DLR Magazin 140 - page 12-13

Institutsleiter Prof. Dr. Stefan Levedag fungierte am Tag
der offiziellen Inbetriebnahme von AVES auch als Inst-
ruktor: Bei einem simulierten Flug mit dem Airbus A320
gab er seinen Gästen aus Politik und Forschung Tipps
für die sichere Landung
Außenansicht des AVES-Komplexes. Gut erkennbar: die Kugelkonstruktion
des Full-Flight-Simulators (links). Bild links unten: Blick in das Cockpit des
Airbus A320 während eines Simulationsfluges.
tenfalls 160 Grad, in der Vertikalen gerade 40 Grad, was für
Flugzeuge auch genügen mag.
Eine sehr aufwändige Technik mit jeweils 15 LED-Projekto-
ren ermöglicht diese nahezu vollständig realistische Außensicht.
Mindestens ebenso eindrucksvoll ist die benötigte Rechenkapa-
zität: Ein Cluster von 60 Einzelrechnern versorgt Projektoren und
Steuerungssystem mit einer Unmenge von Daten. Die hierfür er-
forderliche Software wurde eigens für diese hochspeziellen An-
forderungen vom DLR entwickelt.
Die Palette der künftigen Aufgaben und Nutzungsmög-
lichkeiten von AVES umfasst drei große Bereiche. Zum einen
werden auch hier – wie bei den bereits vorhandenen kleineren
Bodensimulatoren des DLR – im Rahmen der Flugversuchsvorbe-
reitung Experimente für den Airbus A320 ATRA implementiert
und im Vorfeld der eigentlichen Flugversuche ausgiebig getestet.
Außerdem bietet der Simulator vielfältige Möglichkeiten zur Er-
probung von Software des Forschungshubschraubers FHS, eines
erheblich modifizierten Eurocopter EC135. Mit Hilfe eines aktiven
Sidesticks – eines für Hubschrauber völlig neuen Steuerungs­
organs – sollen die Flugbereichsgrenzen des Hubschraubers noch
besser erforscht und vorherbestimmt werden. „Auch völlig neue,
sogar lenkradähnliche Steuerorgane sind denkbar und könnten
mit AVES erprobt werden“, ergänzt Dr. Holger Duda.
Zum anderen bieten die beiden Simulatoren die Möglich-
keit, künftige Flugzeugkonfigurationen zu untersuchen und –
noch weit im Vorfeld realer Prototypenflüge – experimentell zu
bewerten. So sind die Wissenschaftler zum Beispiel schon heute
sehr daran interessiert, welche technischen und fliegerischen
Herausforderungen künftige Nurflügel-Transportflugzeuge an
Konstrukteure und Piloten stellen. Darüber hinaus sollen auch
Flugeigenschaften herkömmlicher Flugzeuge und Möglichkeiten
zu deren Verbesserung evaluiert werden.
Ein dritter Aufgabenschwerpunkt umfasst Untersuchun-
gen zur Bewertung des Trainingsstandards angehender Piloten.
In enger Zusammenarbeit mit der Hamburger Abteilung Luft-
und Raumfahrtpsychologie des DLR-Instituts für Luft- und
befindet sich zudem eine weitere Hightech-Versuchseinrichtung,
die der stationären Flugsimulation dient. Das Einzigartige die-
ser Versuchseinrichtung ist vor allem der modulare Aufbau:
Beide Simulatorkuppeln können nämlich wechselweise mit
dem Cockpit eines Transportflugzeugs, wie eben des Airbus
A320, oder mit dem Cockpit eines Hubschraubers, zum Bei-
spiel des Eurocopter EC135, ausgerüstet werden.
Damit ist die Aufgabe des Simulators auch schon umrissen.
Mit ihm sollen nicht etwa künftige Piloten lizensiert werden, die
Anlage dient ausschließlich wissenschaftlichen Vorhaben des
DLR sowie der hieran beteiligten Technischen Universität Braun-
schweig, was den Anspruch noch einmal erhöht. Professor Dr.
Stefan Levedag, Leiter des Instituts für Flugsystemtechnik, unter-
streicht die Einzigartigkeit des Simulatorzentrums und weist auf
die Bedeutung der Anlage auch für die deutsche Luftfahrtfor-
schung hin: „Das neue Simulatorzentrum gibt uns in einzigartiger
Weise die Möglichkeit, die dynamische Interaktion zwischen Pilot,
Flugzeug und seinen Systemen in realistischen Szenarien zu un-
tersuchen. Damit können wir beispielsweise drängende Frage-
stellungen der zukünftigen Automatisierung von Flugzeugen
und der Ausbildung bearbeiten und für völlig neue Konfigura­
tionen frühe Erkenntnisse zur Fliegbarkeit gewinnen.“
Die bewegliche Kuppel ruht auf sechs Teleskopstelzen, die
in ihrem Umfang deutlich stärker ausgefallen sind als diejenigen
kommerzieller Simulatoren. Im Unterschied zu jenen wird der
DLR-Simulator elektro-pneumatisch gesteuert. Dieses System
ersetzt die ansonsten übliche Hydraulik, die einen höheren
Service-Aufwand benötigt.
