Immunzellen sind kritische Elemente unserer Abwehrstrategie gegen unter anderem Pilze und Bakterien. Besonders die sogenannten neutrophilen Granulozyten („Neutrophile“) und Lymphozyten helfen dabei entscheidend, Infektionen zu vermeiden bzw. ihre Dauer zu begrenzen. Gerade Astronauten, die von einer Mission aus dem All zurückkehren, zeigen oft ein erhöhtes Infektionsrisiko. In diesem Zusammenhang haben wir bereits entsprechende gestörte Funktionen bei Neutrophilen und Lymphozyten nachgewiesen.
Der komplizierte und mehrstufige Prozess der Immunabwehr schließt den frühen und äußerst wichtigen Schritt der Einwanderung der Immunzellen aus dem Blutgefäß hin zum Infektionsherd im umliegenden Gewebe ein („Zellmigration“). Noch ist jedoch unklar, wie und in welchem Ausmaß die Schwerkraftwirkung bzw. das Fehlen der Schwerkraft sich beispielsweise auf die Migration von Neutrophilen oder Lymphozyten auswirkt.
Die Wissenschaftler der Chinese Academy of Sciences, Peking und der Forschungsgruppe „Translationale Forschung – Stress und Immunologie“ des Klinikums der Ludwig-Maximilians-Universität München untersuchten bereits in einer Pilotstudie im Jahr 2014 Änderungen im Migrationsverhalten von Neutrophilen und Lymphozyten durch veränderte Schwerkraft während des Parabelfluges. Die dabei erhaltenen Resultate deuten auf eine erhöhte Bewegungsgeschwindigkeit der Immunzellen in der Schwerelosigkeit hin, sowie auf eine verminderte Ausbildung ihrer Kontaktproteine („Adhäsionsmoleküle“). Dies erschwert die Annäherung und Bindung der Immunzellen an die Blutgefäßinnenwand und somit die Migration, was sich negativ auf die Immunantwort auswirken könnte. Im geplanten Folgeprojekt werden diese Analysen fortgeführt und durch Untersuchungen des zellulären Grundgerüsts („Zytoskelett“) vertieft. Zudem gehen die Wissenschaftler der Frage nach, ob Alterungsprozesse bei Immunzellen durch die Schwerelosigkeit beschleunigt werden. Für dieses Projekt nehmen sie einen integrativen, biomechanischen und biomedizinischen Ansatz zu Hilfe, der die Analyse von zellmechanischen und zellbiologischen Funktionen zusammenführt. Diese Ergebnisse werden dazu beitragen, die Auswirkungen des Zellstress durch Gravitationseffekte sowohl auf die einzelne Zelle als auch auf die Funktionseffizienz der Immunantwort in Ganzen aufzudecken und das bisherige Wissen zu Immunfunktionen erweitern. Diese Studie kann neue Anhaltspunkte geben, wie wir beispielsweise die Funktion humaner Granulozyten und Lymphozyten während und nach einem Raumflug beeinflussen und regulieren können und welche die maßgeblichen Faktoren für die nach einem Raumflug beschriebene Immundysregulation sind.
Darüber hinaus werden hier auch die zugrunde liegenden molekularen Mechanismen und denkbare Gegenmaßnahmen („countermeasures“) auf zellulärer Ebene untersucht werden. Da gerade die Immunabwehr und ihre Störungen die Ursache für akute und chronische Immunerkrankungen darstellt, könnte dieser biomechanisch-biomedizinische Ansatz ebenfalls bei der Diagnose und der Behandlung von Immundysfunktionen auf der Erde genutzt werden.