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Mars und Erde - gemeinsame Vergangenheit und Zukunft?



 Dr. Ralf Jaumann, Co-Investigator 'High Resolution Stereo Camera (HRSC) on Mars Express'
zum Bild Dr. Ralf Jaumann, Co-Investigator "High Resolution Stereo Camera (HRSC) on Mars Express"

Interview mit Dr. Ralf Jaumann, komm. Leiter des Institutes für Planetenforschung, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), Berlin-Adlershof.

Frage: Herr Dr. Jaumann, die Geologie von Erde und Mars weist Gemeinsamkeiten und Unterschiede auf. Warum ist es eigentlich der Mars, der für uns aus wissenschaftlicher Sicht so anziehend ist?

Dr. Jaumann: Der Mars ist von den Planeten im Sonnensystem sicherlich der Körper, der der Erde am ähnlichsten ist – zumindest, was sein äußeres Erscheinungsbild anbelangt, aber auch hinsichtlich einiger fundamentaler geophysikalischer Parameter, wie innerer Aufbau oder die grobe Zusammensetzung des Planeten. Oberflächenstrukturen wie Vulkane, Canyons, Flußdeltas, die Polkappen oder Wüsten kennen wir auch von der Erde. Die Atmosphäre auf dem Mars ist zwar wesentlich dünner als die Lufthülle der Erde, aber trotzdem spielen sich durch die Wechselwirkung zwischen Atmosphäre und Marsoberfläche einige Prozesse auf dem Mars ähnlich ab wie bei uns.

Was natürlich - zumindest heute - auf dem Mars fehlt, ist das Wasser als "treibende Kraft" sehr vieler Erosionsprozesse, das auf unserem Heimatplaneten die Oberfläche immer und immer wieder umgestaltet. Erosionsprozesse spielen sich auf dem Mars viel langsamer ab als auf der Erde. Zum Beispiel sind Milliarden Jahre alte Krater auf dem Mars allgegenwärtig – auf der Erde sind die Spuren von Asteroideneinschlägen in wenigen Millionen Jahren zumeist ausgelöscht. Deshalb ist das, was wir auf dem Mars heute sehen, gewissermaßen ein "Standbild" der frühen Marsgeschichte, ein "Fenster" in die geologische Vergangenheit unseres Sonnensystems: Die Marsoberfläche, vor allem das "alte Hochland" auf der Südhalbkugel, wurde überwiegend vor mehr als zwei Milliarden Jahren gestaltet, sieht man von kleinräumigeren Formen als Ergebnis der gegenwärtigen Winderosion ab.

Andererseits wissen wir aber von den Fotos vom Mars, dass Wasser mit Sicherheit einmal eine sehr große Rolle auf diesem Planeten gespielt haben muss. Was natürlich sofort die Frage nach sich zieht, ob dieser Planet auch Leben hervorgebracht hat, ob dieses Leben nur episodisch, von kurzer Dauer war und wieder verschwand. Oder ob es tatsächlich auch heute noch "Nischen" gibt, in denen Leben, geschützt vor der kosmischen Strahlung, vorhanden ist. Die Frage nach Wasser und Leben auf einem anderen Himmelskörper ist auch eine geologische Frage: Denn Wasser hinterlässt "geologische" Spuren in Form von Tälern, geschichteten Ablagerungen, Deltas oder anderen Strömungsformen.

Zwar ist unser näher zur Sonne gelegener Planetennachbar, die Venus, als gesamter Körper der Erde auch nicht unähnlich, denn er ist fast so groß wie unser "blauer Planet", doch seine Oberfläche, mehr noch seine undurchdringliche Atmosphäre zeigen weniger "erdähnliche" Strukturen als der Mars. Aber mit ziemlicher Sicherheit spielte Wasser auf der Venusoberfläche so gut wie keine Rolle, denn es ist bei den Temperaturen so nahe an der Sonne nie stabil und würde sofort verdampfen. So wurde der Mars zum naheliegenden Ziel der Planetengeologie.

Frage: Auch auf dem Mars gibt es den Wechsel der Jahreszeiten, bestimmt durch den Lauf des Planeten um die Sonne. Lassen sich die damit im Zusammenhang stehenden Vorgänge auf dem Mars mit denen auf der Erde vergleichen?

