Interview: Lena Fuhrmann
Wie kam es zu Ihrer Bewerbung als Astronaut?
Ich hatte das Glück, schon Mitte 1985 gefragt zu werden, bevor das erste Astronauten-Zeitungsinserat veröffentlicht wurde. Damals war ich Einsatzpilot der Luftwaffe und einer unserer Generäle hatte die Personalabteilung beauftragt, im Luftwaffenbereich nach geeigneten Kandidaten für einen Raumflug zu schauen. Ich wurde direkt nach einer schwierigen Mission mit einem Tornado für die NATO von meinem Geschwader-Kommodore gefragte: "Herr Flade, wollen Sie Astronaut werden?" und ich sagte spontan: "Ja." So bin ich in die Auswahl gekommen und konnte mich schließlich auch durchsetzen. Die Essenz, die ich hieraus immer ziehe, ist folgende: Wenn sich eine außerordentliche Chance bietet: Einfach "Ja" sagen. Hinterher kann man sich das immer noch überlegen. Aber erstmal mit Inbrunst "Ja" sagen. So wird man Astronaut.
Hat Ihnen die Fliegerei denn auch was für Ihre Ausbildung zum Astronauten gebracht? Sie sind ja kampferprobt und lassen sich nicht so schnell aus der Ruhe bringen.
Astronautenkandidaten müssen eine Vielzahl von Tests absolvieren. Einer davon ist beispielsweise ein psychologischer Test beim DLR in Hamburg, den ich im Laufe meiner Karriere mittlerweile fünf- oder sechsmal absolviert habe. Da sitzen ausgezeichnete Fachleute, die jeden Kandidaten auf Schwachstellen hin abklopfen. Für Pilotenanwärter gibt es ähnliche Tests. In den medizinischen Tests wird zuvor die Gesundheit durchgecheckt, man sollte schon körperlich in guter Form sein.
Raucher haben wahrscheinlich schlechte Karten?
Keine Frage, außerdem kann man da oben ja eh nicht rauchen.
Ihre Mission zur russischen Raumstation Mir dauerte lediglich sieben Tage - ihre Tage waren vermutlich ohne Rücksicht auf die mit einem Raumflug verbundenen körperlichen Besonderheiten sehr straff geplant.
Das waren sie in der Tat. Aufgrund der Kürze der Zeit wurde bei der Planung auch außer Acht gelassen, dass einem von uns gegebenenfalls auch einmal schlecht werden könnte. Die Experimentalarbeit wurde sofort mit 100 Prozent angesetzt, während man bei anderen Missionen von 60 bis 70 Prozent langsam in einigen Tagen auf 100 Prozent steigert. Glücklicherweise bin ich von dieser so genannten "Raumkrankheit" verschont geblieben und konnte meine Aufgaben auch alle abarbeiten. Schon während des Aufstiegs beginnt sich die Flüssigkeit im Körper umzuorientieren und steigt von den Beinen in den Oberkörper und Kopf. Deshalb begann das erste Experiment - die laufende Augeninnendruckmessung - schon während des Aufstiegs zur Station Mir.
Normalerweise drückt die Erdbeschleunigung - also ein g - das Wasser nach unten, es würde sich in den Beinen ansammeln aber das Bindegewebe bildet den Gegendruck. Dieser Effekt existiert anfangs auch in der Schwerelosigkeit, also bei null g: Das Wasser wird vom noch bestehenden Bindegewebsdruck nach oben gedrückt und dadurch sammelt sich zu viel Wasser im Oberkörper, das später im Verlauf dann ausgeschieden wird. Diese Wasseransammlung kann man mittels Hautdickemessungen definieren, was somit auch gleich das nächste Experiment ausmachte. Der Effekt des "Puffy Face" ist so erklärlich - und besser als ein teures Face-Lifting!
Welche Schlafzeiten sind vorgesehen?
Die Nachtruhe war von 22 bis 6 Uhr geplant. An Schlaf war allerdings kaum zu denken - ich wollte mich natürlich auch mit meinen Kollegen unterhalten, den Ausblick genießen und die Station erkunden. Einmal habe ich eine ganze "Runde" um die Erde sozusagen live miterlebt - über München versperrten allerdings Wolken die freie Sicht.
Wie fanden Sie die Schwerelosigkeit, als Sie das erste Mal geschwebt sind?
