DLR Magazin 139 - page 14-15

Wochenlang haben sich die Wissenschaftler auf ihren Flug in die Schwerelosigkeit vorbereitet. Haben Anträge geschrieben,
Experimente und Instrumente entwickelt, strikte Sicherheitsbedingungen für die Konstruktion der Anlagen umgesetzt.
Dann ist es so weit: Drei Flugtage beginnen, an denen sie ihre Experimente aus der Biologie, der Materialphysik oder der
Medizin durchführen können und dabei der Schwerkraft ein Schnippchen schlagen. Eine Reportage.
Forschen bei Schwerelosigkeit: Auf Parabelflügen des DLR expe-
rimentieren Wissenschaftler im Sturzflug
Von Manuela Braun
Spürbare Herzschläge und
schwebende Zellkulturen
Hans Schlegel schwebt in Richtung Flugzeugdecke, die
Augen geschlossen, das Gesicht vollkommen entspannt. Lang-
sam dreht sich sein Körper, steigt nach oben, schwebt sanft wie-
der nach unten. Währenddessen erreicht das Flugzeug um ihn
herum gerade den höchsten Punkt seines Fluges und fällt nun
im Sturzflug von 8.500 Meter Höhe auf 7.600 Meter. Im Cock-
pit herrscht höchste Konzentration. Dicht an dicht sitzen die drei
Piloten festgezurrt in ihren Sitzen, Haare, Overallkragen, alles ist
im Schwebezustand. „20, 30, …“, tönt die Durchsage der Pilo-
ten aus den Lautsprechern im Flugzeug. Hans Schlegel öffnet
die Augen. Wer jetzt nicht rechtzeitig die Füße in Richtung Flug-
zeugboden bringt, landet gleich sehr unsanft. „Pull out.“ Capi-
tain Stéphane Pichene fängt den Flieger ab. Von einer Sekunde
auf die andere wird aus Schwerelosigkeit das genaue Gegenteil.
Arme, Beine, alles wird nun doppelt so schwer wie auf der Erde.
Zuvor fließende Bewegungen sind nun ein mühsames Ringen
mit der Schwerkraft. Mit einem Ruck steht Hans Schlegel wieder
in der Vertikalen. Die erste Parabel ist vorbei. 20 Sekunden zwei-
fache Schwerkraft, 22 Sekunden Schwerelosigkeit und wieder
20 Sekunden doppelte Schwerkraft liegen hinter dem Astronau-
ten, der als Proband an Bord des „Zero-G“ mitfliegt.
Zwischen Vorfreude und Skepsis
Der erste Flugtag der 22. DLR-Parabelflugkampagne hat
begonnen. Insgesamt 31 Mal wird das Flugzeug in den Steilflug
gehen und anschließend im Sturzflug wieder zur Erde fallen. 31
Mal wird die veränderte Herzleistung von schwebenden Proban-
den gemessen werden, werden Pflanzen auf die Schwerelosig-
keit reagieren und wird sich das Modell eines Satelliten mehr-
mals von seiner Trägerrakete lösen. Granulare Materie wird
ohne die störenden Einflüsse der Gravitation geröntgt und
staubige Plasmen werden fotografiert werden. Einige Proban-
den erleben den Flug im Balanceakt, andere müssen unter
Stress ihre Feinmotorik in der Schwerelosigkeit unter Beweis
stellen. Schon morgens um 7.45 Uhr war die Spannung fast
mit Händen greifbar. „Und – erster Flug?“ In der Schlange vor
dem Arzt-Raum wurden Erfahrungen ausgetauscht. Auf den
Gesichtern der Erstflieger zeichnete sich Vorfreude, Neugierde
und vielleicht auch ein wenig Skepsis ab. Wird man die Arbeit
in der Schwerelosigkeit ohne Übelkeit überstehen? Kann man
im richtigen Moment die richtigen Handgriffe durchführen,
wenn Experimente ausgelöst oder Proben gewechselt werden
müssen? Arm für Arm hatte Arzt Thierry Leraitre sorgfältig
DLR-Wissenschaftler Peter Gauger überwacht den Herz-
schlag von Astronaut Hans Schlegel beim Schweben
Was später einmal im Weltall reibungslos geschehen soll, wird im
Parabelflug sorgfältig getestet – hier die Trennung eines Satelliten
von seiner Trägerrakete
PARABELFLUG
|
DLR
ma
G
azın
139
|
15
1,2-3,4-5,6-7,8-9,10-11,12-13 16-17,18-19,20-21,22-23,24-25,26-27,28-29,30-31,32-33,34-35,...60
Powered by FlippingBook