Dr. Jaumann: Auf jeden Fall! Am auffallendsten ist allein schon das jahreszeitliche Anwachsen und Abtauen der Polkappen. Da die Rotationsachse des Mars mit einer Neigung von über 25 Grad noch etwas "schräger" auf seiner Umlaufbahn steht, fallen die Schwankungen der Jahreszeiten sogar noch etwas extremer aus als auf der Erde; die höchsten und niedrigsten Temperaturen liegen weiter auseinander: An den wärmsten Tagen kann es am Äquator um die 20 Grad Celsius sein, in den kältesten Polarnächten kann die Temperatur auf minus 140 Grad Celsius fallen. Diese Differenzen der gewissermaßen in der Atmosphäre absorbierten Sonnenenergie wollen sich ausgleichen – was hier auf der Erde im Begriff "Wetter" seinen Ausdruck findet.

Auch auf dem Mars gibt es Wetter. Beispielsweise toben heftige Staubstürme über riesige Entfernungen und hinterlassen auf der Oberfläche ihre Spuren. Wind und "Wetter" sind die aktivsten die Oberfläche des Mars heute gestaltenden Prozesse. Dem Wetter auf dem Mars fehlt heute allerdings das Wasser: Es fällt kein Regen oder Schnee, es bilden sich keine Flüsse oder Gletscher – auf der Erde zwei sehr wichtige Erosionsprozesse. Der Mars ist heute ein trockener Wüstenplanet.

Doch muss es in der viereinhalb Milliarden Jahre langen Geschichte des Mars Perioden gegeben haben, in denen Abflusssysteme von Wasser gespeist oder Täler von Gletschern ausgeschürft wurden. In der Diskussion ist sogar, dass in der auffallend ebenen und tief gelegenen Nordhemisphäre des Planeten einst ein großer Ozean existierte, der von Flüssen in den heute trockenen Tälern des südlichen Hochlands gespeist worden sein könnte. Allerdings ist der Mars als planetarer Körper zu klein, als dass er mit seiner gegenüber der Erde um zwei Drittel geringeren Schwerkraft dau-#erhaft eine dichte Atmosphäre an sich binden könnte: Die flüchtigen Gase einer solchen Lufthülle entweichen ins Weltall.

Frage: Wenn Sie auf bereits durchgeführte Missionen zum roten Planeten zurückblicken, was wissen wir bereits? Und was lohnt es sich noch in Erfahrung zu bringen?

Dr. Jaumann: Seit den ersten Erkundungsflügen zum Mars in den 1970er-Jahren hat sich unser Wissensstand vom Mars wesentlich erweitert. Bahnbrechend waren die Ergebnisse der beiden amerikanischen Viking-Missionen im Jahr 1976. Zum einen war es mit den Aufnahmen der beiden Orbiter möglich geworden, die Oberfläche des Planeten lückenlos in einer schon recht guten Bildauflösung zu kartieren, zum anderen lieferten die beiden Viking-Lander vom Boden des Mars das bis heute noch gültige wichtige Ergebnis: Der Mars ist trocken, Lebensspuren konnten bisher nicht gefunden werden.

Andererseits waren diese Ergebnisse, insbesondere die spektakulären, detaillierten Bilder von den gigantischen Vulkanen, von den auffällig strukturierten Polkappen, vor allem aber von den trockengefallenen "Flusssystemen" und Canyons der Auslöser für eine noch viel intensivere Erforschung unseres Nachbarplaneten. Ganz offensichtlich konnte nun die These gewagt werden: Wenn es im inneren Sonnensystem noch auf einem anderen Planeten Wasser geben sollte, dann wäre der Mars die erste Adresse, um danach zu suchen. Und dies tat man dann auch: Die Fortschritte in der Mikroelektronik erlauben es uns seit den 90er-Jahren mit einem viel besseren und miniaturisierten Instrumentarium an die drängenden Fragen heranzugehen.

Mit dem Scheitern der russischen Mission Mars 96 gab es jedoch, vor allem aus Sicht der europäischen Marsforschung, einen schweren Rückschlag. Aber mit der Landung von Mars Pathfinder folgte 1997 schon ein nächster Höhepunkt, als mit dem kleinen Rover Sojourner erstmals die Umgebung einer Landestelle erkundet werden konnte – Wasser freilich fand auch Sojourner nicht, obwohl als Landestelle ein urweltliches Flussdelta gewählt wurde. Und auch die Amerikaner hatten mit dem Verlust von Mars Polar Lander 1999 einen Rückschlag zu verdauen, andererseits mit den beiden Orbitern Mars Global Surveyor und Mars Odyssey auch zwei weitere große Erfolgsstories in der Marsforschung.

