DLR Magazin 139 - page 22-23

Flieger an ihrem Erfahrungsschatz teilhaben, geben Ratschläge
und helfen schon einmal für einige Tage als Schlepppiloten aus.
Fast so lange wie das traditionsreiche Treffen besteht auch die
Unterstützung durch das DLR.
Der DLRler Johannes Anton ist ein gestandener und mittler-
weile ehemaliger Akaflieger aus München. Seine schmale Figur
und die dezente Brille lassen ihn fast unscheinbar wirken. Doch
seine kräftige Stimme und klaren Sätze sorgen für Präsenz. Vor gut
einem Jahr hat Johannes Anton sein Mechatronikstudium an der
Hochschule München abgeschlossen und ist zur DLR-Forschungs-
flugabteilung nach Braunschweig gekommen. Von seinen ehema­
ligen Idaflieg-Kommilitonen wird er auf dem Sommertreffen nur
Pünktchen genannt. Traditionell hat hier jeder einen Spitznamen.
„Bei mir waren es Pünktchen und Anton, die Pate standen, na ja,
dann war es geschehen“, verrät der 30-Jährige.
In der DLR-Forschungsflugabteilung bringt er jetzt die Zu-
sammenarbeit zwischen DLR und Idaflieg auf den Punkt. Das
DLR besitzt zwei Segelflugzeuge, die DG 300 und, ganz neu, die
Discus-2c DLR. „Beide Flugzeuge haben wir beim Sommertref-
fen dabei. Sie dienen den Studenten als Messflugzeuge.“ Knapp
30 Jahre ist die DG 300 schon im Einsatz und wird von den Stu-
denten nur als „Die Heilige“ bezeichnet. Gut verpackt steht sie
im Hangar. Die Tragflächen ruhen geschützt in flügellangen
Überzügen, ebenso der Rumpf. „Die DG 300 darf keinen Krat-
zer haben“, erläutert Johannes Anton bei einer Begehung des
Hangars, „denn wir nutzen sie als Referenzflugzeug.“ Er zieht
einen der Überzüge ein Stück weit zurück und streicht über die
glatte Tragfläche. „Es ist etwa so, wie mit dem Urmeter: Die
DG 300 ist in Bezug auf ihre Gleiteigenschaften das am exaktes-
ten vermessene Segelflugzeug der Welt und damit so etwas wie
eine Heilige.“ Er schmunzelt. „Wir nutzen sie ausschließlich für
Vergleichsflüge am frühen Morgen: Dazu fliegt die DG mit einem
anderen Segelflugzeug in einem gemeinsamen Luftpaket – nur
etwa eine Spannweite voneinander entfernt.“ Danach kennen
die jungen Forscher die Flugleistung des erprobten Segelfliegers,
denn sie können sie exakt mit der DG vergleichen. „Wir messen
dabei speziell die Gleitflugpolare neuer Segelflugzeuge: Sie ge-
ben an, wie ausdauernd ein Segler im Gleitflug ist – oder anders-
herum: wie sehr er auf einem Stück Flugweg absinkt“, erklärt
der begeisterte Kleinflugzeugforscher. „Um die Gleiteigenschaf-
ten eines neuen Modells zu vermessen, gehen wir mindestens
für drei Referenzflüge in die Luft.“
Mit dem Fahrrad gehts aufs Flugfeld. Hier ist Georg Mitscher
anzutreffen, Testpilot in der DLR-Forschungsflugabteilung Braun-
schweig. Er trägt Fliegermütze und Shorts, bequeme Kleidung
eben, für die heißen Tage auf dem Flugplatz. Er grüßt mit einem
strahlenden Lächeln. Normalerweise fliegt Mitscher vom DLR
Braunschweig das DLR-Forschungsflugzeug Do 228-101, doch
für drei Wochen im August reist er am Steuer der Victor Eco, dem
viersitzigen Schleppflugzeug des DLR, mit nach Aalen-Elchingen.
