Ausgangspunkt der Experimente der Wissenschaftler unter Schwerelosigkeit ist die Frage, wie es Pflanzen gelingt, sich räumlich zu orientieren und nahezu "gerade" empor zu wachsen. Als vor etwa 470 Millionen Jahren aquatisch lebende Pflanzen das Festland eroberten, konnte dies nur gelingen, indem sie die Fähigkeit entwickelten, das Schwerefeld der Erde wahrzunehmen und Sprossachse und Wurzel parallel zum Schwerkraftvektor auszurichten (Gravitropismus). Weltweit widmet sich eine kleine Anzahl von Forschungslaboren dem Problem der "Gravirezeption". Pflanzen müssen zunächst den Schwerkraftvektor in Richtung und Stärke erkennen und dann in ein erstes biochemisches Signal, die sogenannte Primärreaktion, übersetzen. Die Primärreaktion löst danach über nachgelagerte biochemische Zwischenschritte eine langsame gravitrope Krümmung aus, die im Minutenbereich abläuft. Anstatt der langsamen gravitropen Krümmung untersuchen wir die schnellen Primärreaktionen, die bereits im Millisekundenbereich durch erhöhte Schwerereize oder durch Schwerelosigkeit ausgelöst werden. Nur dank der schnellen Primärreaktionen ist es also möglich, die Gravirezeption von Pflanzen während der lediglich 22 Sekunden andauernden Schwerelosigkeit im Parabelflug-zeug Airbus A310-ZERO-G zu untersuchen, denn die Krümmungsreaktionen laufen im Minuten- bzw. Stundenbereich ab. Als Untersuchungsobjekte verwenden wir Keimlinge der Modellpflanze Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana), die auf Schwerkraft und Licht außer-ordentlich empfindlich reagiert.
Auf dieser Grundlage konnten wir in vergangenen Parabelflugkampagnen mit Hilfe eigens entwickelter, hochempfindlicher Spektralphotometer schnelle schwerkraftinduzierte Primärreaktionen nachweisen, die sich als Absorptionsänderungen manifestieren (der Fachbegriff ist „GIACs“, gravity-induced absorption changes). Die Kinetiken und spektralen Eigenschaften dieser GIACs lassen Rückschlüsse auf die molekulare Natur der Signal-Transduktionsketten zu. Darüber hinaus erlaubt der Einsatz spezifischer gravitroper Defektmutanten von Arabidopsis thaliana die Identifikation der Gene bzw. Proteine, die für die Generierung der GIACs notwendig sind.
Auf der Basis von Laborexperimenten wissen wir, dass die Gravirezeption von Arabidopsis an eine schnelle zellinterne Mobilisierung von Calcium-Ionen gekoppelt ist. Während der Parabelflüge untersuchen wir zwei Proteine (EHB1 und AGD12), die durch Calcium aktiviert werden und an den ganz frühen Schritten der Gravirezeption beteiligt sind. Wir werden mit der oben genannten GIAC-Technik schnelle Absorptionsänderungen in Schwerelosigkeit messen. Unser Arbeitsmodell sagt voraus, dass sich in Arabidopsis-Mutanten, denen die Calcium-bindenden Proteine EHB1 und AGD12 fehlen, anormale GIACs auftreten. Die Mobili-sierung von zellinternem Calcium werden wir durch alternierende Magnetfelder kontrollieren, die auf die Frequenz von Calcium abgestimmt sind. In einem zweiten biochemischen Experi-ment werden wir analysieren, ob sich die beiden Calcium-bindenden Proteine, EHB1 und AGD12, während der Hypergravitation und Mikrogravitation beim Parabelflug ändern.
Die Ergebnisse unserer Experimente sind für die rein wissenschaftliche Pflanzenphysiologie, aber auch für die anwendungsorientierte „Weltraumphysiologie“ relevant. Unsere Experimente liefern Beiträge zu der Frage nach den minimalen Schwerkraft- und alternierenden Magnetfeldern, die für eine Kultivierung von Pflanzen unter Erd- und Weltraumbedingungen optimal sind.