DLR Magazin 140 - page 20-21

Ein leichtes Schwanken des Flugzeugs bringt mich wieder
zurück ins Hier und Jetzt des Forschungsfluges. Vor mir steht eine
Gruppe von Wissenschaftlern, die aufgeregt auf die Bildschirme
vor ihnen deutet und sich dabei angeregt unterhält. Doch ich ver-
stehe kein Wort. Das liegt diesmal nicht am üblichen Fachjargon
der Forscher, sondern an dem enormen Lärmpegel innerhalb des
Passagierraums. Zum Schutz vor den Motorengeräuschen und um
sich untereinander zu verständigen, tragen alle Passagiere Kopf-
hörer, die einerseits die Hintergrundgeräusche dämpfen und an-
dererseits eine Unterhaltung via Sprechanlage ermöglichen. Auch
ich setze sie probehalber auf. Es gibt verschiedene Kanäle, in die
ich mich einwählen kann. So kann ich der Unterhaltung der Wis-
senschaftler, aber auch den Gesprächen der Bordcrew oder der
Piloten folgen. Über die Computermonitore flimmern Punkte,
Linien und Kurven. Es sind die visualisierten Daten, die das Spek-
trometer GREAT gerade aufzeichnet. Für mich als Laien ist dar-
aus nichts abzulesen. Für die Wissenschaftler hingegen läuft auf
diesen Bildschirmen eine Art Krimi ab. An einem kleinen Tisch
sitzen vier Experten, die in Windeseile eine Vorab-Auswertung
der Daten vornehmen. So können die Wissenschaftler abschät-
zen, ob es sich lohnt, an diesem Punkt weiter zu beobachten
oder ob das Teleskop auf eine andere Stelle am Himmel ausge-
richtet werden soll. Denn jede Minute Forschungszeit ist kostbar.
Während im Passagierraum große Anspannung herrscht,
strahlen die Piloten im darüber gelegenen Cockpit Ruhe und
Gelassenheit aus. Routiniert steuern sie das Flugzeug über die
eisigen Gewässer, die zwischen Neuseeland und der Antarktis
liegen. Der Horizont ist nur als blassblauer Lichtschein zu erah-
nen. Deutlich zu erkennen sind hingegen die hell leuchtenden
Displays der digitalen Instrumentenanzeigen. Seit der Moder­
nisierung der Cockpit-Technik im letzten Jahr ersetzen sie die
alten analogen Geräte. Auf dieser Mission beweisen sie nun
zum ersten Mal ihre Tauglichkeit in der Praxis.
Instrument der Superlative
Wieder im Passagierraum, beobachte ich die riesige
Teleskopmechanik bei der Arbeit. Es ist ein beeindruckender
Anblick, wie sie sich um ihre Achse zu drehen scheint. Doch in
Wirklichkeit bleibt das Teleskop mit dem Instrument starr auf die
gleiche Position am Himmel ausgerichtet: Wir sind es, die sich mit
dem Flugzeug darum herumbewegen. Ich betrachte den Mechanis­
mus, der aus hunderten von eigens für diesen Prototypen entwor­
fenen und gefertigten Einzelteilen zusammengesetzt ist, und denke,
dass es erstaunlich ist, dass dieses Wunderwerk der Technik über-
haupt existiert und tatsächlich einwandfrei funktioniert. Was für
ein Wagnis, dieses gigantische und einmalige Projekt zu realisieren.
Plötzlich kommt hinter mir Bewegung auf. Ich setze die
Kopfhörer wieder auf und erfahre den Grund: Polarlichter!
Wer ein paar Augenblicke Zeit hat, wirft einen Blick durch die
Fenster. Zunächst noch in fahl grünlichem Licht und dann zu-
nehmend immer intensiver erstrahlt das nächtliche Firmament
über dem Südpolarmeer. Schimmernd und pulsierend gleiten
die Lichtbänder in immer neuen Mustern über den Himmel.
