DLR Magazin 139 - page 28-29

Akribisch und konzentriert
Vor der Motoren-Halle wandern währenddessen die
Handys von Wolfgang Jung, Johann Pfänder und Alexander
Kallenbach in die Holzablage vor der Tür. Der Raketenmotor ist
mit Festtreibstoff gefüllt, jede elektrische Entladung in seiner
Nähe soll vermieden werden, damit nicht eine frühzeitige Zün-
dung ausgelöst werden kann. Jacken, Hosen, Schuhe – alles ist
anti-statisch, Polyester ist verpönt. Wolfgang Jung hält seine
Code-Karte vor das Lesegerät. Nur wer zum Launch-Team ge-
hört und für den Raketenmotor zuständig ist, hat hier Zutritt.
Am Zünder, der noch blockiert ist, baumelt ein rotes Stoffband:
„Remove before flight“ – Vor dem Flug entfernen. Die Stabilisie-
rungsfinnen sind bereits montiert, nun folgt der Adapter, der
Motor und Nutzlast miteinander verbinden wird.
Johann Pfänder und Alexander Kallenbach machen sich
konzentriert an die Arbeit. Schraube für Schraube wird exakt
mit genau definiertem Drehmoment angezogen. Vor 20 Jahren
hat Pfänder mit drei Kollegen an der Startrampe gearbeitet, als
ein Prüfgerät versehentlich die Zündung der Rakete auslöste.
Die Rakete schoss waagerecht an der Eisenschiene entlang und
schlug im gegenüberliegenden Gebäude ein. Ein schwedischer
Mitarbeiter wurde in dem schmalen Launcher-Gebäude von den
Finnen getroffen und starb. Pfänder kam mit Verbrennungen
ersten und zweiten Grades und einer gebrochenen Kniescheibe
davon. Geblieben ist er dennoch bei der Mobilen Raketenbasis
MORABA. „Wenn man einen Autounfall hat, steigt man danach
ja auch wieder ins Auto.“ Nur wenn risikoreiche Aufgaben an-
stehen und zu viele um die arbeitenden Kollegen herumstehen,
reagiert Pfünder ungehalten. „Zum einen lässt dann schnell die
Konzentration nach, zum anderen sind mehr Menschen als not-
wendig gefährdet.“
Bloß keine Routine!
Die Arbeit des Teams ist selten ungefährlich. „Wir kennen
das Risiko und wissen, wie wir damit umgehen müssen“, sagt
Jung, stellvertretender Abteilungsleiter der MORABA. „Und Rou­
tine lassen wir nicht aufkommen – das wäre nicht gut.“ Jede
Mission ist anders, jede Kombination von Rakete, Nutzlast und
Bergungssystem neu. Auch der Ablauf, bei dem die Rakete im
Launcher scharf gestellt wird, wird jedes Mal von Neuem mit allen
durchgesprochen. An der Wandtafel geht das Team dann Schritt
für Schritt alles noch einmal durch. „Die Neulinge stellen Fragen,
und die Erfahrenen müssen sich damit auseinandersetzen.“ Die
Ingenieure und Techniker der MORABA kommen aus allen Berei-
chen: Luft- und Raumfahrt, Elektrotechnik, Maschinenbau oder
Physik. Für MORABA-Leiter Peter Turner ist vor allem wichtig,
dass zwar alle in ihren Spezialgebieten arbeiten, „aber jeder
muss auch über seine Grenzen blicken können und fachlich
möglichst breit aufgestellt sein.“ Das Team muss als Team funk­
tionieren.
Wolfgang Jung kennt seine Kollegen: „Wir Morabisten
sind alle Individualisten“, sagt er lachend. „Und trotzdem passt
es.“ Aus zwei Mal Marcus wird zum Nachnamen passend ein
Hörschi und ein Pinzi, es gibt noch einen Hasi, den Andi oder
auch den Alex, die Spitznamen gehen locker über die Zunge.
Das Team kommt aus ganz Deutschland – von Berlin über Ham-
burg oder auch Nürnberg, die echten Bayern sind mittlerweile
rar. Gekocht wird abends in der Gemeinschaftsküche. Auf dem
Tisch steht ein umfunktioniertes Rotkohlglas: In schwarzen Buch-
staben steht mit Edding darauf geschrieben „Rocket Propellant“ –
Raketentreibstoff. Wolfgang Jung hat für alle eine feurige Mari-
nade für den Grillabend angerührt. Das Raketengeschäft ist auch
nach Feierabend allgegenwärtig.
Der Start rückt näher
Schließlich, nach mehreren Tests, ist es so weit: „Es passt
alles, wir können loslegen“, ruft Florian Kargl. Endlich funk­
tionieren die beiden Experimente einwandfrei. Bisher stand
das MORABA-Team auf Stand-by. Andreas Kimpe und Frank
Hassenpflug haben die Zeit genutzt, um an der Fünf-Meter-
Telemetrie-Antenne auf dem Nachbarhügel Keops noch kleinere
Arbeiten durchzuführen. Inzwischen sind die Halterungen, mit
denen die Rakete in die Startrampe geschoben werden wird,
sorgfältig justiert. Jetzt wird aus der zuvor ruhigen Halle ein
wimmelnder Ameisenhaufen. Tobias Ruhe lässt den Kran über
die einzelnen Nutzlastelemente fahren, Jürgen Knof, Marcus
Hörschgen-Eggers und Philipp Koudele fahren die Werkzeug-
wagen in die Mitte. Nasenspitze, Trennring, Bergungssystem
mit Fallschirm, Ser­vicemodul – in der Halle entsteht der meter-
hohe Turm, der später auf der Rakete fast 160 Kilometer in die
Höhe fliegen wird. „Runterlassen! Weiter nach rechts! Passt!“
Ein Kommando nach dem anderen hallt durch den Raum. In den
Metallstrukturen stecken manchmal acht Hände, die Kabel zu-
rechtrücken, Schrauben halten und Elemente ineinanderfügen.
MAPHEUS-Projektleiter Martin Siegl bringt die Aufkleber.
Ratzfatz wird entlang der blauschimmernden Nutzlast-Elemente
der Raketenname angebracht. Siegl und Knof wischen liebevoll
die Klebebuchstaben glatt, bis auch die letzte Luftblase unter
dem Aufkleber verschwunden ist. Die Höhenforschungsrakete
hat endlich einen Namen – Zeit fürs Missions-Poloshirt und das
Johann Pfänder zieht Schraube für Schraube ganz exakt an. Hier
ist Präzisionsarbeit gefragt.
Eine Rakete entsteht: Nach und nach werden die einzelnen
Elemente mit den Experimentmodulen verbunden
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REPORTAGE
Raketenmotor und Nutzlast werden an der Startrampe befestigt. Wolfgang Jung
(links oben) überprüft die Verbindungen zur Rampe.
Alexander Kallenbach lässt vor dem Start
mehrmals Windballone aufsteigen, damit die
Flugbahn an die aktuelle Wetterlage ange-
passt werden kann
Letzte Tests an der Telemetrie-Antenne: Andreas Kimpe und Frank Hassenpflug
überprüfen die Empfangsanlage
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