Fünftausend Meter tiefe Gräben in Noctis Labyrinthus
30. November 2007
Blick von Osten nach Westen in die Gräben von Noctis Labyrinthus
Diese Bilder der vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) betriebenen, hochauflösenden Stereokamera HRSC an Bord der ESA-Raumsonde Mars Express zeigen einen Ausschnitt der Region Noctis Labyrinthus. An den tiefsten Stellen des "Labyrinths der Nacht" liegt der Talgrund bis zu fünftausend Meter unter der Hochlandebene. Die Bilddaten wurden am 25. Juni 2006 während des Mars Express-Orbits 3155 aus einer Höhe von etwa vierhundert Kilometern nahe des Marsäquators aufgenommen und haben eine Auflösung von zirka 16 Metern pro Bildpunkt (Pixel).
Blick von Westen nach Osten in die Gräben von Noctis Labyrinthus
Die Region Noctis Labyrinthus schließt sich direkt westlich an das Talsystem der Valles Marineris an, dem "Grand Canyon" des Mars. Die Valles Marineris markieren einen bis zu elf Kilometer tiefen Einschnitt in das Marshochland, der sich viertausend Kilometer lang von Westen nach Osten entlang des Marsäquators erstreckt. Die Abbildungen zeigen einen Ausschnitt bei 6,5 Grad südlicher Breite und 260 Grad östlicher Länge. Die Sonne beleuchtet die Szene aus Nordwesten (in den Draufsichten von oben rechts).
Farbansicht eines Ausschnitts der Region Noctis Labyrinthus
Nadirbild eines Ausschnitts der Region Noctis Labyrinthus
Die Region gehört zu einem komplexen Grabenbruchsystem, das in Zusammenhang mit der Aufwölbung der Region Tharsis gebracht wird: Dieser so genannte Tharsis-Schild hat einen Durchmesser von fast fünftausend Kilometer. Das Marshochland bildet hier eine mehrere Kilometer hohe Erhebung über die Umgebung. Auffallend an vielen Stellen von Tharsis sind tief eingeschnittene, labyrinthartig verzweigte Gräben.
Die Bilder zeigen einen Ausschnitt solcher Strukturen, die unterschiedlich breit und mehrere tausend Meter tief sind. Die Gräben wurden durch Verwitterungsprozesse stark erodiert, das von den steilen Hängen abgerutschte Material ist am Boden der Grabenbrüche erkennbar. An den oberen Geländekanten sind noch relativ frische Anschnitte der jüngeren Gesteinseinheiten erkennbar.
Topographische Karte der Region Noctis Labyrinthus
Bei den Gräben handelt es sich um Zeugnisse so genannter Dehnungstektonik. In der Tharsis-Region ereignete sich über große Zeiträume ein intensiver Vulkanismus, der für eine Aufwölbung großer Teile des Gebiets sorgte. Infolge der Anhebung der ganzen Region kam es zu Spannungen in der Kruste, die zur Ausdünnung und Rissbildung an der Oberfläche führten: Es bildeten sich tiefe Gräben entlang dieser Störungslinien, deren Fortsetzung auch auf den Hochlandebenen zwischen den Gräben als geradlinig-winkelige Linien sichtbar ist. In der Übersichtskarte ist deutlich zu erkennen, dass die oberste Kruste teilweise in große Schollen zerbrochen ist.
Die Farbansichten wurden aus dem senkrecht auf die Oberfläche gerichteten Nadirkanal und den Farbkanälen erstellt; die perspektivischen Schrägansichten wurden aus den Stereokanälen der HRSC berechnet. Das Anaglyphenbild, das bei Betrachtung durch eine Rot-blau- oder Rot-grün-Brille einen dreidimensionalen Eindruck der Landschaft vermittelt, wurde aus dem Nadirkanal und einem Stereokanal abgeleitet. Das Schwarzweißbild wurde dem Nadirkanal entnommen, der von allen Kanälen die höchste Auflösung bietet.
3D-Anaglyphenbild der Region Noctis Labyrinthus
Das Kameraexperiment HRSC auf der Mission Mars Express der Europäischen Weltraumorganisation ESA wird vom Principal Investigator (PI) Prof. Dr. Gerhard Neukum (Freie Universität Berlin) geleitet. Das Wissenschaftsteam besteht aus 45 Co-Investigatoren aus 32 Institutionen und zehn Nationen. Die Kamera wurde am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) entwickelt und in Kooperation mit industriellen Partnern gebaut (EADS Astrium, Lewicki Microelectronic GmbH und Jena-Optronik GmbH). Sie wird vom DLR-Institut für Planetenforschung in Berlin-Adlershof betrieben. Die systematische Prozessierung der Daten erfolgt am DLR. Die hier gezeigten Darstellungen wurden von der PI-Gruppe am Institut für Geologische Wissenschaften der Freien Universität Berlin in Zusammenarbeit mit dem DLR-Institut für Planetenforschung erstellt.