Frage: Offensichtlich haben wir aufgrund dieser Missionen doch schon sehr viele Informationen über den Mars. In welche Richtung soll denn nun weitergeforscht werden?

Dr. Jaumann: Was wir heute benötigen, sind jedoch noch bessere Bilder von der Marsoberfläche, in höherer Auflösung, flächendeckend und vor allem verknüpft mit topographischen Informationen, um ein realistisches dreidimensionales Bild der Marsoberfläche zu bekommen: Nur so lassen sich nämlich nicht nur die geologischen Phänomene wie Vulkane, Lavaströme, Flusstäler oder Krater quantitativ erfassen, diagnostizieren und miteinander vergleichen, sondern wir werden auch die Prozesse verstehen, denen sie ihre Entstehung verdanken. Und schließlich können wir heute mit dem gezielten Einsatz von ganz bestimmten Farbkanälen bei Aufnahmen aus dem Orbit auch Rückschlüsse auf die Zusammensetzung einer Oberfläche, also ihre Mineralogie ziehen. Dies alles zusammen leistet auf Mars Express die hochauflösende Stereokamera HRSC – die simultane flächendeckende Abbildung einer strukturierten Oberfläche in hoher Auflösung, in drei Dimensionen und in Farbe. Mit den Aufnahmen von Mars Express wird die Marsforschung wieder einen großen Schritt nach vorne machen können. Diese hochauflösende Stereokamera ist übrigens hier im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, DLR, in Berlin-Adlershof entwickelt worden.

Frage: Herr Jaumann, wenn Sie den Begriff Leben definieren, gelten dabei die gleichen Annahmen für den Mars wie für die Erde? Kann Leben auf anderen Planeten nicht auch völlig andere Daseinsformen entwickeln?

Dr. Jaumann: Das ist eine schwierig zu beantwortende Frage, denn wir wissen ja nur von der Erde – und das noch nicht einmal in hinreichender Genauigkeit! – wie sich aus den ersten vermehrungsfähigen Kohlenwasserstoffmolekülen mit eigenem Stoffwechsel das Leben entwickelt hat. Wir wissen weder, ob das Leben sich originär auf der Erde entwickelt hat, ob es sich nur auf der Erde entwickelt hat, oder ob es uns von einem der benachbarten Himmelskörper, also möglicherweise sogar dem Mars, durch einen Meteoriten gebracht wurde: Dies klingt zwar ziemlich utopisch und ist tatsächlich wohl auch eher unwahrscheinlich, aber "biologisch" wäre es möglich, denn die "Reisezeiten" eines vom Mars ins All geschleuderten Gesteinsbrocken, der auf eine erdbahnkreuzende Bahn gelangt, sind nicht so lang, als dass im Inneren eines solchen Meteoriten eine Mikrobe die Reise durch die gar nicht so extreme Kälte des inneren Sonnensystems vielleicht überleben könnte.

Tatsächlich kann man keine allgemeingültige Definition für den Begriff "Leben" formulieren; das Leben auf der Erde, soweit herrscht halbwegs Einigkeit, ist durch drei Merkmale charakterisiert: Die Fähigkeit zur Reproduktion, Stoffwechsel für die Energieumsetzung, und die Fähigkeit zu "Evolution", zur Weiterentwicklung. Die Voraussetzungen hierfür scheinen ebenfalls kaum umstritten: Wasser muss vorhanden sein, Energie und organische Moleküle, also Kohlenwasserstoffe. Aber schon hier fängt die Diskussion an – muss es das Kohlenstoffatom mit seinen idealen Voraussetzungen für vierfache und damit sehr vielfältige chemische Bindungen sein? Oder könnte dies in einer anderen Welt im Universum auch mit dem ähnlich strukturierten, ebenfalls "vierwertigen" Siliziumatom funktionieren? Die Astronomie durchläuft eine Phase enormer Fortschritte: Innerhalb eines Jahrzehnts hat sie über einhundert Planeten entdeckt, die um Sterne kreisen; aber noch ist die Forschung nicht weit genug, um die Frage beantworten zu können, ob auf diesen fernen Welten eine organische, eine Kohlenwasserstoff-Chemie anzutreffen ist, die reproduktionsfähiges Leben hervorzubringen vermag.

