meiden wir, dass Weltraumschrott zur Gefahr wird und wie schaffen wir es, Trümmerteile
im All wieder einzufangen? Wie gelingt es, erneuerbare Energie stärker zu nutzen? Wie
bleibt auch eine älter werdende Bevölkerung sicher mobil? Was können wir heute für
den wissenschaftlichen Nachwuchs tun?
Die Forderung nach Nachhaltigkeit gilt aber nicht nur für die Forschungsthemen
in den verschiedenen Disziplinen und deren Management. Sie muss auch im Prozess
der Forschungsförderung Dreh- und Angelpunkt sein: Hier muss den Versuchungen von
populistischen Trends widerstanden werden. Wollen wir die großen Herausforderungen
der Gesellschaft 300 Jahre nach der Begriffsentstehung der Nachhaltigkeit meistern, so
braucht es langen Atem und vor allem in der Forschung Förderinstrumente und Förder-
politik, die im besten Wortsinn nachhaltig wirken.
Sein, nicht nur Schein
Nachhaltigkeit in Wissenschaft
und Wissenschaftspolitik
Von Johann-Dietrich Wörner
Prof. Dr.-Ing. Johann-Dietrich Wörner,
Vorstandsvorsitzender des DLR
Leitartikel
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