Das nationale Zentrum für Flugsimulation in der Luftfahrtforschung AVES (Air VEhicle Simulator) besteht aus zwei hochwertigen Anlagen zur Simulation von Flugzeugen und Hubschraubern auf höchstem Niveau. AVES ist ausgelegt als modulare, flexible Plattform unter Einsatz modernster Technologien zur ganzheitlichen Erforschung des Fliegens. Die hochmoderne Versuchsanlage schließt die Lücke zwischen numerischer flugphysikalischen Simulation und dem experimentellen Flugbetrieb am Forschungsflughafen Braunschweig. AVES wird vom Institut für Flugsystemtechnik betrieben, der Aufbau erfolgt in Kooperation mit der Technischen Universität TU Braunschweig (IFF). Damit ist die Anlage ein wesentliches Bindeglied zwischen der Anwendungs-forschung des DLR und Grundlagenforschung sowie Ausbildung an der TU (s. a. Artikel im → DLR-Magazin 140, S. 10).
Zentrales Forschungsgebiet ist die weitere Untersuchung der dynamischen Interaktion zwischen Mensch und Luftfahrzeug, insbesondere für Verkehrsflugzeuge und Hubschrauber sowie für neue Konfigurationen.
Ein elektromechanisch angetriebenes Bewegungssystem liefert bestmögliche Realitätsnähe für die Cockpitbesatzungen. Zwei Sichtsysteme mit jeweils 15 LED Projektoren stellen ein Sichtfeld von 240° x 95° bereit. Die beiden Simulationscockpits für Airbus A320 und Eurocopter EC135 sind in Level D Qualität ausgeführt, so dass sie die fliegenden Versuchsträger ATRA und FHS bestmöglich repräsentieren. Ein ausgeklügeltes Wechselsystem erlaubt einen Cockpitwechsel vom Festsitz- in den Bewegungssimulator und zurück innerhalb weniger Stunden. Über 50 Computer und mehrere Kilometer Datenkabel sorgen für den erforderlichen Informationsaustausch zwischen den Systemen. Die am Institut entwickelte Simulatorsoftware ist modular aufgebaut und bietet maximale Flexibilität zur Erfüllung der breit gefächerten Kundenwünsche.
Airbus A320 ATRA
Das Simulationscockpit des Airbus A320 ATRA ist in Level D Qualität ausgeführt. Die Cockpitzelle und die Komponentenanordnungen sind dem realen ATRA nachempfunden. Das Erscheinungsbild der Cockpit Control Panels entspricht dem Original. Es sind Nachbildungen aller im Original vorhandenen Anzeige- und Bedienelemente vorhanden.
Die Sidesticks von Captain und First Officer sind als aktive Elemente ausgeführt und können je nach Bedarf ge- oder entkoppelt werden. Ein Soundsystem mit sechs Lautsprechern und einem Subwoofer liefert eine realistische Simulation der Flug- und Systemgeräusche. Im hinteren Bereich des Cockpits befindet sich eine Operatorkabine mit zwei Arbeitsplätzen. Insgesamt können 5 Personen (3 im Cockpit, 2 in Operator-kabine) im simulierten A320 „mitfliegen“.
Das Simulationsmodell des A320 ist eine Eigenentwicklung des Instituts auf Basis von Matlab/Simulink und beinhaltet neben der Flugdynamik einschließlich Bodenhandling alle Flight Management, Autopiloten- und Flugsteuerungsfunktionen des Systems. Anhand von Flugversuchen mit ATRA wurde die Simulatorsoftware in weiten Bereichen der Flugenvelope validiert.
Eurocopter EC135 FHS
Das Simulationscockpit des Eurocopter EC135 ist als Nachbau des Eurocopter EC135 FHS in Level D Qualität ausgeführt. Neben der genauen Nachbildung der Arbeitsplätze der Piloten ist auch der Sitz für den Flugversuchsingenieur (FVI) und einen weiterer Observerseat installiert
Durch die Operatorkabine wird der rückseitige Zugang zum Observerseat und dem FVI-Platz ermöglicht, die Piloten steigen durch die Türen ein, wie im realen Hubschrauber. Ein Soundsystem mit sechs Lautsprechern liefert eine realistische Simulation der Flug- und Systemgeräusche des Hubschraubers.
Ein aktives Steuerkraftsystem mit acht Aktuatoren inklusive Kraftsensoren bietet die Möglichkeit, flexibel die Steuerkräfte für die Piloten bereitzustellen. Der Entwurf des Steuer-kraftsystems erfolgte mit dem Ziel eines optimierten Übertragungsverhaltens. Mechanische Vorkehrungen zur Integration aktiver Sidesticks vervollständigen das Cockpit.
Das Simulationscockpit EC135 erhält eine Operatorkabine im hinteren Teil des Cockpits mit einem Arbeitsplatz. Insgesamt können 5 Personen (4 im Cockpit, 1 in Operatorkabine) in der simulierten EC135 „mitfliegen“.
Das Simulationmodell der EC135 ist in dem Modellierungssprache ADSIM umgesetzt, es können auch generische Hubschraubermodelle unter Matlab/Simulink eingebunden werden.