Hier nennen ihn alle nur „Schorsch“. Der 30-Jährige passt in die
Reihe der jungen Flugenthusiasten, denn er kam selbst erst vor
zwei Jahren nach seinem Uni-Abschluss im Bereich Luft- und
Raumfahrttechnik zum DLR. Das fliegerische Handwerk erlernte
er als Segelflieger im Verein, bevor er Berufspilot wurde.
„Auf dem Weg von Braunschweig zum Flugplatz Aalen-
Elchingen sind wir gleich in einer Doppelformation geflogen“,
erzählt Mitscher in einer Pause zwischen zwei Schleppflügen.
Derweil schiebt eine Gruppe von Akafliegern ein gerade gelan-
detes Segelflugzeug rückwärts über die Wiese zum Startpunkt.
„Mit einem weiteren geliehenen Schleppflugzeug konnten wir
die DG 300 und den Discus-2c direkt nebeneinander quer über
Deutschland schleppen“, berichtet der DLR-Pilot. „Das war eine
schöne Einstimmung auf die vielen Schleppmanöver, die ich
hier fliegen darf.“ Er nimmt einen kräftigen Schluck aus einer
Wasserflasche. „Besonders schön sind die Vergleichsflüge am
frühen Morgen, wenn wir ebenfalls in Doppelformation starten,
an einem Tau die DG 300, am anderen ein neues Modell, und
bis zu 3.000 Meter über die oft nebelbedeckte Landschaft auf-
steigen.“
Noch ist die DG 300 auf dieser „heiligen“ Vergleichsmis­
sion dabei. Doch in spätestens zwei Jahren, wenn der Discus-2c
ausreichend feinjustiert ist, wird er mit den neuen Prototypen in
den frühmorgendlichen Himmel aufsteigen, um deren Flugleis-
tung zu vermessen. Die DG 300 wird dann in den wohlverdien-
ten Ruhestand gehen.
Nach einem Wetterbriefing für den restlichen Flugtag
verrät Kai Rohde-Brandenburger vom DLR-Institut für Aerody-
namik und Strömungstechnik, dass der Discus-2c DLR noch
einiges mehr können wird: „Beim Bau des Fliegers ist eine um-
fangreiche Messsensorik integriert worden: Wir werden zum
Beispiel kleinste Dehnungen in Rumpf und Flügeln erfassen
können.“ Der 30-Jährige ist von kräftiger Statur und wirkt mit
seiner freundlichen Art wie ein echter Kumpeltyp. Man sieht
ihm sofort an, dass er ein Braunschweiger Akaflieger ist: Auf
seinem T-Shirt strahlen elf weiße zu einem Kreis angeordnete
Segelflieger-Silhouetten und umschließen den Schriftzug. Stolz
zeigt er darauf und erklärt: „Das sind die Prototypen, die in
den vergangenen 90 Jahren von der Akaflieg Braunschweig
entwickelt wurden“. Darunter befindet sich eine Silhouette
mit auffallend großen Flügeln. „Das ist die SB 10 von 1972,
mit 29 Meter Spannweite das größte Segelflugzeug der Welt.“
Die akademischen Segelflugvereine haben eine lange
Historie in Deutschland, die sie beinahe einzigartig in der Welt
macht. 1918 nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg war Deutsch-
land die Flugforschung im Versailler Vertrag verboten worden.