Sehr cool! Das Ganze beginnt ja schon, wenn die Kapsel im ersten Orbit Brennschluss hat. Mit einem Mal schwebt alles - ich hatte vorher meine Checkliste in der Hand, und plötzlich wurde sie mir fast aus der Hand gerissen, weil sie schweben wollte. Da ich zu dem Zeitpunkt noch angeschnallt war, habe ich die Schwerelosigkeit aber erst wirklich erfahren, als ich die Gurte gelöst habe. Der Höhepunkt war dann natürlich, als ich nach dem Andocken in die Station geschwebt bin. Das ist wirklich faszinierend - mit einem Mal kann man zehn Meter weit fliegen! Natürlich musste ich mich erst daran gewöhnen, zu anfangs habe ich die Wand gestreift und alle Geräte, die daran befestigt waren, abgeräumt. Aber hinter mir schwebte schon ein Kollege mit einem Sack, der alles wieder eingesammelt hat. Dann wird man in der Schwerelosigkeit natürlich auch wieder zum Kind - wir sind beispielsweise mit einem Staubsauger wie eine Hexe geflogen. Oder ein Kollege hat mich zu einem Ball geformt und gedreht.
Sie haben Experimente aus Medizin, Biologie und Materialkunde durchgeführt. Waren diese verschiedenen Bereiche ein Problem für Sie? Immerhin mussten Sie sich auf komplett neue Themen einstellen.
Nein, dafür waren die Vorbereitungen zu gut und umfangreich. Sicherlich war es ungewohnt, sich selbst Blut abzunehmen - dieses Experiment ist leider nicht zustande gekommen, aber wir wurden darauf vorbereitet. Bei dem ersten Training war ich zwar zunächst noch weiß wie die Wand, aber mit der Übung ist es besser geworden. Zudem waren mein Back-Up Reinhold Ewald, der fünf Jahre nach mir geflogen ist, und ich ein sehr gutes Team - die Vorbereitungen haben wir gemeinsam absolviert.
Sie waren einer der ersten "Westler", der im Sternenstädtchen ausgebildet worden ist. Vor Ihnen war noch Sigmund Jähn, der erste Deutsche im All, da.
Sigmund Jähn hat uns damals alle Türen geöffnet, uns zur Seite gestanden und bei Verständigungsschwierigkeiten geholfen. Wie schon erwähnt war die Vorbereitungszeit für die Mission ziemlich kurz und dementsprechend schlecht auch unsere Russischkenntnisse. Durch "Learning by doing" haben wir die Sprache aber verhältnismäßig schnell angenommen: Im Unterricht, der ja auf Russisch abgehalten wurde, wurde alles mitgeschrieben und abends mit dem Wörterbuch übersetzt. So konnte ich mich bereits nach sieben Monaten auf Russisch recht gut bemerkbar machen.
Mit Ihnen ist auch die Maus aus der "Sendung mit der Maus" geflogen. Wie kam es dazu?
Die Begleitung durch die Maus hat damals das DLR organisiert. Ich hatte bei der Gestaltung freie Hand und habe so versucht, in der Übertragung alles sehr allgemeinverständlich und kindgerecht zu präsentieren. Wir haben die Maus natürlich schweben lassen. Die Sendung ist sehr gut angekommen und nach dem erfolgreichen Flug kam die Maus wieder mit nach unten. In Köln habe ich sie dem Team der "Sendung mit der Maus" wieder zurückgegeben.
Können Sie auch eine Anekdote erzählen?
Ich habe im All natürlich auch Interviews mit der Erde durchgeführt - vor meinem Flug habe ich beispielsweise einen Zettel mit den vereinbarten Gesprächspartnern bekommen. So war unter anderem ein Interview mit den Tagesthemen angesetzt, daneben stand der Name "Christiansen". Ich hatte mittlerweile eineinhalb Jahre in Russland verbracht und kannte den Namen nicht. Die Videokonferenz lief leider auch nicht wie geplant, ich hatte lediglich Audio-Verbindung. Ich habe also gefragt "Hallo? Hallo Herr Christiansen?". Mein Kollege am Boden, Reinhold Ewald, hat daraufhin in meinen privaten Funk geflüstert "FRAU Christiansen!"
Wie kam es zu Ihrer Leidenschaft für die Fliegerei?
Nach meinem Abitur wollte ich eigentlich für Porsche Motoren bauen. Vorher musste ich allerdings meinen Wehrdienst ableisten und so habe ich mich für zwei Jahre verpflichtet. In dieser Zeit habe ich eine Ausbildung zum Flugzeugmechaniker absolviert. Den Schub zur Bewerbung als Pilot hat mir letztendlich ein leider etwas arroganter Pilot bei der Luftwaffe gegeben - ich dachte mir nur irgendwann "Das kannst du auch". Die Bundeswehr hat mir also einen Ausbildungsplan angeboten, bei dem ich zunächst Offizier würde, die Privat-Pilotenlizenz erwerben, sodann ein Universitätsstudium absolvieren sollte um schließlich zum Einsatzpiloten ausgebildet zu werden. Die Auswahl und alle weiteren Hürden habe ich überstanden. Zudem war ich durch meinen Vater, der ebenfalls Pilot war, schon von Kindesbeinen mit diesem speziellen Umfeld vertraut.
