Seit Beginn der wissenschaftlichen Forschung auf der ISS im Jahr 2001 hat jeder russische Kosmonaut mindestens einmal während seines Aufenthalts eine Experimentserie mit komplexen Plasmen durchgeführt. Von 2001 bis 2005 stand hierfür die Anlage PK-3 zur Verfügung. Anfang 2006 wurde sie durch die modernere Version PK-3 Plus mit erheblich erweiterten Experimentiermöglichkeiten ersetzt.
Der deutsche ESA-Astronaut Thomas Reiter, der den Platz eines russischen Kosmonauten einnimmt, setzt diese Tradition fort. Während seines Trainings wurde er wissenschaftlich und technisch auf das Experimentieren mit PK-3 Plus vorbereitet.
Am 17. August 2006 ist es soweit: Thomas Reiter wird für drei Tage die Untersuchungen von so genannten Phasenübergängen in komplexen Plasmen fortsetzen. Bereits am 10. August 2006 hatte sein Kollege Pavel Vinogradov die Anlage aufgebaut und mit den Versuchen begonnen. Die Wissenschaftler aus Deutschland, Russland und Frankreich interessiert besonders der Übergang vom flüssigen zum gasförmigen Zustand und hier vor allem der kritische Punkt, an dem die Unterschiede zwischen Flüssigkeit und Gas aufhören.
Ein komplexes Plasma besteht aus einem elektrisch geladenen Gas mit freien Elektronen und Ionen, wie es etwa als Leuchtmittel in einer Leuchtstoffröhre vorkommt, und kleinen Partikeln ("Staub") von 1-20 Mikrometer Größe. Die Partikel werden in dem Gas elektrostatisch aufgeladen und treten miteinander in Wechselwirkung, so dass sich Gas und Partikel wie ein Stoff verhalten. Während des Experiments werden das Plasma erzeugende elektrische Feld und der Gasdruck variiert. Abhängig von diesen Experimentbedingungen bewegen sich die Partikel in dem komplexen Plasma wie die Atome in einem Gas oder einer Flüssigkeit oder ordnen sich sogar dreidimensional regelmäßig wie in einem Kristall (Plasmakristall) an. Da sich bei Änderungen von einem Zustand in den anderen das Verhalten jedes einzelnen Partikels ("Atoms") optisch beobachten lässt, sind komplexe Plasmen gut als Modelle für "normale" Materialien geeignet, bei denen dies so nicht möglich ist.
Die Experimente laufen in der Regel automatisch nach Programmen ab, die vor Beginn der Experimentserien per E-Mail zur ISS geschickt wurden. Im russischen Kontrollzentrum in Korolev bei Moskau verfolgen die Wissenschaftler den Ablauf der Experimente. Sie erhalten meist nur zu Beginn beim Überflug der Station über Russland für ca. 10 Minuten Bilder und einmal am Tag eine Rückmeldung über die eingestellten Experimentparameter und technischen Messdaten. Ansonsten müssen sie sich auf den Kosmonauten verlassen, der das Experiment an Bord verfolgt. Die Erfahrung aus vergangenen Versuchen hat gezeigt, dass Änderungen vorprogrammierter Einstellungen oder Programmläufe manchmal erforderlich sind - etwa die Änderung des elektrischen Felds in kleineren oder größeren Schritten. Nach Anweisung der Wissenschaftler via Sprechfunk werden sie durch den Kosmonauten manuell am Experiment durchgeführt.
Die eigentlichen wissenschaftlichen Bilddaten von insgesamt vier Kameras werden auf Festplatten aufgezeichnet und beim Austausch der ISS-Mannschaften mit der russischen Sojus-Kapsel zurück zur Erde gebracht. Erst dann kann die wissenschaftliche Auswertung richtig beginnen.
Thomas Reiter soll vor seiner Rückkehr zur Erde Ende 2006 noch eine weitere Experimentserie mit PK-3 Plus durchführen. Sein russischer Kollege wird dann der Kosmonaut Michail Tyurin der Expedition Crew 14 sein. Dieser hat bereits 2001 mit PK-3 gearbeitet.
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