Wenn wir ein Werkzeug benutzen oder elektronische Geräte bedienen, also zielgerichtet handeln, müssen wir wissen, wo sich Gegenstände relativ zueinander und zu unserem Körper befinden. Auf der Erde werden solche räumlichen Zusammenhänge mit Hilfe von drei Referenzrahmen ermittelt, die sich durch Stabilität, ständige Verfügbarkeit und intuitive Erfassung auszeichnen. Dies sind die Schwerkraftrichtung, visuelle Reize mit einer charakteristischen „oben-unten“-Ausrichtung (zum Beispiel Häuser, Bäume und anderes), sowie die eigene Körperlängsachse – Kopf „oben“; Füße „unten“.
Im Allgemeinen sind die Referenzrahmen deckungsgleich und vermitteln uns unbewusst eine räumliche Orientierung. Wenn wir auf der Erde z.B. ein Licht ausschalten, müssen wir dafür erfahrungsgemäß einen Schalter nach „unten“ bewegen. Demnach stimmt die Bewegungsrichtung des Schalters „unten“ mit der Orientierungsrichtung von drei oder mindestens zwei Referenzrahmen in annähernd allen Lebenssituationen auf der Erde überein.
Nehmen wir nun an, dass ein Astronaut oder eine Astronautin einen Prozess in der Raumstation stoppen möchte, indem er einen Kippschalter nach unten umlegt: Die Richtung „unten“ ist jedoch in Schwerelosigkeit nicht gleichermaßen intuitiv erfassbar wie auf der Erde. Der Astronaut könnte „unten“ mit der visuellen Umgebung (zum Beispiel dem sichtbaren Fußboden) gleichsetzen, mit einer körperbezogenen Richtung (zum Beispiel zu seinen Füßen) oder – beim Anblick eines anderen Astronauten – gemäß dessen Füße. Zudem sendet das Vestibularorgan in Schwerelosigkeit ständig wider-sprüchliche Reize hinsichtlich einer Orientierungsrichtung. Zusammengefasst bedeutet dies, dass die drei Referenzrahmen ihm unterschiedliche Definitionen von „unten“ vermitteln können. Der Astronaut erlebt möglicherweise, dass der Schalter sich nicht in die vermeintliche Richtung „unten“ bewegen lässt, so dass er sich neu orientieren und einen neuen Bewegungsplan entwerfen muss. Die damit einhergehenden zeitlichen Verzögerungen und der kognitive Mehraufwand könnten längerfristig zu Ermüdung und Fehlhandlungen führen.
Bei der 29. DLR-Parabelflugkampagne wollen wir untersuchen, inwieweit sich die veränderte räumliche Orientierung in Schwerelosigkeit auf die Durchführung von Zielbewegungen , also gezielten Bewegungen von einer Start- zu einer Zielposition, auswirkt. Dazu sollen die Probanden Schalter in die Stellung „Aus“ bringen, nachdem sie sich damit vertraut gemacht haben, dass in aufrechter Position auf der Erde die Stellung „aus“ mit „unten“ übereinstimmt. Wir wollen die Verfügbarkeit und Richtung verschiedener Bezugssysteme der räumlichen Orientierung systematisch variieren, und die Auswirkungen auf die Richtung, Geschwindigkeit und Variabilität des Ausschaltens registrieren. Mit einem zusätzlichen visuellen Reiz wollen wir außerdem die Orientierungsrichtung in Bezug auf die Verwendung der unterschiedlichen Bezugssysteme erfassen.
Das Projekt trägt dazu bei grundlegende Zusammenhänge zwischen visuellen, nicht-visuellen und körperbezogenen Bezugssystemen der Zielmotorik aufzuklären. Durch die Verknüpfung von Wahr-nehmung (räumliche Orientierung) und Handlung (Zielbewegung) leistet das Projekt zudem einen wichtigen Beitrag zur Planung und Durchführung, und somit zum Erfolg zukünftiger Weltraummissionen.