Systemsimulation
Aufgabe der Systemsimulation ist die effektive Flugversuchsvorbereitung für die fliegenden Versuchsträger ATRA und FHS. Hierfür müssen alle relevanten Systemeigenschaften der fliegenden Versuchsträger in der Anlage am Boden nachgebildet werden.
Die Nutzung als Systemsimulator erfordert eine sehr genaue Generierung der Datenflüsse der realen Systeme ATRA und FHS. Die softwareseitige Nachbildung der komplexen Cockpit-Schnittstelle (COS) nach vorgegebener Spezifikation ist ein wesentlicher Baustein für die Simulation des Gesamtsystems FHS.
Zum Anwendungsspektrum des AVES gehört auch ein Experimental-Rack. Es kann über dieselbe Schnittstelle sowohl in der Simulationsumgebung des AVES als auch im DLR-Forschungsflugzeug ATRA betrieben werden. Das Experimental-Rack kann als modulare Plattform um Komponenten wie Telemetrie, Messgeräte oder Rechner mit verschiedenen Betriebssystemen erweitert werden.
Im AVES kann das Experimental-Rack zur Systementwicklung und effizienten Flugversuchsvorbereitung eingesetzt werden. Die Bedienelemente des Simulatorcockpits und wichtige Systemsignale können abgefragt und die Cockpit-Bildschirme angesteuert werden. Die Simulation im AVES umfasst einen Traffic Server zur Generierung des umgebenden Luftverkehrs inklusive der Simulation des Flugkontrollsystems ADS-B und wird bedarfsorientiert weiterentwickelt.
Das Experimental-Rack wurde bei Flugversuchen mit ATRA unter anderem zur Erprobung neuer Wirbelschleppenassistenzsysteme sowie für die Systemidentifizierung in Echtzeit eingesetzt.
Weitere Informationen: → Wirbelschleppen: DLR testet Warnsystem bei Flugversuchen → Leise und spritsparend landen: Neues Assistenzsystem für Piloten im Simulatortest
Pilotentraining
It is dangerous to fly if you can not fly
Die Luftfahrt ist eine Erfolgsgeschichte in punkto Sicherheit, die signifikant durch das effektive Training der Cockpitbesatzung begründet ist. Mit dem AVES soll das Training der Cockpitbesatzung weiter optimiert werden. Der Zusammenhang zwischen der Wiedergabegenauigkeit eines Flugsimulators (simulator fidelity) und der Trainingseffektivität soll genauer untersucht werden. Die Trainingseffektivität ist dabei ein Maß für den Lerneffekt, den ein Pilot im Simulator erfährt, und dessen Übertragbarkeit auf das reale Luftfahrzeug.
Der Arbeitsplatz des Verkehrsflugzeugpiloten hat in den letzten Jahren eine beeindruckende Entwicklung durchgemacht. Heutige Piloten brauchen neben fliegerischem Können (flying skills) und dem Verständnis des komplexen Ablaufs der modernen Flugführungssysteme (ATC skills) vor allem soziale Kompetenz im Cockpit (soft skills). Eine vom Institut für Flugsystemtechnik in Zusammenarbeit mit der Vereinigung Cockpit in 2010 durchgeführte Online-Umfrage unter Airline-Piloten bestätigt dies.
Diese Veränderung des Arbeitsplatzes wirkt sich zunehmend auf das Training der Piloten aus. Das Erlernen grundlegender fliegerischer Fähigkeiten auf kleinen Flugzeugen verliert an Bedeutung. Dagegen rücken die Simulatorphasen immer mehr in den Vordergrund. Die Schüler lernen schon früh, die anfallenden Aufgaben in modernen Cockpits im Team zu bearbeiten. Aus diesem Grund wurde in 2006 die neue Multi-Crew Pilot License (MPL) eingeführt, bei der ein Großteil der Ausbildung auf dem Simulator durchgeführt wird.
Im Bereich der Hubschrauberfliegerei sind ähnliche Entwicklungen zu beobachten, die Cockpits werden ebenfalls immer weiter automatisiert, allerdings sind hier weiterhin die flying skills von größerer Bedeutung.
Fliegbarkeitsuntersuchungen neuer Konfigurationen
Die zukünftige Entwicklung neuer Verkehrsflugzeugkonfigurationen (z.B. Nurflügler) erfordert intensive Untersuchungen der spezifischen Flugeigenschaften möglichst früh in der Entwicklungsphase. Untersuchungen des Instituts im Bereich der fliegenden Simulation zeigten Defizite in den Flugeigenschaften, die im AVES genauer untersucht werden sollen. Desweiteren werden neue Konfigurationen drehendem und starrem Flügel betrachtet, von denen man sich eine Kombination der jeweiligen Vorteile von Dreh- und Starrflügel verspricht und zwar die Optimierung der Reiseflugleistung bei minimalen Start- und Landestrecken. Die Fliegbarkeit solcher „Drehstarrflügel“-Konfigurationen soll im AVES erprobt werden.