DLR Magazin 138 - page 10-11

Versuchsanlage für thermomechanische
Tests im Synchrotronstrahl
In den Turbinen moderner Flugzeugtriebwerke herrschen
extreme Bedingungen. Die Verbrennungsgase gelangen mit
Temperaturen von bis zu 1.600 Grad Celsius in die Turbine. Dort
werden sie von sich abwechselnden Reihen feststehender und
rotierender Turbinenschaufeln umgelenkt und sorgen so für den
Antrieb der Turbine und den Schub für das Flugzeug. Dabei gilt:
Je höher die Turbinen-Eintrittstemperatur ist, desto höher ist der
thermische Wirkungsgrad. Obwohl die Turbinenschaufeln aus
hochfesten Nickel-Superlegierungen bestehen, können sie die-
sen hohen Temperaturen nur widerstehen, weil sie über ein la-
byrinthartiges System von innen verlaufenden Kanälen gekühlt
werden und auf der Außenseite mit Schutzschichtsystemen ver-
sehen sind. Die hohe Temperaturdifferenz zwischen gekühlter
Innenseite und heißer Außenseite erzeugt in der Schaufelwand
einen komplexen mehrachsigen Spannungszustand. Auf die Ro-
torschaufeln wirken Fliehkräfte ein, die das Grundmaterial krie-
chen lassen. Das führt dazu, dass die Turbinenschaufeln mit der
Zeit immer länger werden. Zudem entstehen durch die thermi-
schen und mechanischen Lastwechsel bei Start und Landung
des Flugzeugs mit der Zeit Ermüdungsrisse.
Die Wirkung dieser komplexen Betriebsbedingungen un-
tersuchen wir im DLR-Institut für Werkstoff-Forschung in Köln
mit einer speziell entwickelten Prüfanlage an Laborproben. Auf
Zwischen den Messplätzen bewegt man sich am besten mit dem Rad. Mehr als 1.000 Meter sind für eine Runde im
Speicherring zurückzulegen. An 35 Stationen können Wissenschaftler mit hochenergetischer, sogenannter harter,
Röntgenstrahlung arbeiten. Einzigartige Blicke bis in die atomare Dimension von technischen Materialien, aber auch
biologischen Strukturen sind damit möglich. Wer hier forschen darf, zählt zu den Auserwählten. Ein Team aus dem
DLR-Institut für Werkstoff-Forschung gehörte dazu. In einer Kooperation mit der Universität von Florida und dem
Argonne National Laboratory bei Chicago untersuchte es, hier mit Hilfe von Synchrotron-Strahlen, was sich in hauch-
dünnen Schutzschichten für Turbinenschaufeln bei Temperaturen von mehr als 1.000 Grad Celsius und unter hohen
mechanischen Beanspruchungen abspielt.
Hauchdünne Schichten unter harten Röntgenstrahlen
Von Prof. Dr.-Ing. Marion Bartsch und Janine Schneider
Messplatz der Superlative
Team der University of Central Florida (UCF) zusammen mit Marion
Bartsch (r.) und Janine Schneider vom DLR (3. v. r.)
diese Weise gelingt es, die thermomechanischen Ermüdungs-
beanspruchungen, die während des Fluges in einer Turbinen-
schaufel und ihrem Schutzschichtsystem auftreten, im Labor
abzubilden. Deshalb sind im Laborversuch auch realistische
Schädigungen zu erwarten. Ziel unserer Arbeiten ist es, die
Lebensdauer beziehungsweise das Schädigungsverhalten der
beschichteten Werkstoffe, die in der Flugzeugturbine einge-
setzt werden, abzuschätzen. Denn, wenn das Schutzschicht-
system versagt, besteht die Gefahr, dass die Turbinenschaufel
reißt und das Triebwerk schließlich ausfällt.
Wenn das Schutzschichtsystem versagt
Schutzschichtsysteme auf Turbinenschaufeln versagen
typischerweise, indem sie abplatzen. Besonders gefährdet ist der
Übergang zwischen Metall und Keramik. Das Schutzschichtsystem
ist mehrlagig und besteht aus einer circa 200 Mikrometer dicken
keramischen Wärmedämmschicht aus Zirkonoxid und einer dar-
unter liegenden circa 100 Mikrometer dicken metallischen Oxida-
tionsschutzschicht. Die Zirkonoxidschicht ist hochporös, um eine
gute Wärmedämmung zu gewährleisten. Ihre Porosität macht sie
durchlässig für den Sauerstoff in den heißen Verbrennungsgasen.
Deshalb wird zuerst eine Oxidationsschutzschicht aus einer alumi-
niumreichen Legierung aufgebracht. Bereits bei der Beschichtung
bildet sich eine dünne Aluminiumoxidschicht, die eine weitere Oxi-
dation verlangsamt. Anfangs ist die Aluminiumoxidschicht etwa
0,3 bis 0,5 Mikrometer dick, sie wächst aber im Flugbetrieb. Dabei
bauen sich hohe mechanische Spannungen auf, die das Schicht-
system schließlich versagen lassen.
An der Grenze des direkt Messbaren
Die Schädigungen, die nach mehreren hundert bis einigen
tausend thermomechanischen Lastzyklen in der Versuchsprobe
und speziell im Schichtsystem auftreten, untersuchen wir mikro-
skopisch. Die genaue Entstehungsgeschichte der beobachteten
Schädigungen lässt sich aber erst erklären, wenn die lokalen
Spannungen beziehungsweise Dehnungen während eines Last-
zyklus bekannt sind. Wenn wir diese nicht direkt messen können,
dann berechnen wir sie. Dazu wird ein geometrisches Modell
der Versuchsprobe beziehungsweise eines Ausschnitts der be-
schichteten Probe erstellt und in ein numerisches Berechnungs-
modell umgewandelt. Dann werden die thermomechanischen
Lasten im Computermodell simuliert.
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