Frage: Unter welchen Voraussetzungen konnte sich denn überhaupt Leben in unserem Sonnensystem entwickeln?

Dr. Jaumann: Auch muss in Betracht gezogen werden, dass zu dem Zeitpunkt, als sich in unserem Sonnensystem die ersten Lebensformen entwickelten, die Planeten nach unserem heutigen Verständnis ausgesprochen "lebensfeindliche" Welten waren: Die Atmosphären waren viel Kohlendioxid-lastiger als heute und noch ohne freien Sauerstoff. Die ersten wenigen hunderte Millionen Jahre war es unglaublich viel heißer auf der Oberfläche. Und jeder Planet war einem vieltausendfach stärkeren Meteoriten- und Asteroidenbombardement ausgesetzt als heute. Eine der Folgen könnte gewesen sein, dass sich vor dreieinhalb bis viereinhalb Milliarden Jahren – dem Zeitpunkt der Konsolidierung der Planeten – zwar vereinzelt auf der Erde oder einem der anderen Körper erste, andere Lebensformen gebildet haben, dann aber schlagartig wieder durch einen großen Asteroideneinschlag komplett ausgelöscht wurden, weil bei einem so hochenergetischen Ereignis die ganze Erdkruste quasi "sterilisiert" wurde; eine durchaus realistische Annahme. Bedeutet dies aber, dass sich Leben dann immer wieder neu, nach demselben Bauplan entwickelte oder vom Zufall bestimmt einen anders strukturierten Anlauf genommen hat? – Eine gegenwärtig von den Wissenschaftlern sehr heftig geführte Kontroverse.

Frage: Könnte sich unter diesen Bedingungen auch Leben auf dem Mars entwickelt haben?

Dr. Jaumann: All diese Diskussionpunkte, und auch die Ungewissheit, mit der alle Theorien noch behaftet sind, gelten nicht exklusiv für die Erde, sondern dürften universelle Gültigkeit haben – zumindest stellt die Wissenschaft sie gegenwärtig für unser gesamtes Sonnensystem auf den Prüfstand. Und da schließt sich der Kreis. Wir haben keinen Grund zur Annahme, dass sich Leben auf dem Mars nicht habe entwickeln können, wenn die Voraussetzungen für eine "Initialzündung" zu Reproduktion und Stoffwechsel dort gegeben waren: Wasser, Kohlenwasserstoffe und das notwendige Quantum an verfügbarer Energie. Letzteres ist eine unmittelbare Funktion der Entfernung eines Planeten von der Sonne: Dadurch wird die so genannte habitable zone definiert, eine Zone, in der Wasser auf der Oberfläche eines Planeten stabil ist und die Sonneneinstrahlung für "moderate", lebensfreundliche Bedingungen sorgt. Der Mars liegt heute knapp jenseits dieser Zone, die Erde bestens positioniert mitten drin, und die Venus wiederum befindet sich zu nahe an der Sonne.

Aber gerade beim Mars sind wir mit einem Grenzfall konfrontiert. Wenn man nur wenig an den "Schräubchen" einiger Parameter dreht, also in Modellen zum Beispiel für Achsenneigung, Sonneneinstrahlung oder die Zusammensetzung der frühen Atmosphäre andere Werte annimmt, lässt sich ein Mars darstellen, der durch einen kleinen Treibhauseffekt Wasser als stabilen Zustand von H2O auf seiner Oberfläche aufweist.

Die aktuellen Marsmissionen haben neben anderen wissenschaftlichen Aufgaben alle dasselbe Ziel: Aus dem Marsorbit und am Boden mit den zur Verfügung stehenden Mitteln der Fernerkundung bzw. mit den miniaturisierten chemischen Labors an Bord von Beagle 2 und den beiden amerikanischen Explorations-Rovern direkt oder indirekt zunächst die frühere oder sogar aktuelle Existenz von Wasser auf dem Mars nachzuweisen und schließlich nach Kohlenwasserstoffverbindungen organischen Ursprungs zu fahnden. Sicher ist wohl nur eines: Leben dürfte auf unserem Nachbarplaneten keine allzu große Rolle gespielt haben, denn sonst würden wir heute die Spuren hiervon, wie beispielsweise Sedimentgesteine mit charakteristischen chemischen Signalen, die auch aus dem Orbit erkennbar wären, längst entdeckt haben. Auch ist die Umwelt auf dem Mars heute nach irdischen Maßstäben sehr lebensfeindlich: Ohne schützendes Magnetfeld wie auf der Erde ist der Mars der kosmischen Strahlung ausgesetzt, die durch ihre hohe UV-Energie sehr stark zellzerstörend wirkt.