„Doch es gab eine Ausnahme“, berichtet der Braunschweiger
Forscher. „Flugzeuge ohne Motor fielen nicht unter das Verbot –
Wie an einer Perlenschnur reihen sich die Segelflugzeuge auf: An
Spitzentagen sind beim Idaflieg-Sommertreffen mehr als 50 junge
Piloten auf dem Flugplatz Aalen-Elchingen
Discus-2c und DG 300: Die
zwei Segelflugzeuge des DLR
Das Segelflugzeug Discus-2c DLR ist brandneu in die
DLR-Forschungsflotte aufgenommen worden. Als Vergleichs­
messflugzeug wird es zukünftig genutzt, um die Gleiteigen-
schaften neuer Segelflugzeugtypen in der Entwicklung zu
vermessen. Fast 30 Jahre lang hat die DG 300 diese Aufgabe
erfüllt. Das neue Hochleistungssegelflugzeug wird aeroelas­
tische Fragestellungen beantworten helfen. In Flügel und
Rumpf des Discus-2c sind Dehnmessstreifen und Faser-
Bragg-Sensoren integriert, die Verformungen messen. Ein
integrierter Rumpfkasten erlaubt eine breite wissenschaft­
liche Anwendung des Forschungsflugzeugs. Der spitze
Mast an der Nase trägt eine 5-Loch-Sonde zur Messung
der Geschwindigkeit und des Anstellwinkels.
Technische Daten
Discus-2c DLR:
Spannweite: 18 m
Gewicht: ca. 290 kg
Maximales Abfluggewicht: 565 kg
Maximale Geschwindigkeit: 280 km/h
DG 300-17:
Spannweite: 17 m
Gewicht: ca. 293 kg
Maximales Abfluggewicht: 550 kg
Maximale Geschwindigkeit: 270 km/h
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SEGELFLUGFORSCHUNG
Doppelschleppformation am frühen Morgen: Die Glaskup­
pel erlaubt einen phantastischen Rundumblick. Unten in
der Mitte erkennt man weiß die Schuhspitzen des Piloten,
die Cockpitscheibe reflektiert die Schuhe im Licht der auf­
gehenden Sonne. Rechts im Bild ist das zweite Gespann
von Schleppflugzeug und Segelflieger zu erkennen.
und so gediehen die studentischen Segelfluggruppen und be-
gründeten eine Tradition, die sich bis heute erhalten hat.“
Seit Juli dieses Jahres ist Kai Rohde-Brandenburger von
der Akaflieg Braunschweig zum DLR-Institut für Aerodynamik
und Strömungstechnik gewechselt. Neben Johannes Anton,
der als Verantwortlicher in der DLR-Forschungsflugabteilung
den Kontakt zu den akademischen Fliegern hält und die Segel-
und Kleinflugzeuge betreut, begleitet Rohde-Brandenburger
wissen­schaft­liche Projekte in diesem Bereich. Den neuen DLR-
Forschungssegler Discus-2c hat der Diplom-Ingenieur für seine
Arbeit besonders im Blick. Mit strahlenden Augen dekliniert er
die Fähigkeiten dieses einzigartigen Flugzeugs durch, während
er im Cockpit des Einsitzers die Anzeigen erklärt: „Beschleuni­
gungssensoren und Magnetfeldsensoren sind an Bord. Im Rumpf
befindet sich eine große Box für verschiedenste Messapparaturen.“
Akademische Fliegergruppen
Braunschweig, München und Berlin sind nur einige Städte, in
denen sich der akademische Nachwuchs für den Segelflug be-
geistert. In Akafliegs, den akademischen Fliegergruppen, lernen
sie alles rund um diesen traditionsreichen Sport und mehr: Sie
fliegen, bauen und forschen. Ehrenamtliches Engagement wird
dabei großgeschrieben. Ehemalige, die jetzt in Industrie und For-
schung arbeiten, unterstützen die jungen Flugenthusiasten, aus
deren Reihen auch DLR-Testpiloten stammen. Das Sommertref-
fen der Interessengemeinschaft deutscher akademischer Flieger-
gruppen (Idaflieg) in Schwaben ist der alljährliche Höhepunkt im
Leben der studentischen Flugpioniere. Das DLR war in diesem
Sommer mit einem Schleppflugzeug und zwei Mess-Segelflug-
zeugen vor Ort.
Cockpitbild des Discus-2c DLR
Bild: TU Braunschweig, Institut für Flugführung
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