Doch so schnell wie der Spuk begonnen hat, ist er auch schon
wieder vorbei. Nach wenigen Minuten ist nur noch ein diffuses
Leuchten zu erkennen, dann herrscht wieder schwarze Nacht.
Insgesamt zehn Stunden dauert ein Forschungsflug, noch
weitere vier liegen vor uns. Bei aller angespannter Aufmerksam­
keit kann ich langsam eine gewisse Müdigkeit nicht verleugnen.
Einige Wissenschaftler, die ihre Schicht absolviert haben, sind
von der „Holzklasse“ des Arbeitsbereichs ins „First-Class-Abteil“
gewechselt. Im vorderen Teil des Flugzeugs stehen tatsächlich
noch ein paar Original-1.-Klasse-Flugzeugsessel aus den Sieb­
zigerjahren. Sie muten an wie ein paar Fossilien zwischen all
der hochmodernen Technik. Die Sitze haben ihre besten Zeiten
sichtlich hinter sich und sind hinreichend durchgesessen, aber
nach dem langen Stehen sind sie eine Wohltat. Was jetzt noch
fehlt, ist ein Kaffee, um die Lebensgeister wieder zu wecken.
Aber den muss man sich schon selber mitbringen. Eine Bord­
küche gibt es nicht. Das ist eben die harte Wirklichkeit eines
Forschungsfluges.
Ich komme mit einem Wissenschaftler vom I. Physika­
lischen Institut der Universität Köln ins Gespräch. Das Institut
hat unter anderem die Detektoren für das GREAT-Instrument
entwickelt und hergestellt. Ich frage ihn, was ihn an seiner
Arbeit am meisten fasziniert. Er muss nicht lange überlegen:
„Wenn man so hochempfindliche Empfänger an der Grenze
des technisch Machbaren baut, kommt alles aus den Bereichen
der Hochfrequenz-, Kälte- und Vakuumtechnik zusammen. Dafür
muss man sich zuerst mit den physikalischen Grundlagen befas-
sen und diese dann als Technologie umsetzen. Vor allem die am
Projekt beteiligten Studenten bekommen so eine sehr umfassen-
de Ausbildung. Es ist sehr spannend, sehr abwechslungsreich
und auch befriedigend, wenn die Technologie dann so gut funk­
tioniert“, erklärt Dr. Patrick Pütz.
Beobachtungen in bester Qualität
Gegen 4 Uhr morgens erreicht SOFIA wieder den Flug­
hafen von Christchurch. Die Landung hätte auch mit einem
Linienflieger nicht weicher sein können. Die Computer werden
heruntergefahren, die Kopfhörer-Kabel eingerollt. Den Wissen-
schaftlern steht die Anstrengung der letzten Stunden ins Gesicht
geschrieben. Doch es hat sich gelohnt! Die Beobachtungen waren
von ausgezeichneter Qualität. Der Wasserdampfgehalt in der Luft
war sogar so gering, dass er für das GREAT-Instrument gar nicht
messbar war. Apropos GREAT: Ein kleines Jubiläum gab es auch –
das Spektrometer hat auf diesem Flug seinen 25. Einsatz bravou-
rös gemeistert.
Auch die weiteren Beobachtungsflüge verlaufen zur volls-
ten Zufriedenheit der Wissenschaftler. „Die fantastisch trans­
parente Atmosphäre auf diesen Flügen hat es ermöglicht, die
Leistungsfähigkeit des GREAT-Empfängers bis an ihre Grenzen
auszuschöpfen“, sagt Dr. Rolf Güsten vom Max-Planck-Institut
für Radioastronomie, der Leiter der deutschen Forschergruppe,
die das GREAT-Instrument entwickelt hat. „Die Mission war über­
aus ergiebig. Während dieser neun Flüge haben wir einzigartige
Daten zu mehr als 30 recht unterschiedlichen Forschungsprojek­
ten einfahren können. Die Ergebnisse werden in den kommenden
Monaten veröffentlicht.“
Nach rund drei Wochen in Neuseeland steht außerdem
fest: SOFIA hat während der Mission gleich mehrere Meilen­
steine erreicht. „Das Ergebnis könnte besser nicht sein“, freut
sich Heinz-Theo Hammes, „SOFIA hat während der Mission
gleich vier „Firsts“ gemeistert: Es fanden zum ersten Mal drei
direkt aufeinanderfolgende Beobachtungsflüge statt, es gab
zum ersten Mal drei Flugserien innerhalb von drei Wochen, und
erstmalig sind neun erfolgreiche Flüge hintereinander gelungen –
damit hat das Observatorium seinen ersten Einsatz fernab des
Heimathafens souverän absolviert. Wichtig war dabei auch die
Unterstützung durch das U.S. Antarctic Program, dessen Einrich-
tungen und Serviceleistungen wir nutzen durften.“ – Nun ist der
Weg frei für weitere Messkampagnen unter südlichem Himmel:
Im Jahr 2015 ist der nächste Einsatz von SOFIA in Neuseeland
geplant.