Frage: Was macht eigentlich die HRSC für die Marsforschung so wertvoll? Wie funktioniert diese Kamera und wie lassen sich die damit erzielbaren Fortschritte benennen?

Dr. Jaumann: Tatsächlich wird der Mars, wenn die Mission Mars Express erfolgreich verläuft und um ein Marsjahr, also zwei Erdenjahre verlängert werden kann, von der hoch auflösenden Stereokamera besser mit topographischen Daten kartiert sein als die Erde. An den dicht besiedelten Stellen unserer Kontinente ist die Erde natürlich hochpräzise vermessen. Aber es gibt noch viele Gegenden, vor allem an den Polen, die nicht sonderlich gut mit topographischen Messwerten erfasst sind. Zwar ist der Mars kleiner als die Erde, doch entspricht seine Oberfläche in etwa der Fläche der gesamten irdischen Landmasse.

Man kann sich vorstellen, was für ein umfangreicher – und wertvoller! – Bilddatensatz der Planetenforschung am Ende der Mission zur Verfügung stehen wird, der gegenüber dem Kartierungsprojekt der Viking-Sonden eine enorme Qualitätsverbesserung bedeutet. Ziel des Kamerateams ist es, die Hälfte des Planeten in einer Auflösung von 10 bis 20 Metern pro Bildpunkt in Stereo abzubilden, mit 20 bis 40 Metern vertikaler Genauigkeit. Mit mindestens 40 Meter pro Pixel sollen 75 Prozent der Oberfläche fotografiert werden, der gesamte Mars in einer Auflösung von wenigstens hundert Metern. Darüber hinaus sollte es mit dem Teleskopkanal SRC möglich sein, zwei bis drei Prozent der Oberfläche in zwei bis fünf Metern Auflösung abzubilden: Das klingt nach wenig, entspräche aber etwa der gesamten Fläche der 15 EU-Mitgliedsstaaten!

Frage: Wie funktioniert diese hochauflösende Stereokamera?

Dr. Jaumann: Mit der HRSC kommt eine ganz außergewöhnliche Kamera zum Einsatz, wie sie noch nie auf einer Planetenmission geflogen wurde. Die HRSC arbeitet ähnlich wie ein Flachbettscanner, wie er an vielen PCs angeschlossen ist: Jeder der neun Sensoren besteht aus 5184 lichtempfindlichen und in einer Linie angeordneten Halbleiternelementen von sieben Mikrometern Größe. Diese sind parallel in der Brennebene des Objektivs angeordnet und werden durch die Vorwärtsbewegung des Raumschiffs – wie ein Besen, den man vor sich herschiebt – quer über das aufzunehmende Gebiet geführt. Jeder angeschaltete Sensor zeichnet pro Abtastsequenz einen Geländestreifen von 5184 Pixeln Breite und einer beliebigen, mehrere zehntausend Pixel messenden Länge auf. Die Länge des aufgenommenen Gebiets wird nur durch die Speicher- und Übertragungsmöglichkeiten der Sonde begrenzt.

Der weitere Weg der aufgezeichneten Bildsignale verläuft dann nach einem genau festgelegten Plan. Das Raumschiff überträgt die komprimierten Daten zur Erde, wo sie entweder von der ESA-Antenne in Australien oder vom "Deep Space Network" der NASA in Kalifornien, Spanien oder Australien empfangen werden. Von dort gelangen sie zum Raumfahrtkontrollzentrum der ESA nach Darmstadt, wo sie auf Vollständigkeit geprüft werden, und weiter zum DLR-Institut für Planetenforschung in Berlin-Adlershof, wo sie das HRSC Experiment-Team aufbereitet. Der Leiter des Kamera-Experiments, Professor Neukum an der Freien Universität Berlin, gibt die Bilddaten schließlich seinem Forschungsteam zur wissenschaftlichen Auswertung frei. Die Ergebnisse der Wissenschaftler werden dann zum einen schnellstmöglich publiziert und der Fachwelt zur Diskussion vorgestellt. Die wichtigsten Ergebnisse und spektakulärsten Bilder werden aber sofort der Öffentlichkeit präsentiert.