Welches Flugzeug hat Sie am meisten fasziniert?
Die Lockheed F-104 "Starfighter" war das Flugzeug, welches ich am liebsten geflogen bin. Die Flugzeuge sind klein und schnell - wenn auch nicht ganz ungefährlich: Der Starfighter war auch unter dem Namen "Witwenmacher" bekannt. Mein Vater ist als einer der ersten Deutschen dieses Flugzeug schon 1960 geflogen. Bei einem Trainingsflug fiel das Triebwerk aus - der Starfighter hatte nur eins - und der Flieger stürzte ab. Zum Glück konnte mein Vater rechtzeitig mit dem Schleudersitz aussteigen und erreichte unverletzt per Fallschirm den Boden.
Sie sind Testpilot bei Airbus, wie genau sieht ihr Job aus?
Ich arbeite als Experimental-Testpilot. Bei Airbus ist man als Testpilot bei den meisten Neuentwicklungen schon vom Entwurf an mit dabei – das unterscheidet uns von Testpiloten anderer Firmen. Wenn man unsere Erfahrungen schon am Anfang mit einfließen lässt, erspart man sich eventuell spätere Kosten, wenn im Nachhinein noch technische Änderungen erfolgen sollen. Testpiloten können also die Entwicklungsstrecke optimieren und begleiten so die Entstehung des neuen Luftfahrzeugs bis zum Schluss. Das fertige Endprodukt schließlich unterziehen wir selbstverständlich ebenfalls umfangreichen Tests. Zusätzlich gehört es zu unseren Aufgaben, direkt zu den Airlines zu gehen und deren Bedürfnisse kennen zu lernen, indem wir mit Ihnen fliegen und die Abläufe hautnah kennenlernen. So gewinnen wir wichtige Informationen für die Entwicklung weiterer Flugzeuge. Mein Spezialgebiet seit etwa 2000 ist die Luftbetankung, also die Betankung eines Flugzeugs durch ein anderes Flugzeug in der Luft. Ich bin mit Airbus als Arbeitgeber sehr zufrieden, mein einziger Wermutstropfen ist allenfalls, dass ich nicht mehr die kleinen Jets fliegen kann.
Wie sieht ein "typischer" Tag in Ihrem Beruf aus?
Das ist immer sehr unterschiedlich. Zum einen führen wir Flüge mit brandneuen Flugzeugen durch, die gerade aus der Produktion kommen und das erste Mal geflogen werden, beispielsweise eine A380. Oder wir unternehmen mit einem Kunden einen Probeflug und liefern das Flugzeug, wenn keine Beanstandungen vorliegen, anschließend aus. Ein weiterer Punkt sind Flüge zur Erprobung neuer Systeme, die in bereits bestehende Flugzeuge implementiert werden sollen. Das Rolls Royce-Triebwerk des A380 haben wir zum Beispiel schon auf dem A340 geflogen. Zusätzlich führen wir auch Simulatorflüge durch - demnächst testen wir einen Emergency Egress, das heißt, wir schauen also, wie man am schnellsten das Cockpit oder die Kabine verlassen kann.
Als Testpilot fliegen Sie das Flugzeug ja an seine Grenzen, gab es da schon mal eine gefährliche Situation?
Wenn Sie mit Ihrem Auto fahren, dann kann es ja auch mal eng werden, aber je öfter Sie solche Situationen erleben, desto gelassener gehen Sie damit um. Testpiloten erhalten eine außerordentlich umfangreiche und spezielle Ausbildung und werden für brenzliche Situationen genau geschult. Hilfreich ist auch die Analyse im Anschluss an einen Flug. Ich versuche immer, sehr vorausschauend zu fliegen, aber es kann natürlich auch geschehen, dass während des Fluges unerwartete Vorkommnisse auftreten - in meiner Zeit als Militärpilot hat mein Jet plötzlich einmal Feuer gefangen. Mein hinter mir sitzender Fluglehrer konnte durch den Rauch nichts mehr sehen und so musste ich auf einer kleinen Piste notlanden.
Welche Testflüge sind für Sie am spannendsten?