Einzigartige Rundumsicht
Eine weitere, ganz erhebliche Unterscheidung gegenüber
herkömmlichen Simulatoren ist nicht auf den ersten Blick zu
sehen: Der DLR-Simulator bietet den Versuchspiloten und Wis-
senschaftlern eine einzigartige 240-Grad-Rundumsicht, in der
Vertikalen weiß vor allem der Hubschrauberpilot einen 90-Grad-
Sichtbereich zu schätzen. Im Gegensatz dazu verfügen kommer-
zielle Simulatoren über einen horizontalen Sichtbereich von bes-
Raumfahrtmedizin wollen die Wissenschaftler weitgehende ob-
jektive Kriterien für die Leistungsbeurteilung der Probanden er-
arbeiten. So hat bereits vor Kurzem ein Gemeinschaftsprojekt
mit Airbus und Boeing begonnen, in dessen Mittelpunkt die
weitere Verbesserung des Trainings im Flugsimulator steht.
Neben der Einbindung des Instituts für Luft- und Raum-
fahrtmedizin ist auch eine Kooperation mit dem Braunschweiger
Institut für Flugführung geplant, hier bietet eine Vernetzung mit
dem Tower-Simulator für die Simulation spezieller Flugverkehrs-
szenarien vielfältige Möglichkeiten. In diese Richtung zielt über-
dies ein Kooperationsvorhaben mit der Technischen Universität
Braunschweig zur Nutzung des Simulators durch Studenten und
Universitätswissenschaftler. Eine wichtige externe Unterstützung
erhielt die neue Versuchseinrichtung zudem durch die Firma
Rheinmetall, die im Bereich der Simulationstechnik über ausge-
wiesene System-Expertise verfügt und diese beispielsweise be-
reits für das Hubschrauber-Simulatorzentrum in Bückeburg
maßgeblich eingebracht hat.
Austauschbares Cockpit
Die einzigartige Variabilität von AVES liegt vor allem in der
Austauschbarkeit der Cockpits. Zahlreiche Versuchsaufgaben er-
fordern die dynamische Simulation, bei anderen Flugexperimen-
ten können die Wissenschaftler auf die Bewegungseindrücke
verzichten. Der Wechsel eines Cockpits benötigt etwa drei Stun-
den. „Dabei“ – so betont Torsten Gerlach, Gruppenleiter Simu-
lationstechnik aus dem Institut für Flugsystemtechnik – „benö-
tigt die Handhabung der jeweils 16 Systemstecker noch die ge-
ringere Zeit. Aufwändig ist vor allem die jeweilige Montage und
Demontage der zahlreichen Schraubverbindungen für die Hebe-
vorrichtung – immerhin wiegt eine Cockpit-Einheit rund vier
Tonnen.“ Je nach Auslegung der Forschungsprojekte wird ein
solcher Wechsel mehrmals im Jahr erforderlich.
Eine derart zukunftsweisende Forschungs- und Versuchs-
einrichtung hat natürlich ihren Preis. So belaufen sich die Ge-
samtinvestitionen auf zehn Millionen Euro, wozu die Helmholtz-
Gemeinschaft neun Millionen sowie die Technische Universität
Bei einem tiefen Vorbeiflug bil-
det die Grafik des Hubschrauber-
simulators selbst Details wie
einen Windrotormast ab
Braunschweig eine Million Euro beigetragen hat. Nicht ohne
Stolz betont Dr. Duda: „Wir haben die Einrichtung so stringent
geplant, dass wir sowohl den Budgetrahmen als auch die auf
drei Jahre angelegte Bauphase präzise einhalten konnten.“
Mit dem Helikopter in die Rechtskurve
Erneuter Szenenwechsel: Noch einmal sitze ich auf dem
Pilotensitz, diesmal allerdings im stationären Cockpit des Simula-
tor-Hubschraubers EC135. Wir überfliegen mit etwa 70 Knoten
in rund 1.000 Fuß Höhe die Runway des Braunschweiger For-
schungsflughafens, als mir Torsten Gerlach die Bedienung über-
lässt. Im Gegensatz zum Flächenflugzeug habe ich jetzt gleich
drei Steuersysteme zu handhaben – und zu koordinieren: Da ist
zunächst der mittig vor mir angebrachte „Stick“ für die zyklische
Blattverstellung, das heißt für die horizontale Steuerung des Heli-
kopters. Zudem halte ich in der linken Hand den „Pitch“, den
Steuerhebel für die kollektive Blattsteuerung, also die vertikalen
Bewegungen des Helikopters. Zusätzlich betätige ich mit den
Seitenruder-Pedalen den Heckrotor zum Ausgleich des Rotor-
drehmoments sowie für nennenswerte Richtungsänderungen.
Mit sehr geringen Steuerausschlägen lege ich jetzt den
Helikopter in eine leichte Rechtskurve – und bin auf der Stelle
überrascht von der Empfindlichkeit der Steuerung. Aus der leich-
ten Rechtskurve wird ein hektisch korrigierter Steilflug. Die Sache
lässt sich doch ein wenig kompliziert an. Offensichtlich habe ich
zudem bei diesem Manöver die Flughöhe außer Acht gelassen,
wir nähern uns ebenso unerwartet wie schnell dem Erdboden.
Gerade noch bringe ich das Fluggerät wieder in die horizontale
Lage, da bricht zu allem Überfluss das Heck aus. „Pitch runter“
befiehlt Torsten Gerlach – und mit einer – wie es der unverges-
sene Loriot formuliert haben würde – etwas „sportlichen“ Lan-
dung endet diese Übung. Schon wahr – Meister sind es wirklich
nicht, die da mitunter vom Himmel fallen …
Weitere Informationen:
DLR.de/FT
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