Frage: Bei der Mission Mars Express werden Sie noch Jahre mit der Auswertung der wissenschaftlichen Ergebnisse zu tun haben. Doch was kommt danach, an welchen Missionen wird sich das DLR in den nächsten Jahren beteiligen?

Dr. Jaumann: Mars Express ist in jeder Hinsicht eine ganz große, und wenn alles klappt, mit den vielen erstklassigen Experimenten sicher auch großartige Mission, die unser Verständnis um unseren Nachbarplaneten fundamental erweitern wird. Das DLR-Institut für Planetenforschung ist jedoch an weiteren für die Planetenforschung sehr bedeutenden Missionen beteiligt.

Mitte 2004 wird das amerikanisch/europäische Raumschiff Cassini/Huygens am Saturn ankommen und dort mehrere Jahre ein sehr umfangreiches Experimentprogramm zur Erforschung des Gasplaneten, seiner Ringe und vor allem seiner vielgestaltigen Monde aus dem Saturnorbit absolvieren. Auch in der Erforschung des äußeren Sonnensystems gilt es, noch viele offene Fragen zu beantworten, die zum Teil wie beim Mars unter der Überschrift "Möglichkeiten der Existenz von Wasser und der Entstehung von Leben" stehen: Auf dem von Wolken verhüllten größten Saturnmond, Titan, werden Ozeane aus Methan und eisige Kontinente vermutet. Die ESA-Sonde Huygens wird dort landen. Das DLR-Institut für Planetenforschung wird sich vor allem mit der Analyse von Cassini-Spektrometerdaten von den festen Oberflächen der Saturnmonde befassen.

Februar 2004 wird - mit etwas Verspätung - auch die Kometenmission Rosetta auf ihren Weg gebracht werden. Aber erst im Jahr 2014 wird es zum Rendezvous mit dem Kometen Churyumov-Gerasimenko kommen.

Auch im inneren Sonnensystem will sich das DLR-Institut für Planetenforschung mit weiteren wichtigen Fragen beschäftigen. So interessieren wir uns zum Beispiel auch brennend für die Geologie des innersten Planeten, dem Merkur: Eine europäische Mission namens Bepi Colombo soll gegen Ende dieses Jahrzehnts sehr wichtige Experimente an diesem Planeten durchführen, woran wir uns beteiligen werden.

Der drittgrößte Körper im Asteroidengürtel, der Kleinplanet Vesta, wird im Jahr 2010 Ziel der Mission Dawn sein, die von den Amerikanern 2006 gestartet wird und an der das DLR-Institut gemeinsam mit dem Max-Planck-Institut für Aeronomie das Kameraexperiment herstellt.

Aber natürlich wird auch der Mars weiterhin im Blickpunkt des Interesses stehen, denn trotz der gegenwärtigen Phase verstärkter Forschungsaktivitäten ist eines ganz sicher: Auch mit Mars Express, auch mit Beagle 2 und den amerikanischen Rovern Spirit und Opportunity können nicht alle Fragen geklärt werden. Die NASA plant, in den nächsten 20 Jahren erstmals eine Gesteinsprobe vom Mars zur Erde zurückzuführen.

Sicher wird auch Europa bei der Erforschung unserer Nachbarplaneten weitere Beiträge leisten; neben diversen Planungen für zukünftige unbemannte Marsmissionen steht mit Venus Express auch ein Projekt zur Erkundung des Schwesterplaneten der Erde auf dem Programm. Und vergessen sollten wir auch nicht, dass das naheliegendste Ziel, der Mond, noch manchen Schlüssel zum Verständnis der Frühgeschichte der Erde und des inneren Sonnensystems birgt.

Hinweis: Der Abdruck des Interviews, auch in Auszügen, ist erwünscht. Der Abdruck des Bildes ist honorarfrei mit der Copyright-Zeile DLR.


Erstellt am: 23.12.2003 13:40:00 Uhr
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