Das sind Testflüge, die über das so genannte Handling gehen - das heißt, dass dabei auch mal ein Mehrfaches des Körpergewichts erreicht oder eine bestimmte Kurve erflogen wird. Nicht die Kurve selber sondern die Präzision der Steuerung ist dann gefragt. Also im Prinzip Flüge, die außerhalb des Alltags liegen. Die sind beispielsweise bei jedem neuen Flugzeug erforderlich, wenn Flugbereiche erweitert werden. Wenn ich einen bestimmten operativen Bereich freigebe, muss ich das Flugzeug natürlich auch über diesen hinaus getestet haben. Wir haben zusätzlich klare Sicherheitsbeschränkungen; es ist mit unseren Luftfahrzeugen zum Beispiel keinesfalls möglich, einen Looping durchzuführen - aber das soll ein späterer Linien-Pilot ja auch nicht - was würden da die Passagiere sagen?
An welchen Airbus-Flugzeugen haben Sie denn schon mitentwickelt und das Fliegen beigebracht?
Ich habe die Entwicklung der gestreckten Versionen -500 und -600 des Airbus A340 intensiv begleitet. Dann kamen der A380, der neue Militärtransporter A400M sowie verschiedene Tankflugzeuge auf der Basis des Airbus A330 und A310. Dieses letztgenannte Muster war damals schon lange auf dem Markt, aber ich bin einer der wenigen, die heute noch dieses "alte Unikum" fliegen dürfen. Es ist dies ja noch ein sozusagen klassisches Flugzeug. Die heutigen Airbus-Typen verfügen alle über eine elektrische Fly-by-Wire-Steuerung, die früher genutzten Stangen und Stahlseile gehören bei Airbus längst der Vergangenheit an.
Haben Sie denn noch eine Verbindung zum DLR?
Ja. So hat das DLR bekanntlich einen A320 gekauft, das heutige Forschungsflugzeug ATRA (Advanced Technologies Research Aircraft). Dabei wurde ein Vertrag abgeschlossen, wonach Airbus selbst den Flugversuchsträger noch zu Forschungszwecken nutzen kann, selbstverständlich auch für das DLR. Beide Seiten sparen somit Kosten.
Wie sieht ein typischer Testflug von Airbus aus?
Den gibt es nicht. Es existiert jeweils ein Flugprogramm, das in einen logischen Zeitablauf gebracht wird. Wir haben eine Liste mit Begrenzungen sowie Besonderheiten des Flugzeugs. Ein Ingenieur erstellt eine Testflugkarte und die Crew wird dazu benannt. Eine Stunde vor dem Flug erfolgt ein ausführliches Briefing, bei welchem Ziele und Durchführung detailliert geklärt werden. Zusätzlich muss natürlich der Luftraum frei sein - hier in Frankreich haben wir militärische Controller, die uns Platz schaffen oder umleiten. Wir fliegen dann die Tests nacheinander entsprechend der Planungen ab. Möglicherweise kritische Flüge werden auch durch Telemetrie an Bord überwacht. Das bedeutet, dass der Flugtest-Ingenieur eine eigene Aufnahme aller Daten hat, die er für den Flug benötigt, sowie alle Daten, die während des Fluges aufgenommen und zeitgleich an ein Zentrum am Boden übermittelt werden. Hier überwachen Experten den Flug und können anhand der übertragenen Daten die aktuelle Situation auf eventuell kritische Werte hin bewerten. Nach der Landung folgt ein Debriefing, in dem grob über den Ablauf sowie eventuelle Fehler gesprochen wird. Abschließend kommen Spezialisten zum Einsatz, die die Daten analysieren und daraus einen so genannten Flight-Bericht erstellen.
Warum vom Astronauten wieder zurück zum Testpiloten? Warum sind Sie nicht in der Raumfahrt geblieben?
So ein Raumflug ist Euphorie pur - man selbst ist der Magnet und alles andere um einen herum Eisen. Man ist stolz und wird für seine Leistung gestreichelt und gelobt. Das ist alles sehr faszinierend und natürlich auch schön, aber irgendwann kommt der Tag der Erkenntnis, dass andere das schon vor einem geleistet haben. Und die sind irgendwann auch von ihrem Podest gestiegen. Da habe ich mir gedacht, dass ich dieses Podest vielleicht gar nicht erst besteigen muss. Mit meinem jetzigen Beruf habe ich einen guten Kompromiss gefunden, ich muss nicht immer die Nummer eins sein. Ich muss auch gar nicht jeden Erstflug durchführen, das können gerne auch andere Kollegen übernehmen. Mittlerweile bin ich da etwas abgeklärt. Aber nochmal zurück zum Astronauten: Auch wenn wir es ja nicht wahrnehmen, sind und bleiben wir Menschen auf dem "Mutter-Raumschiff Erde" ohnehin Astronauten - auch wenn wir hier nicht in eine kleine Kapsel gezwängt werden müssen.