Das Leben unter extremen Bedingungen (wie zum Beispiel im Weltraum) ist begleitet von einer Vielzahl an Stressoren. Im Allgemeinen unterscheidet man zwischen physiologischen Stressoren (zum Beispiel Schwerelosigkeit, fehlendes Sonnenlicht) und psychischen Stressoren (zum Beispiel Isolation). Aus einer Vielzahl von Studien der vergangenen Jahre sind die negativen Effekte von Stress auf die mentale Gesundheit und die kognitive Leistungsfähigkeit bekannt geworden, beides Faktoren, die für den Erfolg und die Sicherheit einer Langzeit-Weltraummission von Bedeutung sind. Nichtsdestotrotz bleiben viele Fragen bezüglich der Ursachen neurokognitiver Leistungsfähigkeit unbeantwortet, was sicherlich zum Großteil, zumindest aus neurophysiologischer Sicht, auf die Schwierigkeit der Nutzung bildgebender Verfahren unter solch extremen Bedingungen zurückzuführen ist. Darüberhinaus muss die Reliabilität und Validität bisheriger Testverfahren zur Erfassung (neuro-) kognitiver Prozesse im Zuge von Langzeitmissionen neu überdacht werden. Gegenwärtig tendiert man zur Entwicklung sogenannter eingebundener (embedded) Testverfahren, also Testverfahren, die in den Rahmen operationaler Anwendungen integriert werden und damit vor allem eine Zustimmung der untersuchten Crewmitglieder erhöhen.
Die Teilnahme an der 28. DLR Parabelflugkampagne ermöglicht die Umsetzung von Experimenten, die sich im Rahmen der experimentellen Möglichkeiten auf der ISS an den oben genannten Vorgaben orientieren. Das gegenwärtig von der russischen Besatzung auf der ISS durchgeführte Soyuz Docking Manöver Training’ eignet sich hervorragend für ein solcheseingebettetes Testverfahren, bei dem operationale Aspekte im Vordergrund stehen. Es soll in drei Studien untersucht werden, ob (1) mit Hilfe von gängigen bildgebenden Verfahren (EEG in Kombination mit quellenbasierter Elektrotomographie) neurokognitive Marker (P300) beim Docking Manöver Training abgebildet werden können und diese mit der Qualität des Docking-Manövers korrelieren, ob (2) diese Marker und die Qualität des Dockings durch Stress beeinflusst werden und (3) ein adäquates Sport- und Bewegungsprogramm etwaigen negativen Effekten entgegenwirken kann und – wie allgemein angenommen – sich positiv auf die Konzentrations- und Aufmerksamkeitsfähigkeit auswirkt. Zu diesem Zweck sollen bei der 28. DLR Parabelflugkampagne die entwickelten Messapparaturen auf Funktionalität und Kompatibilität bei ihrer Verwendung unter Schwerelosigkeit validiert werden.
Die Verwendung und Weiterentwicklung aktueller Technologien ermöglichen es, neurokognitive Prozesse - also auch deren Abhängigkeit von Stress und adäquaten Gegenmaßnahmen - selbst unter extremen Umweltbedingungen darzustellen. Dadurch wird es nicht nur ermöglicht, die Auswirkungen von Stress auf die mentale Gesundheit besser zu verstehen und im Kontext der gegenwärtigen, gesamtgesellschaftlich hochrelevanten (pathologischen) neurokognitiven Forschung zu verorten, sondern auch adäquate Gegenmaßnahmen zu entwickeln, die zu einer Verbesserung der Sicherheit und des Erfolgs einer Langzeitmission beitragen können.