Kontrollierter Eintritt in die Erdatmosphäre und Verglühen über dem Südpazifik
Für den europäischen Raumtransporter ATV (Automated Transfer Vehicle) beginnt mit den Vorbereitungen für den kontrollierten Wiedereintritt in die Erdatmosphäre am Montag, 29. September 2008, die letzte Phase einer erfolgreichen, fast sieben Monate dauernden Mission. Am 5. September 2008 dockte das ATV mit rund 2,5 Tonnen Abfall an Bord von der Internationalen Raumstation ISS ab. Seit vergangener Woche wird die Bahnhöhe des ATV langsam verringert. Mit diversen Manövern wird der erste europäische Raumtransporter zunächst auf eine Position rund 1725 Kilometer hinter und 25 Kilometer unterhalb der ISS gebracht. Differenzen zwischen der Bahnhöhe des ATV und der Bahnhöhe der ISS werden über die Tage bis zum Wiedereintritt soweit ausgeglichen, dass nicht nur ein sicherer Wiedereintritt, sondern auch die Beobachtung der letzten Flugphase des ATV von der Internationalen Raumstation aus möglich ist. Gleichzeitig soll der Wiedereintritt des ATV von zwei hochfliegenden Flugzeugen aus verfolgt und aufgezeichnet werden.
Wiedereintritt in die Erdatmosphäre am Montagnachmittag
Für den Wiedereintritt des ATV sind am 29. September 2008 folgende Phasen geplant: Das erste so genannte De-orbit-Manöver von etwa 12.00 Uhr bis 12.06 Uhr Mitteleuropäischer Sommerzeit (MESZ) soll den Raumtransporter um rund 30 Meter pro Sekunde verlangsamen. Dadurch wird die nahezu kreisförmige Umlaufbahn des ATV elliptischer, mit einer größten Höhe von 330 Kilometer und einer kleinsten Höhe von 220 Kilometer. Das ATV wird so zweimal die Erde umrunden. Das zweite Bremsmanöver wird in dieser Zeit anhand aktueller Daten errechnet, anschließend werden die Ergebnisse zum ATV gefunkt. Erreicht das ATV danach einen Punkt etwa 15 Kilometer hinter der ISS, erfolgt die zweite und letzte Zündung von ungefähr 15 Minuten Dauer (geplant 14.58 Uhr bis 15.13 Uhr MESZ). Diese Abbremsung um mehr als 70 Meter pro Sekunde bringt das ATV auf eine steile Absturzbahn. Nach dem Bremsmanöver wird das Fahrzeug mit den Steuerdüsen in eine Taumelbewegung gebracht, die das Auseinanderbrechen beschleunigen soll.
Etwa gegen 15.30 Uhr MESZ trifft das ATV in einer Höhe von 120 Kilometern mit einer Geschwindigkeit von mehr als 27.000 Kilometern pro Stunde auf die oberen Atmosphärenschichten, wird dann mit zunehmender Luftdichte immer stärker abgebremst, sich dadurch weiter stark aufheizen und schließlich fragmentiert. Bei einer Höhe von rund 75 Kilometern wird das vollständige Zerbrechen des ATV in eine große Anzahl kleinerer Teile erwartet. Gegen 15.41 Uhr MESZ werden die nicht verglühten Überreste über einem unbewohntem Bereich des Südpazifiks niedergehen.
DLR-Chef Wörner: "Europa auf Augenhöhe mit den USA und Russland"
Zu der erfolgreichen Mission des Raumtransporters ATV erklärte Prof. Johann-Dietrich Wörner, der Vorstandsvorsitzende des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR): "Der unbemannte Raumtransporter ATV ist eines der größten und technologisch anspruchsvollsten Raumfahrzeuge, die jemals in Europa entwickelt und gebaut wurden. Damit hat Europa nicht nur seinen eigenen Zugang zur ISS realisiert, damit sind wir auch auf Augenhöhe mit den großen Raumfahrtnationen USA und Russland gekommen. Insbesondere Wissenschaft und Industrie in Deutschland haben bewiesen, dass wir eine solch hochkomplizierte Materie perfekt beherrschen."
Das ATV war am 9. März 2008 von Kourou aus mit einer Ariane 5 ES-Trägerrakete gestartet und hatte am 3. April 2008 als erstes europäisches Raumfahrzeug vollautomatisch an der Internationalen Raumstation ISS angedockt. Das ATV-Programm ist der europäische Beitrag zum Unterhalt und zum Betrieb der Internationalen Raumstation: Knapp fünf Tonnen an Nahrungsmitteln, Atemluft, Trinkwasser und Treibstoffen hatte das erste ATV mit dem Namen "Jules Verne" an Bord. Ein Teil dieser Treibstoffe war für das russische Servicemodul Swesda bestimmt, welches Mitte Juni per Knopfdruck über den Andockadapter vom ATV betankt wurde.
Darüber hinaus hat das ATV mit zwei seiner vier Haupttriebwerke die Umlaufbahn der Internationalen Raumstation insgesamt viermal angehoben - ein notwendiger Vorgang zur Bahnkorrektur, den vorher nur der russische Transporter Progress und der amerikanische Space Shuttle übernehmen konnten. Auch kleinere Lageregelungsmanöver der ISS und ein Manöver zur Kollisionsvermeidung mit Weltraummüll absolvierte das ATV. Derzeit sind noch vier weitere ATV-Flüge bis zum Jahr 2013 vorgesehen. Der nächste Flug soll 2010 stattfinden.
Der Raumtransporter ATV ist etwa zehn Meter lang und hat einen Durchmesser von 4,5 Metern. Mit entfalteten Solarpanelen hat er eine Spannweite von 22,3 Metern. Die Gesamtmasse des startbereiten und beladenen Fahrzeuges betrug bei Jules Verne knapp 20 Tonnen. Das Fahrzeug besteht aus je einer Sektion für den Antrieb und für die Avionik, die auch das "Gehirn" des Fahrzeugs in Form von fehlertoleranten Computern enthält. Zudem hat es ein ständig unter Druck stehendes Nutzlastsegment, das von den Astronauten beim Ent- und Beladen des ATV von der ISS aus betreten wird. ATV ist ein europäisches Gemeinschaftsprojekt unter Führung der Europäischen Weltraumorganisation ESA. Von deren Kontrollzentrum in Toulouse aus wird der Missionsbetrieb überwacht. Das DLR in Oberpfaffenhofen überwacht und koordiniert die Gesamtkommunikation der Kontrollzentren in Toulouse, Redu (Belgien), Houston und Moskau.