Weitere Informationen:
DLR.de/SOFIA
Am frühen Morgen des 18. Juli 2013, nach einem gelungenen ersten
Forschungsflug in Neuseeland, verlassen Wissenschaftler und Crew
die fliegende Sternwarte. Aufgrund des äußerst geringen Wasser-
dampfgehalts in der Atmosphäre waren die Infrarot-Messungen
besonders ertragreich.
Während des Fluges werden die Daten von Teleskop und Instrument
GREAT auf die Monitore der Wissenschaftler übertragen. Durch eine
schnelle Vorab-Analyse kann die Beobachtung kontrolliert und gege-
benenfalls korrigiert werden, um die wertvolle Forschungszeit so effi-
zient wie möglich zu nutzen.
Eine umgebaute Boeing 747SP trägt das Infrarot-Observatorium
in eine Höhe von rund 13.000 Metern. Im Jahr 2012 wurde das
Cockpit des Flugzeugs modernisiert. An die Stelle der analogen
Messgeräte traten moderne, digitale Instrumente.
Der deutsche Beitrag GREAT
GREAT, der German Receiver for Astronomy at Terahertz
Frequencies, ist ein Empfänger für spektroskopische Fern­
infrarot-Beobachtungen in einem Frequenzbereich von
1,25 bis 5 Terahertz (240-60 Mikrometer Wellenlänge),
der von bodengebundenen Observatorien aus wegen der
mangelnden atmosphärischen Transparenz nicht mehr zu-
gänglich ist. Der Empfänger ist seit 2011 als Instrument der
ersten Generation am Flugzeug-Observatorium SOFIA im
Einsatz. GREAT wird in einem Konsortium deutscher For-
schungsinstitute (Max-Planck-Institut für Radioastronomie,
Bonn, und Radioteleskop KOSMA der Universität zu Köln, in
Zusammenarbeit mit dem MPI für Sonnensystemforschung
und dem DLR-Institut für Planetenforschung) entwickelt
und betrieben. Projektleiter für GREAT ist Dr. Rolf Güsten
(MPI für Radioastronomie). Die Entwicklung des Instruments
ist finanziert mit Mitteln der beteiligten Institute, der Max-
Planck-Gesellschaft, der Deutschen Forschungsgemeinschaft
und des BMWi.
DAS Projekt SOFIA
SOFIA, das „Stratosphären-Observatorium für Infrarot-
Astronomie“, ist ein Gemeinschaftsprojekt des Deutschen
Zentrums für Luft- und Raumfahrt und der National Aero­
nautics and Space Administration (NASA). Es wird auf
Veranlassung des DLR mit Mitteln des Bundesministeriums
für Wirtschaft und Technologie (BMWi) und des Landes
Baden-Württemberg sowie der Universität Stuttgart durch­
geführt. Der wissenschaftliche Betrieb wird auf deutscher
Seite vom Deutschen SOFIA-Institut (DSI) der Universität
Stuttgart koordiniert, auf amerikanischer Seite von der
Universities Space Research Association (USRA).
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WELTRAUMOBSERVATORIUM SOFIA
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