Mit Messgeräten verkabelt sitzen auf jedem Parabelflug des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) Erstflieger mit an Bord. Auch bei der im März 2010 abgeschlossenen Flugkampagne zeichneten Geräte auf, wie sich die Reisekrankheit bei den Erstfliegern bemerkbar machte, wenn in dem Airbus A300 bei jeder der 31 Parabeln für jeweils 22 Sekunden annähernd Schwerelosigkeit herrschte. Im Interview erklärt Dr. Bernd Johannes vom DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin, warum diese Daten für die Astronauten auf der Internationalen Raumstation ISS wichtig sind.
Frage: Wenn es Ihren Erstfliegern auf dem Parabelflug schlecht wird und ihnen die Schweißperlen auf der Stirn stehen, ist das für Sie eher ein Grund zur Freude, oder?
Johannes: Nein, es passiert ihnen halt nur häufig. Der Hälfte der Probanden verträgt die Wechsel zwischen Steilflug und Parabel etwa ab der Hälfte des Flugs nicht mehr. Wir wollen die Motion Sickness, das heißt die Reiseübelkeit, untersuchen - und die entsteht immer dann, wenn unsere Sinnesorgane Widersprüchliches wahrnehmen, wenn das Gleichgewichtsorgan außer Kraft gesetzt wird. Die Probanden haben keine Vorerfahrung und erhalten auch keine Medikation vor dem Flug. Jeder von ihnen kommt anders mit der Stresssituation zurecht. Aber gut: Für uns sind Daten interessant, bei denen etwas passiert beim Probanden.
Frage: Was untersuchen Sie bei Ihren Erstfliegern?
Johannes: Wir haben eine Weste, in die das Messsystem HealthLab integriert ist, das das DLR gefördert und entwickelt hat. Damit werden alle relevanten Parameter gemessen, die für eine Gesamtbetrachtung der Herzkreislaufphysiologie erforderlich sind. Blutdruck, Puls, das Blutvolumen, das das Herz pro Minute pumpt, die Atmung und die Stimme werden unter anderem analysiert. Es gibt unterschiedliche Wege, wie die Reaktionen auf Stress zustande kommen: Das Herz kann öfter schlagen, es kann mehr Blut pro Schlag pumpen, oder es verstärkt die Kontraktion. Darin unterscheiden sich die Menschen.
Frage: Wie läuft ein Parabelflug für die Probanden ab?
Johannes: Es gibt drei "Arbeitsblöcke": Zum einen gibt es eine Phase, in der die Personen nur sitzen. Dann gibt es einen Abschnitt, während dem sie relativ konzentriert mentale Aufgaben an einem Computer lösen müssen. Dabei tragen die Testpersonen eine spezielle Brille, so dass sie von dem anderen Geschehen um sie herum nichts mitbekommen. Als dritte Aufgabe müssen die Probanden während den Schwerelosigkeitsphasen Fahrrad fahren. Am schlechtesten geht es den Erstfliegern, wenn sie nur tatenlos sitzen. Während sie die Aufgaben lösen, verhindert oder dämpft die mentale Konzentration die Übelkeit. Die physische Belastung beim Fahrradfahren stellt ebenfalls eine Anforderung dar, die den Körper strukturiert - auch dabei verringert sich oft die Reaktion auf die Stresssituation im Parabelflug.
Frage: Kann man selbst beeinflussen, wie man auf Stress reagiert?
Johannes: Nein. Eine Woche vor dem Flug zeichnen wir die Daten der Probanden ohne Einfluss der Schwerelosigkeit auf. Das lässt allerdings keine Rückschlüsse darauf zu, wie derjenige unter den Bedingungen des Parabelflugs reagiert. Manchmal reagieren gerade die am stärksten, von denen man es nicht erwarten würde. Aber Labor-Tiger sind halt noch lange keine Raumfahrt-Tiger. Ein Parabelflug ist ein ziemlich heftiger Stimulus. Bei Teilnehmern mit Übelkeitssymptomen sind die Reaktionen auch nach 15 Parabeln noch nicht gedämpft, sondern unvermindert stark. Am schwierigsten scheint der Übergang von der Schwerelosigkeit zurück in die Schwerkraft.
Frage: Heißt das, dass die Astronauten auch bei ihrer Rückkehr von der Raumstation zur Erde solche Reaktionen zeigen?
Johannes: Selbst ausgebildete Astronauten reagieren darauf. Uns interessiert, was da genau im Körper geschieht. Das kann zum Beispiel auch wichtig sein, wenn man mal einen Kranken zur Erde zurückführen muss. Bisher haben wir Daten von 30 Probanden auf Parabelflügen gemessen. Ziel ist es, mehr über die unterschiedlichen Regulationsmechanismen zu wissen, die zur Motion Sickness führen.
Frage: Ihr Messgerät HealthLab ist auch auf der ISS im Einsatz...
Johannes: Bei diesem deutsch-russischen Kooperationsprogramm tragen die Astronauten unser Messsystem während des Trainings für das handgesteuerte Docking. Einmal im Monat wird geübt, wie per Hand das Andocken einer Sojuz abläuft - während dieser Stresssituation zeichnen wir Daten auf. Begonnen hat diese Untersuchung bereits 1996 auf der russischen Raumstation MIR. Das Fernziel der Untersuchungen ist es, ein diagnostisches Verfahren zu entwickeln, mit dessen Hilfe die Zuverlässigkeit von Handlungen in Stresssituationen vorhergesagt werden kann.
Das Interview führte Manuela Braun.